Meurer: Agnieszka Rochon ist die Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau. Guten Tag, Frau Rochon.
Agnieszka Rochon: Ja, guten Tag.
Meurer: Was bedeutet es denn für die Polen, dass der Papst seine erste große Auslandsreise - vom Weltjugendtag jetzt einmal abgesehen - in das Land unternimmt, aus dem sein Vorgänger stammt?
Rochon: Ich denke, für Polen bedeutet das sehr viel. Also das ist ein Zeichen, dass der neue Papst mit unserem polnischen Papst Johannes Paul II. sich verbunden fühlt. Und das ist nicht nur die Bestätigung in Worten, sondern auch in den Taten und die Bestätigung dessen, dass Polen für den neuen Papst auch sehr wichtig ist.
Meurer: Es wird natürlich viel über die Symbolik geredet, dass ein deutscher Papst in Polen so gut ankommt, gefeiert wird. Glauben Sie, dass Papst Benedikt sogar das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen etwas aufhellen kann?
Rochon: Das denke ich bestimmt. Also es gibt große Sympathiebekundungen für den Papst Benedikt. Und seine Worte, die jetzt das deutsch-polnische Verhältnis betreffen, werden sicherlich sehr aufmerksam angehört - nicht nur von den politischen Eliten, sondern auch von den Menschen.
Meurer: Wie gut oder schlecht ist denn das deutsch-polnische Verhältnis?
Rochon: Das deutsch-polnische Verhältnis - ach, das ist eine schwierige Frage. Es gibt eine sehr große Diskrepanz zwischen Einschätzungen zu bestimmten Fragen, die jetzt zur Verschlechterung des deutsch-polnischen Verhältnisses geführt haben, und einfach einer allgemeinen Sympathie. Also die Deutschen erfreuen sich an sich im Allgemeinen hoher Sympathiewerte, die ja auch wachsen. Also das ist zwischen 60 und 70 Prozent. Und dann natürlich spricht man wiederum, wenn man auf den politischen Alltag schaut, dass das Verhältnis sich sehr verschlechtert hat. Es geht hier um die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland zum Beispiel. Es geht auch zum Teil um die ganze Problematik der Vertriebenen, die in Polen und in Deutschland anders gesehen wird. Und natürlich in solchen Augenblicken zeigt sich ja auch, dass die Geschichte des Zweiten Weltkrieges trotzdem, dass der Krieg vor mehr als 60 Jahren beendet wurde, bei solchen heiklen Fragen eine sehr große Rolle spielt, zumal in Polen eine sehr große Rolle spielt.
Meurer: Leiden die Polen etwas heute darunter, sozusagen unter einer Missachtung der Deutschen und freuen sich dann umso mehr, wenn ein deutscher Papst jetzt dem Land seine Referenz erweist?
Rochon: Ja das ist, würde ich sagen, ein typisch polnischer Zug. Bei all diesen Fragen beziehungsweise Problemen, die ich vorhin erwähnt habe, war der Knackpunkt, dass in Polen ein Eindruck entstanden ist, dass diese Themen und die Gewichtung dieser Themen in Deutschland kaum eine Rolle spielt. In Polen waren zum Beispiel die polnischen Medien voll mit diesen Themen, mit Reportagen, mit Stellungnahmen von Philosophen, auch von Kirchenleuten, zum Beispiel zu dem Thema Vertreibung oder die Debatte, die in diesem Jahr stattfand, über die Bezeichnung "polnische Konzentrationslager". Und in Deutschland waren diese Themen in den Medien kaum besprochen.
Meurer: Als was wird Papst Benedikt gesehen? Als Papst oder als Deutscher oder als beides?
Rochon: Ich denke, er wird als beides gesehen, zum Beispiel in der Ansprache. Und deswegen ist dieser Besuch auch so wichtig. In der Ansprache des polnischen Präsidenten hat Herr Kaczynski betont, dass es vielleicht ein Zeichen ist, eine Vorsehung, dass der deutsche Papst nach dem polnischen gekommen ist und dass er eben nach Polen kommt.
Meurer: Gerade weil Sie Präsident Kaczynski ansprechen, in Deutschland ist ja ein bisschen mit Skepsis aufgenommen worden, mit wem die Kaczynski-Brüder eine Koalition eingegangen sind - mit sehr nationalistischen Kräften, europafeindlichen Kräften. Kann der Papstbesuch helfen, bestimmte Kräfte in Polen zu mäßigen?
