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Populationsimmunität bei Sars-CoV-2
Was besagen Antikörperstudien?

Seroepidemiologische Studien sollen zeigen, wie viele Menschen in der Bevölkerung schon eine Infektion mit Sars-CoV-2 durchgemacht haben. Die ersten Ergebnisse solcher Studien fallen sehr unterschiedlich, zum Teil sogar widersprüchlich aus. Weiterhin unklar ist die Verbreitung von T-Zell-Immunität.

Von Christine Westerhaus | 14.07.2020
03.07.2020, Baden-Württemberg, Reutlingen: Blutabnahmeröhrchen stehen in einem Testzentrum des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung für eine bundesweite Corona-Antikörper-Studie in einem Rack. Das Institut hat eine Studie mit bundesweit rund 60 000 Probanden begonnen. In einer ersten Runde ist demnach vorgesehen, bis zu 3000 erwachsene Einwohner des Landkreises Reutlingen zu testen. Foto: Marijan Murat/dpa | Verwendung weltweit
Antikörpertest in Deutschland: Blutabnahmeröhrchen stehen in einem Testzentrum des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung für eine bundesweite Corona-Antikörper-Studie (picture alliance/Marijan Murat/dpa)
42 Prozent in Ischgl, sogar über 50 Prozent in Bergamo. In Regionen, die besonders hart von der Corona-Pandemie getroffen wurden, belegen auch seroepidemiologische Studien: Ein großer Teil der dortigen Bevölkerung hat die Krankheit bereits durchgemacht. Studien aus anderen Regionen lieferten hingegen enttäuschende Werte.
In Stockholm hatten nur knapp 15 Prozent der Getesteten Antikörper gegen das Virus. In ganz Spanien, in einer kürzlich erschienenen Studie, sogar nur fünf Prozent. Obwohl auch dieses Land zu Beginn der Pandemie sehr hohe Infektions- und Todeszahlen hatte. Für Gerard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig sind diese unterschiedlichen Ergebnisse dennoch nicht überraschend:
"Das ist erst mal gar nicht widersprüchlich, denn Ischgl und Bergamo waren ja wirklich Hochinzidenzsituationen, wo ungewöhnlich viele Menschen erkrankt sind, schwer erkrankt sind. Dass man dann dort eine hohe Durchseuchung findet, ist erst mal zu erwarten. (…) Das bedeutet – und das können wir auch unmittelbar nachvollziehen aus unserer Beobachtung – dass der Anteil der Betroffenen in der Bevölkerung punktuell unglaublich hoch sein kann, so wie bei diesen Hotspots, aber allgemein in der Bevölkerung doch eher gering ist."
Nahaufnahme einer behandschuhten Hand, die ein Fläschchen mit der Aufschrift "Covid-19" hält.
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60 bis 70 Prozent oder nur 40 Prozent?
Damit sich das Virus in einer Population nicht mehr ausbreiten kann, müssen im Falle von Covid-19 Schätzungen zufolge 60 bis 70 Prozent der Menschen immun gegen das Virus sein. Erst dann ist eine so genannte Populationsimmunität erreicht. Zwar haben Forscher berechnet, dass ein solcher Ansteckungsschutz möglicherweise auch schon bei einer Durchseuchungsrate von 40 Prozent in der Bevölkerung erreicht ist. Doch die bisherigen Studien zeigen, dass solche Werte bislang nur regional in sogenannten Hotspot-Gebieten erreicht werden:
"Das Gesamtbild bis jetzt zeigt, dass vergleichsweise wenig Menschen Antikörper nachweisbar haben, dass der Anteil der Bevölkerung, bei denen Antikörper nachweisbar sind, eher gering ist, also unter zehn Prozent in der Regel, und dass wir davon ausgehen müssen, dass deswegen der Anteil der Menschen, die schon eine Infektion durchlaufen haben, noch vergleichsweise gering ist", so Krause.
