Pfarrer Mussie Zerais kümmert sich seit Jahren um Flüchtlinge und das hat sich herumgesprochen. Die Handynummer des Eritreers soll auf vielen Booten stehen, die auf dem Mittelmeer unterwegs sind. Eine Art inoffizielle Notrufnummer Mussie Zerais hat schon Hunderten von Flüchtlingen das Leben gerettet. Die aktuelle Debatte um die Flüchtlingskrise hält Zerais für notwendig. Doch er warnt davor, dass die europäischen Staaten falsche Akzente setzen:
"Die jüngsten Vorschläge von EU-Kommissionspräsident Junker gehen in die richtige Richtung. Natürlich gibt es Verbesserungsbedarf. Aber viel wichtiger ist, dass die EU-Staaten nun mitziehen. Ich sehe eine Gefahr. Selbst hier bei unserer Debatte in Lissabon habe ich immer wieder gehört, dass man mehr Geld für den Grenzschutz ausgeben will. Das heißt den Schwerpunkt der Flüchtlingskrise sieht man immer noch nicht bei den Menschen, Flüchtlingen, Asylbewerbern, sondern bei der Art und Weise, wie Grenzen besser befestigt werden können. Das muss sich ändern."
"Migration fair und intelligent bewältigen"
Die Union für den Mittelmeerraum hat in Lissabon einen Zehn-Punkte-Plan vorgestellt. Darin fordern die Parlamentspräsidenten mehr Mittel für humanitäre Hilfe und einen Verteilungsschlüssel. Die europäischen Staaten sollen mehr Flüchtlinge und Migranten auf legalem Weg aufnehmen können. Die portugiesische Gastgeberin und Parlamentspräsidentin Maria da Assunção Esteves betont, dass die Lösung des Flüchtlingsproblems für die Zukunft Europas entscheidend sei:
"Das Thema hat zwei Seiten, die eng miteinander verknüpft sind. Zunächst gibt es die humanitären Prinzipien und darunter fällt auch die Frage, wie wir mit der Migration umgehen. Migration kann nicht verhindert, aber sie kann intelligent und fair bewältigt werden. Europa hat ein Interesse daran, neue legale Wege der Einwanderung zu öffnen. Wir haben in Europa ein demografisches Problem, und deshalb müssen wir die Integration der Migranten fördern, denn mit ihrer Hilfe können wir unsere demografischen Ungleichgewichte in Europa ausgleichen. Deshalb haben wir hier in Lissabon neue Quoten für Asylbewerber gefordert. Und an diese neuen Quoten wird sich Portugal selbstverständlich halten.
Im Gegensatz zu anderen südeuropäischen Staaten gibt es in Portugal nur sehr wenige Flüchtlinge. Im vergangenen Jahr zählten die Behörden ganze 442 Asylanträge – gemessen an der Bevölkerung gibt es in keinem EU-Land weniger.
Portugal ist kein Anziehungspunkt für Flüchtlinge
Die Soziologin Cristina Santinho vom Lissabonner Universitätsinstitut ISCTE zählt mehrere Gründe dafür auf, dass Portugal von Flüchtlingen aus Afrika, Asien oder aus dem Nahen Osten nicht angesteuert wird. Das Land liege am Atlantik, also fern der Schlepperrouten, die über das Mittelmeer führen. Es gäbe nur wenige Flugverbindungen mit Ländern, aus denen die Menschen fliehen. Und schließlich seien da noch die Wirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit:
"Die Flüchtlinge, die nach Europa kommen, sind auf der Suche nach einem Arbeitsplatz. Also gehen sie dorthin, wo es Arbeit gibt und wo sie vielleicht schon Angehörige haben. Denn die Familien sind nicht nur emotional wichtig, sondern helfen auch bei der Arbeitssuche."
Die gesetzlichen Grundlagen sind in Portugal für Flüchtlinge günstig. Es gibt kaum Abschiebungen, eine vorläufige Arbeitsgenehmigung wird relativ schnell erteilt und nach sechs Jahren kann jeder Ausländer die portugiesische Staatsangehörigkeit beantragen. Trotzdem bleiben viele Flüchtlinge nicht lange in Portugal, sondern ziehen weiter nach Mittel- und Nordeuropa. Daran, so Cristina Santinho, sei auch der portugiesische Staat schuld. Denn viele Integrationsmaßnahmen wie kostenlose Sprachkurse oder die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen würden nicht konsequent umgesetzt. Die Flüchtlingsexpertin glaubt deshalb, dass Portugal nur dann mehr Asylbewerber aufnehmen kann, wenn die Regierung mehr Geld in die Hand nimmt. In Zeiten leerer Staatskassen wird das wohl Wunschdenken bleiben.