Rochon: Das, denke ich, weniger. Weil, in Polen gibt es eine sehr große Diskrepanz zwischen den verbalisierten Beteuerungen, die man einfach öffentlich und offiziell sagt, und zwischen der Einstellung der einzelnen Parteien und Politiker. Ich möchte nur daran erinnern, dass jetzt an der Regierung europaskeptische oder europafeindliche - oder EU-feindliche - Parteien sind, und die hatten auch diese Einstellung in der vorherigen Legislaturperiode, zur Zeit, als noch der Papst Johannes Paul II. lebte. Und obwohl Johannes Paul II. für die europäische Idee, für die Erweiterung der Europäischen Union sich aussprach, hat das an der Position dieser Parteien nichts geändert.
Meurer: Wie interpretieren Sie die Aufforderung von Papst Benedikt an die polnische Kirche, sie solle, oder die Katholiken, sie sollten sich weniger in die Politik einmischen?
Rochon: Ich denke, das erwarten sehr viele Leute in Polen, dass diese Worte endlich kommen, und viele begrüßen es auch sehr. In Polen findet jetzt gerade anlässlich des Papstbesuches auch eine Debatte über die Werte und die Rolle der Kirche statt. Und hier ist die Mehrheit der Meinung, dass die Kirche natürlich Gläubigen Anweisungen geben soll - aber mehr, wie man lebt in der Realität und nicht, wie man sie politisch gestalten soll. Also das soll man dann trennen, hier der Meinung der meisten Menschen nach.
Meurer: Am Sonntag, am letzten Tag, wird Papst Benedikt in Auschwitz sein. Was erwarten Sie dort vom Papst?
Rochon: Einen nächsten Schritt bei der Versöhnung, und zwar nicht nur als eine Geste, sondern vielleicht auch noch ein Mosaiksteinchen zu dem Dialog, zu dem Verständnis - und zwar nicht nur zwischen Deutschen und Polen, sondern auch zwischen Polen, Katholiken, polnischen Juden, Juden, auch Roma-Minderheiten. Das wird hier auch erwartet als ein Zeichen.
Meurer: Das war Agnieszka Rochon. Sie ist die Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau. Frau Rochon, herzlichen Dank und auf Wiederhören.
Rochon: Nichts zu danken, Wiederhören.
Agnieszka Rochon: Ja, guten Tag.
Meurer: Was bedeutet es denn für die Polen, dass der Papst seine erste große Auslandsreise - vom Weltjugendtag jetzt einmal abgesehen - in das Land unternimmt, aus dem sein Vorgänger stammt?
Rochon: Ich denke, für Polen bedeutet das sehr viel. Also das ist ein Zeichen, dass der neue Papst mit unserem polnischen Papst Johannes Paul II. sich verbunden fühlt. Und das ist nicht nur die Bestätigung in Worten, sondern auch in den Taten und die Bestätigung dessen, dass Polen für den neuen Papst auch sehr wichtig ist.
Meurer: Es wird natürlich viel über die Symbolik geredet, dass ein deutscher Papst in Polen so gut ankommt, gefeiert wird. Glauben Sie, dass Papst Benedikt sogar das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen etwas aufhellen kann?
Rochon: Das denke ich bestimmt. Also es gibt große Sympathiebekundungen für den Papst Benedikt. Und seine Worte, die jetzt das deutsch-polnische Verhältnis betreffen, werden sicherlich sehr aufmerksam angehört - nicht nur von den politischen Eliten, sondern auch von den Menschen.
Meurer: Wie gut oder schlecht ist denn das deutsch-polnische Verhältnis?
Rochon: Das deutsch-polnische Verhältnis - ach, das ist eine schwierige Frage. Es gibt eine sehr große Diskrepanz zwischen Einschätzungen zu bestimmten Fragen, die jetzt zur Verschlechterung des deutsch-polnischen Verhältnisses geführt haben, und einfach einer allgemeinen Sympathie. Also die Deutschen erfreuen sich an sich im Allgemeinen hoher Sympathiewerte, die ja auch wachsen. Also das ist zwischen 60 und 70 Prozent. Und dann natürlich spricht man wiederum, wenn man auf den politischen Alltag schaut, dass das Verhältnis sich sehr verschlechtert hat. Es geht hier um die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland zum Beispiel. Es geht auch zum Teil um die ganze Problematik der Vertriebenen, die in Polen und in Deutschland anders gesehen wird. Und natürlich in solchen Augenblicken zeigt sich ja auch, dass die Geschichte des Zweiten Weltkrieges trotzdem, dass der Krieg vor mehr als 60 Jahren beendet wurde, bei solchen heiklen Fragen eine sehr große Rolle spielt, zumal in Polen eine sehr große Rolle spielt.
