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Poppe: Jeder braucht eine zweite Chance

Als eine gewaltige Herausforderung hat die designierte Stasi-Beauftragte des Landes Brandenburg, Ulrike Poppe, ihr künftiges Amt bezeichnet. Die Beratung der Opfer der SED-Diktatur sei bislang zu kurz gekommen, sagte die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin. Viele hätten ihre Entschädigungsansprüche noch gar nicht geltend gemacht.

Ulrike Poppe im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.12.2009
    Friedbert Meurer: Stasi raus! Das haben gestern einige Demonstranten vor dem Landtag in Brandenburg skandiert. Allzu viele Demonstranten waren es nicht. 20 Jahre nach dem Ende der DDR bewegen die Menschen dort mehr die sozialen und wirtschaftlichen Probleme. Aber selbst Ministerpräsident Matthias Platzeck von der SPD räumt ein, seine rot-rote Regierung hat einen glatten Fehlstart hingelegt. Ein Abgeordneter der Linken nach dem anderen outet sich als ehemaliger Stasi-Mitarbeiter. Heute wählt der brandenburgische Landtag die frühere Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe zu seiner Stasi-Beauftragten.

    Der Landtag von Brandenburg, er wählt heute Ulrike Poppe zu seiner Stasi-Beauftragten. Frau Poppe war eine der bekanntesten Bürgerrechtlerinnen der ehemaligen DDR, bei uns ist sie jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Poppe.

    Ulrike Poppe: Guten Morgen.

    Meurer: Was bedeutet es für Sie persönlich, vor Ihrer eigenen Geschichte auch, jetzt die Beauftragte des Landtages Brandenburg zu werden?

    Poppe: Ja, das ist eine gewaltige Herausforderung, der ich mich nun mit 56 Jahren noch einmal stelle. Obwohl ich jetzt 18 Jahre lang in der Evangelischen Akademie eigentlich eine sehr, sehr schöne Tätigkeit hatte, habe ich mich doch nun noch mal entschlossen, etwas ganz anderes zu machen.

    Meurer: Wie sehr hat die Stasi Ihr Leben beeinflusst?

    Poppe: Ja, doch erheblich. Jedenfalls habe ich mit der Stasi zu tun gehabt seit ungefähr 1972. Als ich nach Berlin kam als junge Studentin, hatte ich meine ersten negativen Kontakte. Ich habe auch mal einen Anwerbeversuch erlebt und habe dem Gott sei Dank, obwohl ich noch sehr jung war, widerstanden. Und dann wurde ich operativer Vorgang und habe doch so einiges mitgemacht mit der Stasi.

    Meurer: In der letzten Zeit gibt es viele Fälle, relativ viele Fälle im Landtag von Brandenburg, dass Abgeordnete der Linken sich als Stasi-Mitarbeiter outen oder geoutet werden. Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen in den letzten Wochen?

    Poppe: Ich finde es erstaunlich, dass solche Fälle nach 20 Jahren noch hochkommen und auch so dermaßen stark in die Tagespolitik hineinwirken. Das zeigt mir: Manche scheinen ja doch über so einen langen Zeitraum Teile ihrer Vergangenheit noch verdrängt zu haben, oder versucht zu haben, unter dem Deckel zu halten. Ich meine, dass eigentlich die Gesellschaft inzwischen so weit ist, dass jedem durchaus eine zweite Chance eingeräumt wird, sofern er denn offen, er oder sie, mit der Vergangenheit umgeht. Aber offenbar finden immer noch viele nicht zu dieser Offenheit, weil sie denken, das lässt sich vielleicht ganz und gar verschweigen und kommt niemals ans Tageslicht.

    Meurer: Sie haben Angst um ihre Karriere. – Kann also jemand Landtagsabgeordneter sein, vielleicht sogar Regierungsmitglied, was in Brandenburg eher nicht der Fall ist, obwohl er bei der Stasi gearbeitet hat?

    Poppe: Das kommt meines Erachtens darauf an: einmal auf Art und Schweregrad der Stasi-Belastung. Da gibt es ja nun große Unterschiede. Das müsste man genau untersuchen, vielleicht auch das Lebensalter, die Lebensumstände, wie jemand da hineingeraten ist, wie lange die Tätigkeit und wie groß das Ausmaß des Verrates war. Aber auch und vielleicht sogar vor allem kommt es darauf an, meine ich, wie er später damit umgegangen ist, ob er offen darüber gesprochen hat, ob er sich damit auseinandergesetzt hat, ob er Reue zeigt, ob er irgendwie Konsequenzen gezogen hat aus den Verfehlungen. Ich meine, dass durchaus jeder eine zweite Chance auch braucht und ihm die gegeben wird, aber er muss sich dessen auch würdig erweisen und das muss auch ernst gemeint sein.

