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Pop und Depression
"Lieber wäre ich mein Leben lang unkreativ"

Nur ein leidender Künstler ist ein guter Künstler. Diese Behauptung hält sich noch immer. Tatsächlich gibt es im Pop viele Musiker, die mit Depressionen zu kämpfen haben. Für die Betroffenen selbst ist ihr Zustand aber nichts, was man romantisieren sollte.

Von Christoph Reimann | 01.09.2016
    Tobias Bamborschke von Isolation Berlin bei der Veranstaltung "Pop & Depression" des Pop-Kultur-Festivals 2016 in Berlin
    Tobias Bamborschke von Isolation Berlin bei der Veranstaltung "Pop & Depression" des Pop-Kultur-Festivals 2016 in Berlin (Pop-Kultur/Annett Bonkowski)
    "Alles grau / alles grau in grau / Alles taub / alles taub, taub, taub"
    "Alles grau". Einer der vielen schwermütigen Songs von Isolation Berlin, geschrieben vom Sänger der Band, Tobias Bamborschke, Elbseglermütze auf dem Kopf, die Augen schwarz umrandet. Diese Lieder sind Ausdruck seiner Depression, wie Bamborschke am Rande der Veranstaltung "Pop & Depression" auf dem Berliner Popkultur-Festival erzählt:
    "Ich habe ewig darüber gemeckert, dass kein Mensch das ausdrückt, und alle Menschen waren mir zu positiv, alle Songs. Und dann habe ich irgendwann gedacht: Ja, dann schreib doch den Scheiß selber."
    "Sie sind jung, depressiv und wunderbar", hieß es in der Presse über Isolation Berlin und ihr Debüt "Und aus den Wolken tropft die Zeit". Depression als Gütesiegel. Tatsächlich hält sich noch immer hartnäckig die Behauptung, dass nur ein Künstler, der leidet, in der Lage ist, große Kunst zu schaffen. Wissenschaftlich gesichert ist das natürlich nicht. Aber gerade in der Popmusik gibt es zahlreiche bedeutende Musiker, die an Depressionen leiden oder litten: Amy Winehouse zum Beispiel, Kurt Cobain oder Ian Curtis von New Order. Der Kanadier Owen Pallett sang sogar mal vom "Geschenk der Depression".
    "The gift of your depression bears you down, down, down"
    Depressionen können kreativ machen, sagte Pallett, der an einer bipolaren Störung leidet, in einem Zeitungsinterview. Und fügte relativierend hinzu:
    "Wenn ich manisch bin, schreibe ich viele Songs, wenn ich depressiv bin, kann ich nicht arbeiten."
    Therapeuten raten ihren Patienten oft davon ab, ihre Depressionen publik zu machen. Nicht-Betroffene könnten sie ja sowieso nicht verstehen. Aber wenn Musiker ihr Leid teilen, können sie anderen eine Stütze sein. Diese Erfahrung machte der US-Amerikaner John Grant. Mit depressiven Episoden, seiner Alkohol- und Drogensucht ging er in seinen Songs immer offen um:
    "You can't get out of your bed because you're so depressed / No-one understands this and they think that you're a mess"
    "Ich habe schon viele Briefe von Leuten bekommen, die sich bei mir bedankt haben, dass ich so offen darüber rede. Also glaube ich auf jeden Fall, dass es anderen Leuten hilft. Aber ich glaube, dass es mir auch hilft, auf diesem Weg zu bleiben, auf dem ich mich befinde", sagt Grant.
    Popmusiker scheinen zur Depression zum Teil ein ambivalentes Verhältnis zu haben: Einerseits können depressive Verstimmungen Ausgangspunkt für tiefemotionale Songs sein - und das ist ein Qualitätsmerkmal im Pop, - andererseits können sie blockieren. In jedem Fall aber sind Depressionen ein psychisches Leiden, das nicht verklärt oder sogar romantisiert werden sollte. Vor allem das wird auf dem Panel "Pop & Depression" deutlich, auch wenn es sonst - trotz der verdienstvollen Intention - wenig neue Erkenntnisse liefert. Tobias Bamborschke von Isolation Berlin:
    "Es ist überhaupt nicht cool, depressiv zu sein. Lieber wäre ich mein Leben lang unkreativ, als noch mal so eine richtig schlimme depressive Phase durchleben zu müssen."