Nachweis von T-Zell Immunität
Möglicherweise zeichnen Antikörpertests, mit denen Forschende den Grad der Durchseuchung in der Bevölkerung ermitteln, aber nur ein unvollständiges Bild. Denn der Körper kann auf zwei Wegen auf eine Virusinfektion reagieren. Einmal durch die Produktion von Antikörpern, die ja in den seroepidemiologischen Studien gemessen werden. Zum anderen durch eine T-Zell Antwort, bei der spezialisierte Immunzellen die Viren angreifen. Der Nachweis dieser auch "zelluläre Immunantwort" genannten Reaktion ist jedoch deutlich komplizierter, als bei Antikörpern:
"Da liegt unser Problem: Wir können diese zelluläre Immunität noch nicht so im großen Stil, in großer Menge und zuverlässig, reproduzierbar messen und wir müssen davon ausgehen – oder dürfen zum Glück davon ausgehen – dass mehr Leute bereits über einen Immunschutz verfügen, als dass sie Antikörper haben. Das bedeutet: Selbst wenn man Antikörper nicht mehr nachweisbar hat, aber die Infektion durchlaufen hat, können wir davon ausgehen, dass ein guter Teil dieser Menschen trotzdem über Schutz verfügt. Leider können wir den jetzt nicht so gut messen, mit dem was uns momentan zu Verfügung steht an Messwerten oder Messverfahren", sagt Krause.
T-Zell-Immunität ohne Antikörper
Forscher des Karolinska Instituts in Stockholm haben sich diese Mühe kürzlich dennoch gemacht. In einer kleinen Studie haben sie die Blutproben von 2.000 Menschen in Stockholm untersucht und auch nach Hinweisen auf eine T-Zell Immunität gegen Sars-Cov-2 gefahndet. Dabei haben sie gesehen, dass manche Personen zwar keine Antikörper hatten, aber dennoch eine T-Zell-Immunität aufwiesen. Dies war vor allem bei Menschen der Fall, die nur sehr milde oder kaum nachweisbare Symptome gezeigt hatten. Der tatsächliche Prozentsatz an Personen, die immun gegen Sars-Cov2 sind, könnte also deutlich höher liegen, als es die letzte Antikörper Studie nahelegt hat.
"In den neuesten Messungen hat sich gezeigt, dass in Stockholm und Umgebung ungefähr 15 Prozent Antikörper gegen Sars-Cov-2 hatten. Wir sehen aber in unseren Untersuchungen, dass bis zu 30 Prozent eine T-Zell Immunantwort entwickelt haben. Unsere Schätzung ist daher, dass möglicherweise etwa doppelt so viele Personen eine T-Zell-Immunität aufweisen wie Antikörper haben", sagt Hans-Gustaf Ljunggren vom schwedischen Karolinska Institut.
Entwicklung von Nachweisverfahren für T-Zell-Aktivität
Bislang hätten sie jedoch nur 2.000 Personen untersucht, gibt Hans-Gustaf Ljunggren zu Bedenken: Um quantitative Aussagen darüber zu machen, wie viele Menschen tatsächlich über die Aktivität der T-Zellen einen gewissen Immunschutz haben, braucht es größere Studien. Zudem ist der Artikel bislang nur auf einem Preprint-Server zugänglich, also noch nicht extern begutachtet worden. Dennoch gibt es bereits Unternehmen, die an Nachweisverfahren für die T-Zell-Aktivität gegen Sars-Cov-2 arbeiten. Womöglich zeigen solche Tests, dass manche Länder schon auf einem guten Weg sind, eine Immunität auf Populationsebene zu entwickeln. Deutschland gehört aufgrund der geringen Infektionszahlen vermutlich nicht dazu.
Doch einen erneuten Lockdown hält Gerard Krause auch hierzulande für die falsche Strategie, falls im Herbst eine zweite Welle kommen sollte: "Da gibt es jetzt schon wieder neue Diskussionen, mit neueren Shutdowns, die also tatsächlich wieder in Erwägung gezogen werden. Und da weiß ich nicht, ob das unsere globale Gesellschaft durchhält."
Gerard Krause plädiert stattdessen dafür, Gesundheitsämter besser auszustatten. Denn dann könnten Infektionsketten nachverfolgt und neue Ausbrüche effektiver verhindert werden.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2