    Meurer: Das heißt, die Fraktionsvorsitzende der Linken, Kerstin Kaiser, die ja alles offengelegt hat, hätte also auch Regierungsmitglied werden können?

    Poppe: Das müssen diejenigen entscheiden, die dann die Regierungsmitglieder in ein Amt berufen, ob das dem Lande zuträglich ist und auch der Würde des Amtes entspricht, und das hängt wiederum genau von den eben genannten Faktoren ab.

    Meurer: Es gehört ja nicht zu Ihren Aufgaben, Frau Poppe, die Mitglieder des Landtages auf ihre Vergangenheit zu überprüfen, oder dann Entscheidungen zu treffen. Diese Kompetenz, hätten Sie die gerne bekommen als Stasi-Beauftragte?

    Poppe: Nein, auf keinen Fall. Ich werde nicht Entscheidungen treffen, ich werde auch nicht diejenige sein, die nun Stasi-Belastete jagt oder enttarnt, sondern meine Aufgabe besteht darin, Institutionen, öffentliche Stellen, Regierungsstellen, Parteien und so weiter zu beraten im Umgang mit Stasi-belasteten oder überhaupt politisch belasteten Menschen, Mitarbeitern.

    Meurer: Was sehen Sie als Ihre Aufgabe an für Ihr Amt in den nächsten Jahren?

    Poppe: Es ist ja ein Gesetz darüber erlassen worden, was so in etwa die Aufgaben umreißt, und das ist einmal die Beratung, die Opferberatung, die ja bisher wirklich zu kurz gekommen ist. Es gibt ja immer noch Menschen, die haben unter dem SED-Regime gelitten und noch nicht ihre Entschädigungsansprüche geltend gemacht, oder noch nicht durchsetzen können. Das wird einer meiner Schwerpunkte sein. Zum zweiten will ich aber auch – das habe ich schon genannt – die öffentlichen Stellen beraten im Umgang mit belasteten Stasi-Mitarbeitern. Ich will versuchen, die Auseinandersetzung über die Vergangenheit im Land zu fördern, durch Veranstaltungen, Ausstellungen, Projektförderungen und Ähnliches. Und schließlich will ich auch sehen, was man noch in den Schulen machen kann, oder bei der Lehrerbildung, um auch der nächsten Generation die Möglichkeit zu geben, doch zu erfahren, was Diktatur eigentlich bedeutet, um so eine Ahnung zu bekommen, welchen Wert die demokratischen Grundrechte haben, die wir heute so selbstverständlich hinnehmen.

    Meurer: Ministerpräsident Platzeck spricht ja von Versöhnung von Opfern und Tätern. Wenn Sie mit Opfern reden und selbst Opfer der Stasi sind, können Sie sich Versöhnung vorstellen?

    Poppe: Ich kann mir durchaus Versöhnung vorstellen, aber der Zusammenhang, in dem Ministerpräsident Platzeck darüber geredet hat, den finde ich doch etwas verfehlt.

    Meurer: Sie meinen den Hinweis auf die Waffen-SS, oder?

    Poppe: Nein, überhaupt, dass die rot-rote Regierung sozusagen so eine Art erster Schritt zur Versöhnung sein kann, oder so. Ich glaube, da bringt er was zusammen, was nicht zusammen gehört. Versöhnen kommt ja im biblischen Sinne von Versöhnen, das heißt Sühne leisten, Schuld abtragen, und da sind ja erst mal diejenigen gefragt, die Schuld auf sich geladen haben. Mir kam das so vor, als ob sozusagen Rot-Rot nun ein Appell ist an die Opfer, nun endlich mal sich versöhnungsbereit zu zeigen, aber ich glaube, das verkehrt das Verhältnis zwischen Opfern und Tätern. Es ist wirklich eine Anforderung an die Schuldiggewordenen, etwas abzutragen, und da muss es den Opfern auch erlaubt sein, genau hinzugucken, wie glaubwürdig das ist, wie diese Schuld abgetragen wurde. Da gibt es meines Erachtens berechtigte Zweifel, weil es immer noch viele Menschen gibt, die haben solche Schuld auf sich geladen, aber gehen damit erst dann offen um, wenn etwas bekannt wird.

    Meurer: Gut! – Schönen Dank! – Das war Ulrike Poppe, die heute zur Stasi-Beauftragten des Landes Brandenburg gewählt wird. Danke schön, Frau Poppe, und auf Wiederhören.

    Poppe: Auf Wiederhören!