Christoph Heinemann: Militärmusik habe mit Musik so viel zu tun wie Militärjustiz mit Justiz, soll der französische Politiker Georges Clemenceau einmal gesagt haben. Ein vergleichbares Spannungsverhältnis besteht zwischen Vorurteilen und der Wirklichkeit - siehe Polen. Während sich Beispiele für die so genannte polnische Wirtschaft immer mehr in den Vorstandsetagen deutscher Großunternehmen finden lassen, glänzt das östliche Nachbarland mit einem Wirtschaftswachstum von 6 Prozent im vergangenen Jahr und einem neuen Rekord bei den Auslandsinvestitionen: 14 Milliarden Dollar. Rund ein Drittel der Exporte führt Polen nach Deutschland aus.
Den guten wirtschaftlichen Beziehungen stehen politische gegenüber, die nicht immer so eng sind. In der Europapolitik gelten die Polen nicht als Musterschüler. Der ehemalige Außenminister Geremek sagte kürzlich sogar, die polnische Führung ginge einigen EU-Regierungen regelrecht auf die Nerven.
In politisch schwierigen Zeiten sind die Diplomaten gefragt. Marek Prawda hat noch vor wenigen Wochen von einer Kommunikationsstörung zwischen Warschau und Berlin oder Berlin und Warschau gesprochen. Vor dieser Sendung habe ich den polnischen Botschafter gefragt, ob Polen und Deutsche inzwischen besser miteinander reden und aufeinander hören.
Marek Prawda: Also ich habe das Gefühl, dass wir hier einen Fortschritt gemacht haben. Wir sind gerade nach einem Russland-Gipfel in Samara, und aus unserer Sicht war das eine Situation, wo die Europäische Union mit einer Stimme gesprochen hat, eine Geschlossenheit zeigt, das ist schon Wert an sich, aber auch in Fragen, die für uns wichtig sind. Das schätzen wir sehr, und darauf setzen wir Hoffnungen auch für die deutsch-polnischen Beziehungen.
Heinemann: Das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin ist etwas distanzierter als das zwischen Gerhard Schröder und Putin. Ist das wichtig für die Polen?
Prawda: Für Polen ist es wichtig, dass es sachlich wird. Und wir sind auch sehr besorgt, wenn es zu Sonderbeziehungen kommt zwischen großen europäischen Staaten und den Dritten. Dann ist die Konsequenz dieser Entwicklung, dass die Länder unserer Region zusammenzucken und sich sicherheitspolitische Sorgen machen.
Heinemann: Eine Sonderbeziehung ist die geplante Ostsee-Pipeline, meinen Sie das mit Sonderbeziehungen?
Prawda: Das meine ich als Beispiel einer solchen Beziehung, die uns Sorgen machte, weil wir damals als de facto ein unsicheres Transitland betrachtet wurden. Wir sind der EU beigetreten, um ein sicheres Transitland zu werden, wenn es darauf ankommt. Deshalb hat die polnische Öffentlichkeit Schwierigkeiten zu verstehen, dass man ein solches Projekt plant, obwohl man weiß, dass es Probleme für die Dritten schafft.
Heinemann: Welche Schwierigkeiten hat das konkret für die Polen diese Ostsee-Pipeline? Man könnte doch sagen, ob jetzt Russen und Deutsche Gas austauschen, das muss doch die Polen nicht interessieren.
Prawda: Es geht um die sicherheitspolitische Lage Polens, um eine theoretische Möglichkeit, dass Polen umgangen wird. Es ist auch nicht nur die Tatsache, dass man von Gaslieferungen abgeschnitten werden kann. Es geht auch darum, dass dieses politische Konsequenzen haben kann für die Möglichkeit, eine unabhängige Politik zu machen. Man kann sich auch vorstellen, dass viele Betriebe in Polen jetzt selbst durch die Tatsache einer solchen Verbindung ihren Status ändern müssen und konkrete Verluste haben.
