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Polnischer Botschafter strebt "gereifte Partnerschaft" an

Der neue polnische Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, sieht die deutsch-polnischen Beziehungen von einer Vertrauenskrise belastet. Andererseits gebe es "noch viel gesunde Substanz" im Verhältnis beider Länder, sagte Prawda. Im Streit um die Erinnerung an die Vertreibungen im 20. Jahrhundert sieht der Diplomat Chancen auf eine Annäherung.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Das Verhältnis zu Polen gehört zur Zeit zu den komplizierteren bilateralen Beziehungen Deutschlands - ein Problem, weil die große Bedeutung des nachbarschaftlichen Verhältnisses zu Polen von kaum jemandem bestritten wird. Ursachen für die Belastungen gibt es mehrere. Um ein Zentrum gegen Vertreibungen, wie vom Bund der Vertriebenen geplant, wird seit Jahren gestritten. Die Energiepolitik war ein anderer Streitpunkt in den vergangenen Monaten. Seit gestern ist Polens neuer Botschafter im Amt, er heißt Marek Prawda und hat bereits als Student in Leipzig und Gesandter in Bonn Erfahrungen in Deutschland sammeln können. Bis zum vergangenen Jahr war er Botschafter in Schweden. Vor der Sendung habe ich mit ihm gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob die Versetzung nach Berlin einer Beförderung gleichkommt.

    Marek Prawda: Das ist meine Rückkehr zu meiner alten Leidenschaft. Ich habe mich für deutsch-polnische Beziehungen schon früher interessiert. und nun komme ich zurück nach Berlin in einer Phase, wo die Beziehungen interessant sind und vielleicht ein bisschen kompliziert.

    Remme: Ich wollte gerade sagen: Sie sind auf das Stichwort Beförderung nicht eingegangen, aber stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass Ihr Job nicht einfacher geworden ist?

    Prawda: Nein, ich glaube, es ist jetzt eine Herausforderung und in dem Sinne ist das eine Aufgabe, die mich sehr motiviert.

    Remme: Wo würden Sie das bilaterale Verhältnis auf einer Skala zwischen Null, sehr schlecht, und Zehn, ausgezeichnet, derzeit ansiedeln?

    Prawda: Also vor fünf Jahren, als ich nach Stockholm ging, da hatten wir ein Treffen in der deutschen Botschaft gerade, und wir haben damals uns beklagt über die Beziehungen, über den Stand der deutsch-polnischen Beziehungen. Damals hatte ich eigentlich ironisch gesagt, deutsch-polnische Beziehungen sind uneingeschränkt verschlechterungsfähig. Heute sind die Beziehungen sehr unterschiedlich bewertet. Ich glaube, dass diese Vertrauenskrise, in der wir heute vielleicht noch stecken, zum Teil ein Medienereignis ist, aber zum Teil wurden viele Folgen von langjährigen Versäumnissen deutlich.

    Remme: Werden Sie doch konkreter, Herr Botschafter. Denn die Vergangenheit spielt auf einmal wieder eine große Rolle. Der Ton ist mitunter scharf und giftig. Wo liegen die Gründe?

    Prawda: In den 90er Jahren gab es eine unglückliche Fügung meiner Meinung nach, wo wir gerade in Polen eine schwierige und schmerzliche Debatte über die Aufarbeitung der Vergangenheit führten. Ende der 90er Jahre wurden wir plötzlich mit Vermögensansprüchen aus Deutschland konfrontiert. Das ging mit einer Tendenz zur neuen Geschichtspolitik einher. Beides verunsicherte einen großen Teil der polnischen Öffentlichkeit, auch diejenigen, die sich jahrelang für die deutsch-polnischen Beziehungen eingesetzt haben.

    Remme: Ich will mal auf einen ganz konkreten Streitpunkt hinaus, Herr Prawda. Was denken Sie, wenn Sie den Namen Erika Steinbach hören?