Meurer: Leiden die Polen etwas heute darunter, sozusagen unter einer Missachtung der Deutschen und freuen sich dann umso mehr, wenn ein deutscher Papst jetzt dem Land seine Referenz erweist?
Rochon: Ja das ist, würde ich sagen, ein typisch polnischer Zug. Bei all diesen Fragen beziehungsweise Problemen, die ich vorhin erwähnt habe, war der Knackpunkt, dass in Polen ein Eindruck entstanden ist, dass diese Themen und die Gewichtung dieser Themen in Deutschland kaum eine Rolle spielt. In Polen waren zum Beispiel die polnischen Medien voll mit diesen Themen, mit Reportagen, mit Stellungnahmen von Philosophen, auch von Kirchenleuten, zum Beispiel zu dem Thema Vertreibung oder die Debatte, die in diesem Jahr stattfand, über die Bezeichnung "polnische Konzentrationslager". Und in Deutschland waren diese Themen in den Medien kaum besprochen.
Meurer: Als was wird Papst Benedikt gesehen? Als Papst oder als Deutscher oder als beides?
Rochon: Ich denke, er wird als beides gesehen, zum Beispiel in der Ansprache. Und deswegen ist dieser Besuch auch so wichtig. In der Ansprache des polnischen Präsidenten hat Herr Kaczynski betont, dass es vielleicht ein Zeichen ist, eine Vorsehung, dass der deutsche Papst nach dem polnischen gekommen ist und dass er eben nach Polen kommt.
Meurer: Gerade weil Sie Präsident Kaczynski ansprechen, in Deutschland ist ja ein bisschen mit Skepsis aufgenommen worden, mit wem die Kaczynski-Brüder eine Koalition eingegangen sind - mit sehr nationalistischen Kräften, europafeindlichen Kräften. Kann der Papstbesuch helfen, bestimmte Kräfte in Polen zu mäßigen?
Rochon: Das, denke ich, weniger. Weil, in Polen gibt es eine sehr große Diskrepanz zwischen den verbalisierten Beteuerungen, die man einfach öffentlich und offiziell sagt, und zwischen der Einstellung der einzelnen Parteien und Politiker. Ich möchte nur daran erinnern, dass jetzt an der Regierung europaskeptische oder europafeindliche - oder EU-feindliche - Parteien sind, und die hatten auch diese Einstellung in der vorherigen Legislaturperiode, zur Zeit, als noch der Papst Johannes Paul II. lebte. Und obwohl Johannes Paul II. für die europäische Idee, für die Erweiterung der Europäischen Union sich aussprach, hat das an der Position dieser Parteien nichts geändert.
Meurer: Wie interpretieren Sie die Aufforderung von Papst Benedikt an die polnische Kirche, sie solle, oder die Katholiken, sie sollten sich weniger in die Politik einmischen?
Rochon: Ich denke, das erwarten sehr viele Leute in Polen, dass diese Worte endlich kommen, und viele begrüßen es auch sehr. In Polen findet jetzt gerade anlässlich des Papstbesuches auch eine Debatte über die Werte und die Rolle der Kirche statt. Und hier ist die Mehrheit der Meinung, dass die Kirche natürlich Gläubigen Anweisungen geben soll - aber mehr, wie man lebt in der Realität und nicht, wie man sie politisch gestalten soll. Also das soll man dann trennen, hier der Meinung der meisten Menschen nach.
Meurer: Am Sonntag, am letzten Tag, wird Papst Benedikt in Auschwitz sein. Was erwarten Sie dort vom Papst?
Rochon: Einen nächsten Schritt bei der Versöhnung, und zwar nicht nur als eine Geste, sondern vielleicht auch noch ein Mosaiksteinchen zu dem Dialog, zu dem Verständnis - und zwar nicht nur zwischen Deutschen und Polen, sondern auch zwischen Polen, Katholiken, polnischen Juden, Juden, auch Roma-Minderheiten. Das wird hier auch erwartet als ein Zeichen.
Meurer: Das war Agnieszka Rochon. Sie ist die Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau. Frau Rochon, herzlichen Dank und auf Wiederhören.
Rochon: Nichts zu danken, Wiederhören.