Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv


Portugal vor den Präsidentschaftswahlen

Am Sonntag wählt Portugal einen neuen Präsidenten. Amtsinhaber Aníbal Cavaco Silva ist klarer Favorit. Doch der Wahlkampf wird von einer Person mitgeprägt, die zum letzten Mal versucht, die Ideale der Nelkenrevolution mit auf die politische Bühne zu heben: Der Poet und Sozialist Manuel Alegre.

Von Thilo Wagner | 21.01.2011
    Politik geht in Portugal durch den Magen. Kaum einer der sechs Kandidaten, die an diesem Sonntag von rund 9,5 Millionen Portugiesen gewählt werden können, verzichtet im Wahlkampf auf große Mittagsbankette mit Unterstützern. Der Sozialist Manuel Alegre hat in einen Gutshof nach Palmela eingeladen, rund 30 Kilometer südlich von Lissabon. Das moderne Restaurant hat den Charme eines auf Hochzeiten und Familienfesten spezialisierten Massenbetriebs. Und wären da nicht die blau-weißen Kachelbilder an den Wänden, würde der Bezug zu Portugal komplett fehlen.

    Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. An einem Stehtisch sammeln sich eine Handvoll Gewerkschafter. Schließlich ergreift Manuel Alegre das Wort, um über die Finanzkrise und die Gefahren für die portugiesische Demokratie zu reden. Er ist mittlerweile 74 Jahre alt, aber der wohl gestützte graue Backenbart und seine dunklen Augen geben ihm immer noch den Anschein von ritterlicher Eleganz. Das passt auch zu seiner Rede. Denn der Dichter und Politiker sieht sich als Garant eines sozialen Gleichgewichts. Die Gefahr, so Alegre, kommt von rechts, in der Person des Amtsinhabers Cavaco Silva:

    "Wenn die Rechte die gesamte politische Macht an sich reißt, die sozialen Grundrechte aushöhlt und die öffentliche Verwaltung verstümmelt, dann wäre das nicht mehr unsere Demokratie, die in der Nelkenrevolution entstanden ist. Das wäre dann ein Regime, in dem sich die großen wirtschaftlichen und finanziellen Interessen wiedersehen. Und das sind genau diejenigen, die im Schatten der Salazar-Diktatur unser Land kontrolliert haben, und jetzt die politische Macht an sich reißen wollen."

    Manuel Alegre gehört zu einer Gruppe von Politikern, die ihre Lehrjahre im Kampf gegen das autoritäre Salazar-Regime durchliefen und im Exil den Aufbau der portugiesischen Demokratie vorbereiteten. Nach dem Tod des legendären Kommunistenführers Álvaro Cunhal und dem Rückzug des politischen Urgesteins Mário Soares nach der verlorenen Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren, scheint Alegres diesjähriger Wahlkampf wie das letzte Aufbäumen seiner Generation. Sein Leben habe ihn krisenfest gemacht, sagt Alegre, und diese Erfahrung kann er als Präsident den Portugiesen weitergeben:

    "Es ist absolut notwendig, dass wir den Portugiesen in diesen Krisenzeiten neue Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben. Es gibt ein Leben nach dem Sparkurs und nach der Rezension. Wir werden neue Ansätze im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich finden. Und wir verteidigend die Werte der Nelkenrevolution, die in unserer Verfassung stehen: Demokratie, soziale Grundrechte und die Existenz von staatlichen Betrieben."

    In Zeiten, in denen die hohe Staatsverschuldung und der internationale Druck auf Portugal kaum Spielraum im Konsolidierungskurs der Regierung zulassen, klingen Manuel Alegres Reden etwas weltfremd. Zumal Amtsinhaber Cavaco Silva als Wirtschaftsprofessor und ehemaliger Finanzminister das Vertrauen einer Mehrheit von Portugiesen genießt, das Land durch das unruhige Fahrwasser der Finanzkrise mitzulenken. Alegre hält dagegen:

    "Cavaco Silvas Erfahrung in Wirtschaftsfragen hat uns kein Stück weitergebracht. Diese Illusion hat Cavaco in seiner ersten Amtszeit geschaffen. Doch der Präsident in Portugal regiert nicht. Schließlich war Cavaco die letzten fünf Jahre Präsident und wir sitzen trotzdem in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise."

    Der Politologe André Freire von der Universität Lissabon, der gerade ein Buch über die Macht des portugiesischen Präsidenten veröffentlich hat, gibt Manuel Alegre zwar Recht. Aber die Verfassung gewährt dem Präsidenten auch nur einen gewissen Spielraum: :

    "Der Präsident ist ein Moderator, eine Art Schiedsrichter. Er tritt für den rechtmäßigen Umgang mit der Verfassung ein und überwacht diesbezüglich das Handeln der Regierung. Aber er selbst regiert nicht."

    Die Chancen für Manuel Alegre stehen dennoch schlecht. Laut jüngsten Umfragewerten könnte Cavaco Silva gleich im ersten Wahlgang im Amt bestätigt werden. Dahinter steckt auch die Hoffnung vieler Portugiesen, die mit der sozialistischen Minderheitsregierung unzufrieden sind und die sich von Cavaco Silva wünschen, möglichst bald das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Denn bei aller Zurückhaltung, die ein Präsident im alltäglichen politische Geschäft in Portugal zu zeigen hat, schreibt ihm die Verfassung dennoch das Recht zu, der Regierung das Vertrauen zu entziehen.