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Popstars in Sierra Leone
Mit Musik gegen die Politik

Im westafrikanischen Land Sierra Leone diente die Popmusik lange Zeit vor allem der Unterhaltung. 20 Jahre nach einem verheerenden Bürgerkrieg hat sich die Kulturbranche verändert und Popstars übernehmen immer mehr politische Verantwortung.

Von Felix Lill |
Kein Stress, das sei alles, was er sich noch wünsche, singt Popstar Emmerson in seinem Hit aus diesem Jahr. Wenn man morgens aufwache und mal wieder als erstes erfahre, wie die Politiker das Land weiter ins Chaos reiten. Hört man diesen und andere Liedtexte von Emmerson, so wird der Wunsch nach weniger Korruption, gerechterer Verteilung und besseren öffentlichen Dienstleistungen immer wieder deutlich. Und in seiner Heimat Sierra Leone ist Emmerson damit ein Kind der Zeit. Das sagt jedenfalls Ahmed Nasrallah, Präsident des sierra-leonischen Journalistenverbands und einer der gefragtesten Kommentatoren im Land:
"Er ist einer unserer berühmtesten Musiker. Seine Musik ist im Prinzip Gesellschaftskritik. Wer auch immer gerade an der Macht ist, den wird er beobachten und in einem neuen Album die sozialen Probleme erwähnen, die Korruption und so weiter. Er ist ein bisschen so wie früher Fela Kuti in Nigeria. Was die gesellschaftliche Rolle eines Künstlers angeht, ist er der Idealtyp, würde ich sagen."

"Korrupte Ratten"

Auch in anderen Liedern geht Emmerson in die Offensive. In "Two Foot Arata" vergleicht er die führenden Politiker als "korrupte Ratten". Nach dem Human Development Index gehört das westafrikanische Land mit 8 Millionen Einwohnern zur Kategorie der ärmsten der Welt. Und das, obwohl die Hauptstadt Freetown durch ihre Lage großes Potenzial als Hafen hätte.
Im Landesinneren befinden sich außerdem große Diamantenvorkommen. Für die bestehende Armut macht die zahlenmäßig große Generation jüngerer Menschen oft die Politik verantwortlich. Schließlich waren deren Verfehlungen vor 30 Jahren mitentscheidend dafür, dass in Sierra Leone ein elf Jahre währender Bürgerkrieg ausbrach.

Verheerende Auswirkungen

Als der Anfang 2002 endete, waren 70.000 Menschen gestorben; 2,6 Millionen hatten ihr Zuhause verloren. Auch weil Kinder damals bewaffnet an Straßenkämpfen teilnahmen, statt zur Schule zu gehen, hinkt Sierra Leone bis heute seinen Möglichkeiten hinterher. Dass sich Popstars des Landes bei politischen Themen zu Wort melden, ist erst seitdem zu beobachten, so Ahmed Nasralla:
"Das ist eine Tendenz nach dem Krieg. Vorm Krieg hatten wir eher Musiker, die sangen, um die Leute zu unterhalten und so weiter. Aber weil es heute vielen jungen Menschen an Möglichkeiten mangelt, nutzen sie die Musik auch dazu, um ihre Frustrationen rauszulassen."
In den Augen von Ahmed Nasralla sind diese Entwicklungen aber nicht ausnahmslos positiv. Denn anders als Emmerson hält er andere Stars nicht für politisch unabhängig. In dem Lied "Pay You Tax" fordert etwa der von der regierenden Partei unterstützte Kao Denero, dass jeder für die Projekte der Regierung seine Steuern zahle.
Ein anderer bekannter Rapper, Colabo, musste sich zuletzt zu Korruptionsvorwürfen mit der vorigen Regierung erklären. In einem seiner Lied rappt er darüber, wie leicht er an Geld kommt.
Nasralla dazu: "Mit der Zeit haben Politiker und Medienanstalten die Arena des Pop betreten. Viele Musiker werden benutzt, um persönliche Anliegen von Politikern voranzutreiben."

Verstöße gegen die Verfassung

Colabo zum Beispiel. Um ihn herum gibt es eine Gruppe, die den vorigen Präsidenten und dessen Partei "All People’s Congress" an der Macht halten wollte, und unterstützten, dass er ein drittes Mal kandidiert, obwohl das gegen die Verfassung verstößt.
Rapper Kao Dennero arbeitet für die jetzige Regierungspartei, die "Sierra Leone People’s Party", als Musikbotschafter. Die Eroberung der Popmusik durch die Politik ist einerseits ein effektives Werben um Wähler, da 60 Prozent der Bevölkerung jünger als 25 sind. Aber Ahmed Nasralla sieht auch die Gefahr, dass auf diese Weise wieder Ressentiments aufleben, die man überwunden glaubte.

Das Friedensmuseum

"Musik ist doch nur eine Form zu kommunizieren", sagt dagegen Abubakarr Koroma, der für das Friedensmuseum in Freetown arbeitet. Komora hat schon von Berufswegen einen Anreiz, nicht allzu kontrovers zu sprechen. Das Friedensmuseum erzählt die Geschichte des Bürgerkriegs. In der Bemühung, hier ein Narrativ zu finden, das niemanden provoziert, steckt viel Diplomatie. Das Credo, das an den Wänden des einstöckigen Ausstellungszentrums zu lesen ist, heißt: Alle Menschen tragen irgendwie eine Mitschuld.
Dabei steckt in der Popmusik von heute viel sozialer Zündstoff. Als Auslöser für den Bürgerkrieg führt das Museum nämlich das an, was in den Songs von heute oft zu hören ist: schlechtes Regieren, Ungerechtigkeit, politische Einschüchterung, Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen, Nepotismus, Analphabetismus, Korruption.

Mit Musik zum Ziel

Für Abubakarr Koroma fördern Popmusiker des Landes heute aber die Meinungsfreiheit. Und sie sind längst Vorbild geworden. Unter jungen Menschen hört man als Traumberuf immer wieder Fußballprofi oder Popstar. Beides gilt als schneller Weg aus der Armut.