    Prawda: Ich denke, dass das Projekt, für das Erika Steinbach und der Bund der Vertriebenen steht, immer wieder ein Störelement in den Beziehungen darstellt. Für uns sind Zwangsaussiedlungen und der ganze Komplex nicht die zentrale Erfahrung des 20. Jahrhunderts. Das ist auch nicht die Variable, die uns alles andere erklärt. Deshalb haben wir Probleme mit dem Projekt, weil sie für eine Linie steht, die in der Vergangenheit diese Beziehungen vergiftete. Deshalb, wir beobachten eine gewisse Evolution. Aber was für mich wichtig wäre, das ist die Tatsache, dass es hier nicht um ein mögliches Verschweigen der Zwangsaussiedlungsproblematik geht, sondern um eine angemessene Form der historischen Erinnerung.

    Remme: Sie haben eben darauf hingewiesen, dass es immer wieder zu einer Störung kommt, wenn es um diese Themen geht wie die Pläne des Bundes der Vertriebenen für ein Zentrum gegen Vertreibungen. Sehen Sie eine dauerhafte Lösung zwischen den unterschiedlichen Ansichten Polens und des Bundes der Vertriebenen?

    Prawda: Also ich glaube, dass die Spannungen etwas abgebaut werden könnten, wenn die polnische Perspektive zu Wort kommt. Und es gibt Chancen dafür in Berlin, es gibt Projekte, Museen, Ausstellungen, wo wir auch unsere Perspektive der Geschichte auch präsentieren. Das ist ein Element. Andererseits denke ich, dass in der deutsch-polnischen Geschichte viel mehr steckt und nicht nur diese spezifische Erfahrung und dass die polnische Empathie nicht nur an diesem Projekt gemessen werden soll.

    Remme: Herr Prawda, Sie sprechen jetzt aus Berlin zu uns. Dort läuft seit einigen Wochen die Ausstellung "Erzwungene Wege", eine Ausstellung des Bundes der Vertriebenen, organisiert dadurch. Auch diese Ausstellung hat, obwohl sie europäische Vertreibungsschicksale aufzeigt, für massive Kritik in Warschau gesorgt. Haben Sie die Ausstellung gesehen?

    Prawda: Ja, ich habe sie gesehen, und ich glaube, dass diese Ausstellung noch vor 20 Jahren eine ganz andere gewesen wäre. Diese Ausstellung zeigt viele Perspektiven, zeigt auch die Erfahrungen in europäischen Ländern. Unser Problem beruht aber darauf, wie man eine Form der historischen Erinnerung findet und was eigentlich als zentrale Erfahrung des 20. Jahrhunderts angesehen wird. Für uns ist hier nicht die Zwangsaussiedlung, sondern Völkermord ein Zentralbegriff. Und deshalb werden wir diese Ausstellung immer durch dieses Prisma sehen.

    Remme: Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, erkennen Sie hier durchaus eine positive Entwicklung der vergangenen Jahre an.

    Prawda: Ja, ich glaube, dass diese Diskussion, die in den letzten 10, 15 Jahren gelaufen ist, auch zu Sensibilisierung auf beiden Seiten geführt hat.

    Remme: Wenn man die Beziehungen der letzten Jahre betrachtet abschließend, Herr Prawda, dann fällt auf, dass Ende der 90er im deutsch-polnischen Verhältnis schon viel von Normalität die Rede war, ja fast so, als wenn die Versöhnung von vielen als abgeschlossen betrachtet wurde. Hat man sich damals was vorgemacht?

    Prawda: Nein, ich glaube, wir haben immer noch viel gesunde Substanz in unseren Beziehungen. Wir haben auch einen Begriff der Interessengemeinschaft benutzt. Heute wissen wir, dass diese Interessengemeinschaft immer aufs Neue definiert werden sollte, dass es eine mobile Struktur ist. Deshalb würde ich für eine gereifte, für eine reife Partnerschaft heute plädieren. Und das wäre auch ein Weg, um das Erreichte zu bewahren.

    Remme: Marek Prawda war das, der neue Botschafter Polens in Berlin.