Heinemann: Sie sprachen eben davon: Die polnische Öffentlichkeit versteht es nicht, wenn zwei Staaten dort Sonderbeziehungen haben. Nun versteht ein Teil der europäischen Öffentlichkeit nicht, dass Polen, dass Tschechien das amerikanische Raketenabwehrsystem in Osteuropa stationieren will. Wie bewerten Sie dies?
Prawda: Wir wollen europäisch sein auf eine Art und Weise, die uns nicht zwingt, jetzt das Transatlantische in Frage zu stellen. Die Geschichte mit dem Raketenabwehrsystem ist für uns eine Fortsetzung des Prozesses, der in Europa sowieso seit einiger Zeit läuft. Es gibt bestimmte Einrichtungen in Dänemark oder in Großbritannien, und das, was jetzt in Polen, Tschechien oder auch anderswo geplant wird, ist ein Versuch, auf die neuen Gefahren zu reagieren, die wir noch nicht abschätzen können. Wir wünschen uns, dass solche Projekte komplementär zu den in der NATO geplanten Projekten betrachtet werden und dass auch darüber mit Russland gesprochen wird.
Heinemann: NATO und Europäische Union sind aus polnischer Sicht keine Gegensätze und keine Alternativen, sondern die beiden Seiten derselben Medaille?
Prawda: Ja. Das ist ein Teil desselben Konzeptes. Deshalb fühlen wir uns sehr unwohl, wenn wir vor eine Wahl gestellt werden zwischen einer transatlantischen und europäischen Linie. Das ist für uns eine unnatürliche Situation, und wir fühlen uns auch besorgt, wenn eine Tendenz zu größerer Distanz zu den Vereinigten Staaten zum Zement der europäischen Integration gemacht wird.
Heinemann: Herr Botschafter, Russland boykottiert gegenwärtig polnische Fleischlieferungen. Fühlen sich die Polen durch Europa und auch durch die deutsche Ratspräsidentschaft in diesem Streit gut vertreten?
Prawda: Seit einiger Zeit sehen wir einen deutlichen Fortschritt, und wir haben auch Hoffnungen, dass wir in dieser Frage von der Ratspräsidentschaft und von der Kommission in Schutz genommen werden. Dieses Problem ist im Grunde genommen ein europäisches Problem, und für uns ist das auch eine Erfahrung, dass wir jetzt auf manchen Feldern schon wie andere EU-Mitglieder behandelt werden. Das ist eine wichtige Erfahrung für ein neues EU-Mitglied.
Heinemann: Ist das eine neue Erfahrung? War das nicht immer so?
!Prawda: Es gab manche Situationen, wo wir das nicht gespürt haben.
Heinemann: Welche?
Prawda: Das war die Geschichte mit der Ostsee-Pipeline zu einem gewissen Punkt oder mit der Öl-Raffinerie ORLEN. Es gab auch Probleme mit dem Fleischembargo. Viele Monate war es unklar, inwieweit sich die EU dort in den Handelsfragen engagieren kann, was für uns wichtig war zu erfahren, dass man hier nicht alleine gelassen wird.
Heinemann: Herr Botschafter, die EU-Ratsvorsitzende Angela Merkel versucht gegenwärtig, die europäische Verfassung als Verfassung oder als Verfassungsvertrag oder nur als Vertrag zu retten oder jedenfalls das zu retten, was noch zu retten ist. Wird Polen die so genannte doppelte Mehrheit bei den Abstimmungen akzeptieren? Das sieht ja vor, dass für eine qualifizierte Mehrheit mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, nötig sein wird. Damit würde Polen gegenüber dem jetzigen Stand etwas schlechter dastehen.
