Simon: Herr Bagci, ist das ein entgültige Nein zur Stationierung von Soldaten?
Bagci: Es sieht wenigstens so aus, als ob in dieser Woche diese Resolution nicht herauskommen wird, wie heute morgen in der türkischen Presse zu sehen war, aber auch weil nächste Woche am Sonntag die Wahlen, also die Zwischenwahlen stattfinden werden, wo der Kandidat der AKP Tayyip Erdogan sehr wahrscheinlich gewählt wird und es dann zu einer neue Regierungsbildung kommen wird. Deswegen kann man ruhig sagen, dass so etwas in den kommenden zwei Wochen sehr wahrscheinlich nicht der Fall sein wird.
Simon: Wie geht denn die Regierung und der gerade von Ihnen angesprochene heimliche Regierungschef Tayyip Erdogan, der Parteichef, mit dieser schwierigen Situation um?
Bagci: Es ist natürlich interessant, dass diese Entscheidung sowohl in der Türkei wie auch im Ausland großes Aufsehen erregt hat, aber auch auf der anderen Seite, dass es zum ersten Mal in der türkischen Demokratie der Fall gewesen ist, dass die Abgeordneten selbst ohne Druck von der Partei entschieden haben. Das sieht man als einen großen Erfolg der türkischen Demokratie. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich ein großer Schlag für das türkisch-amerikanische strategische Befinden. Die amerikanische Regierung muss natürlich auch von jetzt an die Türkei so akzeptieren, dass die Türkei eine ernst zu nehmende Demokratie ist und dass man die Entscheidungen im Parlament trifft und dass das Parlament alles entscheidet. Ich gehe aber davon aus, dass die türkisch-amerikanischen Beziehungen natürlich weiter bestehen werden, nur die amerikanische Operation höchstwahrscheinlich ohne die Türkei stattfinden wird, aber natürlich auch die Lage der amerikanischen Soldaten in der Türkei irgendwie geklärt werden müsste. Wie das geklärt wird, wie die Regierung darauf reagiert, werden wir in den kommenden Tagen sehen.
Simon: Herr Bagci, aber irgendwelchen feststellbaren Druck von Seiten der Regierung, von Seiten der Regierungspartei AKP auf die Abgeordneten gibt es nicht?
Bagci: Wenn es ihn gegeben hätte, dann wäre die Resolution schon durchgegangen. Wie man sehen kann war das nicht der Fall. Sogar in der Regierung haben abgeordnete Minister ihr Nein gegeben und das ist natürlich interessant für die türkische Demokratie. Man hat das nicht erwartet. Das ist eine Überraschung.
Simon: Und es wird allgemein als eine positive Überraschung im Land erfunden?
Bagci: Spätestens seit Samstag ja. Es wird in der Türkei sehr positiv angenommen und man erwartet, dass, auch wie heute Morgen der AKP-Führer Erdogan gesagt hat, die Entscheidung doch so angenommen werden müsste wie sie gefallen ist. Deswegen sollte es nicht die bisherigen Beziehungen zwischen der Türkei und Amerika verletzten, obwohl es natürlich für die Amerikaner sehr schwierig sein wird, diese Realität zu akzeptieren.
Simon: Im Austausch für die Stationierung hatten die USA der Türkei ja großzügige, finanzielle Zusagen gemacht. Ecs war die Rede von 30 Milliarden Dollar. Wie weit kann es sich denn die türkische Regierung leisten, diesen Wunsch abzuschlagen und die finanziellen Folgen zu tragen? Die Türkei ist ja in einer Finanzkrise.
Bagci: Das ist richtig, aber auf der anderen Seite gibt es auch die Meinung, die besagt, dass das türkische Volk nicht mit dem Geld zu kaufen sei. Es ist ja ein Image entstanden, dass die Türkei einfach gegen Blutgeld verhandelt und das hat natürlich auch die türkische Öffentlichkeit, aber auch die türkischen Abgeordneten, sehr stark verletzt und das ist auch eine Reaktion gegen solche Nachrichten und gegen ein solches Image. Deswegen bleibt es eine Realität, dass die Türkei wirtschaftlich in einer Krise ist und sich auch weiterhin befinden wird, aber es ist auch eine Tatsache, dass das türkische Volk oder das türkische Parlament es einfach abgelehnt hat, gegen Geld zu verhandeln. Deswegen ist das auch im Auge der internationalen Öffentlichkeit eine Image-Verbesserung.
Simon: Herr Bagci, die Türkei ist traditionell ein treuer Bündnisgenosse der USA. Kann das Land denn eine Rolle als Buhmann mit Negativimage in den USA aushalten, so wie es zum Beispiel derzeit Deutschland und Frankreich ergeht?
Bagci: Ich denke nicht aus dem Grunde, wie Europa die Türkei sieht. Diese Haltung der Türkei, des türkischen Parlaments ist eher auf derselben Linie wie die der europäischen Staaten, also Deutschland und Frankreich. Deswegen wird es auch eine sehr positive Entwicklung für die türkisch-europäischen Beziehungen haben. Das heißt, die Türkei wird mehr und mehr zu einem Dialog, zu einem Konsens kommen und diese politische Kultur wird in der Türkei auch Fuß fassen. Die Amerikaner sollten sowohl mit einem neuen Europa als auch mit einer neuen Türkei ab jetzt verhandeln und es sollte nicht unbedingt so verstanden werden, dass es gegen Amerika ist. Aber die Verhältnisse ändern sich und das Volk ändert sich und die Amerikaner müssen mit diesen neuen Tatsachen konfrontiert werden und es wird auch weiter so bleiben. Ich denke, dass in den nächsten Tagen so eine Resolution nicht wieder ins Parlament kommen wird. Die Amerikaner müssen diese Tatsache anerkennen und weiterhin mit der Türkei in verschiedenen Bereichen in Verbindung bleiben. Das ist keine feindliche Haltung der Türkei gegenüber Amerika, denke ich.
Simon: Herr Bagci, lässt sich denn absehen, wie sich die Türkei, wenn ein Krieg gegen den Irak ausbricht, in Sachen Nordirak, Kurden im Nordirak, verhalten wird? Wird sie einmarschieren?
Bagci: Das wird sehr wahrscheinlich, zumindest so wie es zur Zeit aussieht, nicht der Fall sein. Solange die Türkei nicht mit den Vereinigten Staaten mitmacht, kann sie natürlich nicht ohne internationale Legitimität hineinmarschieren. Deswegen ist das natürlich eine neue Situation hier. Wie sich die türkische Regierung und das türkische Militär verhalten werden, werden wir alle sehen. Aber wie es zur Zeit aussieht, wird die Türkei nicht allein in den Norden einmarschieren. Das wird nicht der Fall sein.
Simon: Hyseyin Bagci war das von der Universität Ankara. Herzlichen Dank für diese Informationen und auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio