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Polizisten gegen Richter

Null Toleranz: Das ist die Devise, nach der der französische Innenminister Brice Hortefeux die Kriminalität im Land zu bekämpfen versucht. Unterstützung findet er dafür in Kreisen der Polizeigewerkschaften. Nur die Justiz pocht auf ihre Unabhängigkeit.

Von Margit Hillmann | 22.12.2010
    Vor anderthalb Wochen in der Pariser Vorstadt Bobigny: Rund 200 Polizisten in Uniform versammeln sich vor dem Gerichtsgebäude. Sie demonstrieren gegen die Verurteilung von sieben Kollegen zu Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr. Die verurteilten Polizisten hatten im vergangenen September einen Autofahrer zusammen geschlagen, verhaftet und ihn beschuldigt, er habe absichtlich einen Polizeibeamten angefahren. Tatsächlich wurde der Polizeibeamte aber von einem seiner Kollegen im Dienstwagen angefahren.

    Zwar hätten die jungen Polizisten einen Fehler begangenen, doch die Härte des Richterurteils - so rechtfertigen die wütenden Polizisten ihre Protestaktion - sei ein Skandal:

    "Heroindealer werden laufen gelassen, aber die Polizisten werden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, obwohl einige von ihnen unschuldig sind!""

    Der Vorfall ist die letzte Episode eines schon länger schwelenden Machtkampfs zwischen französischen Polizisten und Richtern. Immer wieder gehen Polizeigewerkschafter an die Öffentlichkeit und bezichtigen Richter als "linke Ideologen". Sie werfen ihnen vor, die Polizeiarbeit zu behindern. Christoph Gesset, Polizeioffizier und Sprecher der Polizeigewerkschaft "Synergie":

    "Wir Polizeigewerkschaften beschweren uns schon seit Jahren über die Missstände in der Justiz, über zu milde Richterurteile gegen Gauner und Kriminelle. Wir haben eine echte moralische Krise der Gesellschaft, mit Richtern, die das Gesetz nicht anwenden, obwohl es von gewählten Parlamentariern verabschiedet wurde. Wenn die Richter meinen, das Gesetz ist nicht gut, wenden sie es nicht an!"

    Den Zorn der Polizeigewerkschaft "Synergie" ziehen Richter auf sich, die Tatverdächtige wegen Mangels an Beweisen aus der Untersuchungshaft entlassen; jugendliche Wiederholungstäter mit Bewährung oder allgemeinnützlicher Arbeit davon kommen lassen, statt Gefängnisstrafen zu verhängen, oder aber - wie der Richter in Bobigny - Polizisten für ungesetzliches Handeln bestrafen.

    Doch Frankreichs Richter warnen vor einem falschen Eindruck. Die Zusammenarbeit mit der Polizei klappt im Allgemeinen eher gut, versichern sie. Die öffentliche Richterschelte käme von Mitgliedern des regierungsnahen Gewerkschaftsbundes Synergie-Alliance, der nur eine Minderheit der Polizisten vertritt.

    Gezielte politische Stimmungsmache, aktiv unterstützt vom französischen Innenminister, Brice Hortefeux, nennt das Christophe Régnard, Präsident des mitgliederstärksten französischen Richterverbandes, kurz USM:

    "Es gibt ernsthafte Probleme zwischen der Richterschaft und dem Innenminister. Das war schon der Fall mit Nicolas Sarkozy, als er noch Innenminister war. Heute ist es Brice Hortefeux. Sie haben ein Zerrbild davon, was man eine unabhängige Justiz in einer Demokratie nennt. Sie wollen den Zugriff auf juristische Entscheidungen der Richter. Das können wir selbstverständlich nicht akzeptieren, dass unsere Urteile systematisch vom Innenminister und seinen Mitarbeitern kritisiert und kommentiert werden."

    Tatsächlich meldet sich Innenminister Hortefeux seit einigen Monaten regelmäßig in den Medien zu Wort, um Richter für laxe Urteile zu rügen. Auch im Fall der in Bobigny verurteilten Polizisten ließ der Minister keinen Zweifel daran, auf wessen Seite er steht: Das Richterurteil sei unverhältnismäßig, er verstehe die Wut der Polizisten und begrüße, dass der zuständige Staatsanwalt sofort Berufung eingelegt hat. Frontalangriffe dieser Art, fürchtet Richter Régnard, sind nur ein Vorgeschmack auf den bereits angelaufenen Wahlkampf ums französische Präsidentenamt. Die Regierung wolle die Richter zu Sündenböcken einer gescheiterten Anti-Kriminalitätspolitik machen.

    "Das ist eindeutig die Strategie des Elysée, um über das Scheitern der Regierung in der Kriminalitätsbekämpfung hinwegzutäuschen. Der französischen Öffentlichkeit soll eingeredet werden, dass wir Richter Schuld sind, wenn die von der Regierung verschärften Gesetze zur Bekämpfung der Kriminalität nicht funktionieren."

    Der als eher konservativ geltende Richterverband hat inzwischen Premierminister François Fillon aufgefordert, einen runden Tisch zu organisieren mit Vertretern aller Polizeigewerkschaften, den Richterverbänden und dem Innenministerium. Sollte der Premier ablehnen und weder Polizisten noch den Innenminister für ihr skandalöses Verhalten im Zusammenhang mit dem Richterurteil in Bobigny zur Rechenschaft ziehen, heißt es, werde der Richterverband eigene juristische Schritte unternehmen.