Prawda: Polen hat es eingesehen, dass der in Nizza verabschiedete Stimmenschlüssel bei Gemeinschaftsentscheidungen geändert werden muss. Für die höhere Effektivität der Beschlussfassung ist es ratsam, das Prinzip der von Ihnen dargestellten doppelten Mehrheit zu wählen. Allgemein akzeptieren wir dieses Prinzip, wobei wir eine Korrektur vorschlagen möchten. Es geht darum, dass kleinere und mittelgroße Länder mehr Mitsprache erhalten. Die Effektivität der Beschlussfassung ist eine Sache, aber es geht auch um eine demokratische Legitimität und auch darum, dass die Ländergruppen zu Wort kommen, die bestimmte Themen auch für besonders wichtig halten. Deshalb ist der polnische Vorschlag nicht gegen jemanden gerichtet, sondern für die bessere Möglichkeit, solchen Themen mehr Gewicht zu geben, die nur von kleineren oder mittelgroßen Ländern auf den Tisch gelegt werden können.
Heinemann: Sie sprachen von Korrekturen. Wo soll jetzt genau korrigiert oder verbessert werden, bei der Stimmengewichtung im Rat oder bei dieser Prozentverteilung, die ich gerade eben genannt hatte?
Prawda: Bei dem Teil, wo es um die Anzahl der Bevölkerungszahl geht. Die Einzelheiten will ich jetzt nicht benennen.
Heinemann: Deutsch-polnisches Verhältnis oder die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Der Jugendaustausch geht zurück. Man hat den Eindruck, dass polnische Regierungsvertreter sich nicht gerade darum reißen, nach Berlin zu kommen. Die Kontakte auf politischer Ebene sind schwierig. Man hat in Deutschland ein bisschen den Eindruck, es gibt in Polen, es gibt in der Regierung besser gesagt ein Desinteresse an diesen Beziehungen.
Prawda: Das würde ich so nicht sagen. Es gibt ein Problem, das sich damit verbindet, dass wir jetzt konkrete Erwartungen an uns gegenseitig richten und diese Erwartungen nicht immer erfüllt werden. In den von Ihnen erwähnten Feldern würde ich auch widersprechen. Mit dem Jugendwerk hatten wir tatsächlich voriges Jahr Probleme prozeduraler Art, aber die Zusammenarbeit wird fortgesetzt, und die Gelder werden auch gezahlt, so dass ich hoffe, dass das Jugendwerk wirklich zum Flaggschiff der deutsch-polnischen Zusammenarbeit erklärt wurde, auch ein solches bleibt. Das ist uns allen sehr wichtig und unverändert wichtig.
Allgemein das Interesse der polnischen Politiker an Deutschland ist natürlich groß geblieben. Unsere Probleme liegen wie gesagt dort, wo es noch um das Verstehen gegenseitiger Positionen geht.
Heinemann: Stichwort "Verstehen". Sie haben mir vor diesem Gespräch gesagt, dass eine Gemeinsamkeit zwischen Deutschen und Polen darin besteht, dass beide immer wissen wollen, was die anderen über sie denken. Was denken die Polen über die Deutschen? Was mögen sie, was mögen sie nicht?
Prawda: Die Polen sehen bei den Deutschen etwas, was auch für die Polen selbst typisch ist, dass man die anderen mit der Frage plagt, was sie von uns denken. Diese Frage stellen wir häufig auch den Ausländern, die nach Polen kommen. Wir mögen eigentlich diese deutsche grüblerische Nachdenklichkeit und die Tendenz, Probleme bis zum Umfallen zu diskutieren. Vielleicht, würde ich sagen, verbindet uns das sogar. Weniger schätzen wir diese Unfähigkeit, sich von Vorurteilen zu trennen zum Beispiel.
Heinemann: Glauben Sie, dass man in 5, 10, 15, 20 Jahren einen langen deutsch-polnischen Dialog so wie unser Gespräch jetzt führen kann, ohne einmal über Vertreibung, über die Vergangenheit, über die schwierigen Kapitel zu sprechen?
Prawda: Ich glaube, dass wir schon in den letzten 20 oder sogar 30 Jahren bewiesen haben, dass wir uns in vielen Fragen besser verstehen können, als es heute scheint. Deshalb habe ich überhaupt keine Bedenken, dass das zu schaffen ist.
Heinemann: Marek Prawda, der Botschafter der Republik Polen, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herr Botschafter, vielen Dank für Ihren Besuch!
Prawda: Ich danke, Herr Heinemann.
Den guten wirtschaftlichen Beziehungen stehen politische gegenüber, die nicht immer so eng sind. In der Europapolitik gelten die Polen nicht als Musterschüler. Der ehemalige Außenminister Geremek sagte kürzlich sogar, die polnische Führung ginge einigen EU-Regierungen regelrecht auf die Nerven.
In politisch schwierigen Zeiten sind die Diplomaten gefragt. Marek Prawda hat noch vor wenigen Wochen von einer Kommunikationsstörung zwischen Warschau und Berlin oder Berlin und Warschau gesprochen. Vor dieser Sendung habe ich den polnischen Botschafter gefragt, ob Polen und Deutsche inzwischen besser miteinander reden und aufeinander hören.
Marek Prawda: Also ich habe das Gefühl, dass wir hier einen Fortschritt gemacht haben. Wir sind gerade nach einem Russland-Gipfel in Samara, und aus unserer Sicht war das eine Situation, wo die Europäische Union mit einer Stimme gesprochen hat, eine Geschlossenheit zeigt, das ist schon Wert an sich, aber auch in Fragen, die für uns wichtig sind. Das schätzen wir sehr, und darauf setzen wir Hoffnungen auch für die deutsch-polnischen Beziehungen.
Heinemann: Das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin ist etwas distanzierter als das zwischen Gerhard Schröder und Putin. Ist das wichtig für die Polen?
Prawda: Für Polen ist es wichtig, dass es sachlich wird. Und wir sind auch sehr besorgt, wenn es zu Sonderbeziehungen kommt zwischen großen europäischen Staaten und den Dritten. Dann ist die Konsequenz dieser Entwicklung, dass die Länder unserer Region zusammenzucken und sich sicherheitspolitische Sorgen machen.
Heinemann: Eine Sonderbeziehung ist die geplante Ostsee-Pipeline, meinen Sie das mit Sonderbeziehungen?
Prawda: Das meine ich als Beispiel einer solchen Beziehung, die uns Sorgen machte, weil wir damals als de facto ein unsicheres Transitland betrachtet wurden. Wir sind der EU beigetreten, um ein sicheres Transitland zu werden, wenn es darauf ankommt. Deshalb hat die polnische Öffentlichkeit Schwierigkeiten zu verstehen, dass man ein solches Projekt plant, obwohl man weiß, dass es Probleme für die Dritten schafft.
Heinemann: Welche Schwierigkeiten hat das konkret für die Polen diese Ostsee-Pipeline? Man könnte doch sagen, ob jetzt Russen und Deutsche Gas austauschen, das muss doch die Polen nicht interessieren.
Prawda: Es geht um die sicherheitspolitische Lage Polens, um eine theoretische Möglichkeit, dass Polen umgangen wird. Es ist auch nicht nur die Tatsache, dass man von Gaslieferungen abgeschnitten werden kann. Es geht auch darum, dass dieses politische Konsequenzen haben kann für die Möglichkeit, eine unabhängige Politik zu machen. Man kann sich auch vorstellen, dass viele Betriebe in Polen jetzt selbst durch die Tatsache einer solchen Verbindung ihren Status ändern müssen und konkrete Verluste haben.
Heinemann: Sie sprachen eben davon: Die polnische Öffentlichkeit versteht es nicht, wenn zwei Staaten dort Sonderbeziehungen haben. Nun versteht ein Teil der europäischen Öffentlichkeit nicht, dass Polen, dass Tschechien das amerikanische Raketenabwehrsystem in Osteuropa stationieren will. Wie bewerten Sie dies?
Prawda: Wir wollen europäisch sein auf eine Art und Weise, die uns nicht zwingt, jetzt das Transatlantische in Frage zu stellen. Die Geschichte mit dem Raketenabwehrsystem ist für uns eine Fortsetzung des Prozesses, der in Europa sowieso seit einiger Zeit läuft. Es gibt bestimmte Einrichtungen in Dänemark oder in Großbritannien, und das, was jetzt in Polen, Tschechien oder auch anderswo geplant wird, ist ein Versuch, auf die neuen Gefahren zu reagieren, die wir noch nicht abschätzen können. Wir wünschen uns, dass solche Projekte komplementär zu den in der NATO geplanten Projekten betrachtet werden und dass auch darüber mit Russland gesprochen wird.
Heinemann: NATO und Europäische Union sind aus polnischer Sicht keine Gegensätze und keine Alternativen, sondern die beiden Seiten derselben Medaille?
Prawda: Ja. Das ist ein Teil desselben Konzeptes. Deshalb fühlen wir uns sehr unwohl, wenn wir vor eine Wahl gestellt werden zwischen einer transatlantischen und europäischen Linie. Das ist für uns eine unnatürliche Situation, und wir fühlen uns auch besorgt, wenn eine Tendenz zu größerer Distanz zu den Vereinigten Staaten zum Zement der europäischen Integration gemacht wird.
Heinemann: Herr Botschafter, Russland boykottiert gegenwärtig polnische Fleischlieferungen. Fühlen sich die Polen durch Europa und auch durch die deutsche Ratspräsidentschaft in diesem Streit gut vertreten?
Prawda: Seit einiger Zeit sehen wir einen deutlichen Fortschritt, und wir haben auch Hoffnungen, dass wir in dieser Frage von der Ratspräsidentschaft und von der Kommission in Schutz genommen werden. Dieses Problem ist im Grunde genommen ein europäisches Problem, und für uns ist das auch eine Erfahrung, dass wir jetzt auf manchen Feldern schon wie andere EU-Mitglieder behandelt werden. Das ist eine wichtige Erfahrung für ein neues EU-Mitglied.
Heinemann: Ist das eine neue Erfahrung? War das nicht immer so?
!Prawda: Es gab manche Situationen, wo wir das nicht gespürt haben.
Heinemann: Welche?
Prawda: Das war die Geschichte mit der Ostsee-Pipeline zu einem gewissen Punkt oder mit der Öl-Raffinerie ORLEN. Es gab auch Probleme mit dem Fleischembargo. Viele Monate war es unklar, inwieweit sich die EU dort in den Handelsfragen engagieren kann, was für uns wichtig war zu erfahren, dass man hier nicht alleine gelassen wird.
Heinemann: Herr Botschafter, die EU-Ratsvorsitzende Angela Merkel versucht gegenwärtig, die europäische Verfassung als Verfassung oder als Verfassungsvertrag oder nur als Vertrag zu retten oder jedenfalls das zu retten, was noch zu retten ist. Wird Polen die so genannte doppelte Mehrheit bei den Abstimmungen akzeptieren? Das sieht ja vor, dass für eine qualifizierte Mehrheit mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, nötig sein wird. Damit würde Polen gegenüber dem jetzigen Stand etwas schlechter dastehen.
Prawda: Polen hat es eingesehen, dass der in Nizza verabschiedete Stimmenschlüssel bei Gemeinschaftsentscheidungen geändert werden muss. Für die höhere Effektivität der Beschlussfassung ist es ratsam, das Prinzip der von Ihnen dargestellten doppelten Mehrheit zu wählen. Allgemein akzeptieren wir dieses Prinzip, wobei wir eine Korrektur vorschlagen möchten. Es geht darum, dass kleinere und mittelgroße Länder mehr Mitsprache erhalten. Die Effektivität der Beschlussfassung ist eine Sache, aber es geht auch um eine demokratische Legitimität und auch darum, dass die Ländergruppen zu Wort kommen, die bestimmte Themen auch für besonders wichtig halten. Deshalb ist der polnische Vorschlag nicht gegen jemanden gerichtet, sondern für die bessere Möglichkeit, solchen Themen mehr Gewicht zu geben, die nur von kleineren oder mittelgroßen Ländern auf den Tisch gelegt werden können.
Heinemann: Sie sprachen von Korrekturen. Wo soll jetzt genau korrigiert oder verbessert werden, bei der Stimmengewichtung im Rat oder bei dieser Prozentverteilung, die ich gerade eben genannt hatte?
Prawda: Bei dem Teil, wo es um die Anzahl der Bevölkerungszahl geht. Die Einzelheiten will ich jetzt nicht benennen.
Heinemann: Deutsch-polnisches Verhältnis oder die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Der Jugendaustausch geht zurück. Man hat den Eindruck, dass polnische Regierungsvertreter sich nicht gerade darum reißen, nach Berlin zu kommen. Die Kontakte auf politischer Ebene sind schwierig. Man hat in Deutschland ein bisschen den Eindruck, es gibt in Polen, es gibt in der Regierung besser gesagt ein Desinteresse an diesen Beziehungen.
Prawda: Das würde ich so nicht sagen. Es gibt ein Problem, das sich damit verbindet, dass wir jetzt konkrete Erwartungen an uns gegenseitig richten und diese Erwartungen nicht immer erfüllt werden. In den von Ihnen erwähnten Feldern würde ich auch widersprechen. Mit dem Jugendwerk hatten wir tatsächlich voriges Jahr Probleme prozeduraler Art, aber die Zusammenarbeit wird fortgesetzt, und die Gelder werden auch gezahlt, so dass ich hoffe, dass das Jugendwerk wirklich zum Flaggschiff der deutsch-polnischen Zusammenarbeit erklärt wurde, auch ein solches bleibt. Das ist uns allen sehr wichtig und unverändert wichtig.
Allgemein das Interesse der polnischen Politiker an Deutschland ist natürlich groß geblieben. Unsere Probleme liegen wie gesagt dort, wo es noch um das Verstehen gegenseitiger Positionen geht.
Heinemann: Stichwort "Verstehen". Sie haben mir vor diesem Gespräch gesagt, dass eine Gemeinsamkeit zwischen Deutschen und Polen darin besteht, dass beide immer wissen wollen, was die anderen über sie denken. Was denken die Polen über die Deutschen? Was mögen sie, was mögen sie nicht?
Prawda: Die Polen sehen bei den Deutschen etwas, was auch für die Polen selbst typisch ist, dass man die anderen mit der Frage plagt, was sie von uns denken. Diese Frage stellen wir häufig auch den Ausländern, die nach Polen kommen. Wir mögen eigentlich diese deutsche grüblerische Nachdenklichkeit und die Tendenz, Probleme bis zum Umfallen zu diskutieren. Vielleicht, würde ich sagen, verbindet uns das sogar. Weniger schätzen wir diese Unfähigkeit, sich von Vorurteilen zu trennen zum Beispiel.
Heinemann: Glauben Sie, dass man in 5, 10, 15, 20 Jahren einen langen deutsch-polnischen Dialog so wie unser Gespräch jetzt führen kann, ohne einmal über Vertreibung, über die Vergangenheit, über die schwierigen Kapitel zu sprechen?
Prawda: Ich glaube, dass wir schon in den letzten 20 oder sogar 30 Jahren bewiesen haben, dass wir uns in vielen Fragen besser verstehen können, als es heute scheint. Deshalb habe ich überhaupt keine Bedenken, dass das zu schaffen ist.
Heinemann: Marek Prawda, der Botschafter der Republik Polen, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herr Botschafter, vielen Dank für Ihren Besuch!
Prawda: Ich danke, Herr Heinemann.