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Poß: Kanzlerin ist Opfer ihrer eigenen Taktik

Kanzlerin Merkel sei in ihrer Koalition nicht handlungsfähig, daher seien die geplanten EZB-Anleihenkäufe "Ersatzhandlungen" der Regierung. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD kritisiert, dass diese Käufe zu einer Vergemeinschaftung der Schulden führe. Dieses verschweige Merkel aber.

Joachim Poß im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 30.07.2012
    Tobias Armbrüster: Zwischen der Europäischen Zentralbank und der Bundesbank deutet sich seit Ende vergangener Woche ein veritabler Streit an. EZB-Chef Mario Draghi hat angekündigt, dass seine Bank alles tun werde, um den Euro zu retten. Viele haben das interpretiert als Ankündigung für einen massenhaften Ankauf von spanischen Staatsanleihen. Aus der Bundesbank wurde das kritisch kommentiert. Eine solche Intervention sei "problematisch", hieß es aus Frankfurt. Und gestern nun hat sich ja auch Horst Seehofer, der CSU-Vorsitzende, in die Auseinandersetzung eingeschaltet.

    Armbrüster: Am Telefon ist Joachim Poß, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag, zuständig für Finanz- und Haushaltspolitik. Guten Morgen, Herr Poß!

    Joachim Poß: Guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Poß, hat Horst Seehofer recht? Sollte die EZB ihre Finger von spanischen Staatsanleihen lassen?

    Poß: Herr Seehofer hat nur bedingt recht, vor allen Dingen ist er einer der Schuldigen an dieser Situation, indem er ja mit Denkverboten auch die Handlungsmöglichkeiten dieser schwarz-gelben Koalition mit einengt, führt er die Situation herbei, dass die EZB handeln muss. Das sind alles Ersatzhandlungen. Das heißt, die EZB betätigt sich als Handlanger für Frau Merkel, die wiederum nicht handlungsfähig ist in ihrer Koalition, auch wegen des Populismus von Seehofer und Rösler, der verantwortungslos daher schwatzt - so kommt alles zusammen. Und das führt zu einer Situation, die dann Herr Seehofer wiederum, durchaus berechtigt, beklagt. Dass wir eine Vergemeinschaftung der Schulden erleben auf diesem Wege über die EZB, das verschweigt die Kanzlerin allerdings den Deutschen. Dass wir auf diesem Wege eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden bekommen. Und zwar ohne Konditionierung und ohne Auflage. Also man kann sagen, dass die Kanzlerin auch Opfer ihrer eigenen Taktik wird und Taktiererei an dieser Stelle. Sie orientiert nicht, sie orientiert nicht die eigene Koalition. Das haben wir ihr schon oft in den letzten zwei Jahren vorgeworfen. Und das führt auch zu diesem geistigen Durcheinander, das da zu beklagen ist. Und dieses geistige Durcheinander in der schwarz-gelben Koalition wird zurecht von europäischen Staatsmännern wiederum beklagt.

    Armbrüster: Ja, Herr Poß, würde denn die SPD das unterstützen, wenn die Europäische Zentralbank zugunsten von Spanien am Anleihemarkt eingreift?

    Poß: Das ist nicht etwas, was wir unterstützen. Wir begrüßen es nicht einmal. Wir müssen es nur wie andere wohl hinnehmen in bestimmten Situationen, haben es ja auch schon hingenommen in der Vergangenheit, weil andere Handlungsmöglichkeiten zur weiteren Gefahrenabwehr und zur Stabilisierung des Euro nicht zur Verfügung standen. Es ist also die Frage immer zu beantworten, wer handelt wann denn wie im deutschen Interesse? Und so, wie diese Koalition mit Frau Merkel an der Spitze handelt, ist es nicht im deutschen Interesse. Ist es auch nicht im Interesse des Erhalts deutscher Arbeitsplätze, denn mit all diesen Schritten wird der Euro nicht stabilisiert, sondern eher destabilisiert.

    Armbrüster : Auch der Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker hat sich eingeschaltet in die Debatte, und er hat ausdrücklich begrüßt, dass die EZB und der Eurorettungsschirm EFSF eine solche Aktion zum Ankauf spanischer Staatsanleihen einleiten. Er begrüßt das und hält das auch für notwendig und sagt, dass daran bereits gearbeitet wird. Das heißt, so etwas würden Sie kritisieren?

    Poß: Nein. Dass Herr Juncker das begrüßt, um die Handlungsfähigkeit der Eurozone herzustellen, ist doch verständlich. Ist doch akzeptabel. Was ich aber doch kritisieren muss, ist, dass eine solche Situation erst entstehen musste infolge der mangelnden Handlungsfähigkeit auch von europäischen Staatsspitzen wie von Frau Merkel. Sie war es nicht alleine, aber sie hat ihren gehörigen Anteil daran, weil sie eben in dieser Koalition nicht das Richtige zum richtigen Zeitpunkt getan hat oder tun konnte, ich will das mal offen lassen. Aber ich sage, getan hat, weil eben ein rein taktisches Vorgehen nicht die notwendige inhaltliche Klarheit schafft, die wir brauchen. Wir brauchen eine Diskussion über eine Entschuldungsstrategie in Europa. Über eine Strategie zur Entschuldung bei den Altschulden. Es gibt ja die Vorschläge von Wissenschaftlern zum Schuldentilgungsfonds und anderen. Weil wir ohne solche Instrumente nicht zu Lösungen kommen. Das heißt, wir brauchen eine aktive Vorwärtsstrategie, aber Frau Merkel hinhaltende Taktik und Abwehr. Das sozusagen von Konferenz zu Konferenz.

    Armbrüster: Das heißt, Herr Poß, wenn ich Sie da richtig verstehe, wir Deutschen müssen uns langsam daran gewöhnen, dass wir für die Schulden anderer Länder geradestehen müssen?

    Poß: Nein, das Problem ist doch, dass wir jetzt schon bei den 210 Milliarden, die die EZB aufgekauft hat an Staatsanleihen, mit geradestehen für die damit verbundenen Schulden zu einem - und dass allerdings der Bundestag mit seinen Entscheidungsmechanismen dabei umgangen wurde. Was die SPD will, ist doch eben die volle Handlungsfähigkeit der Politik. Und die Transparenz, die notwendig ist. Und der offene Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern über das, was denn jetzt wohl am ehesten geeignet ist, den Euro zu stabilisieren, damit im deutschen Interesse auch Arbeitsplätze zu stabilisieren in Deutschland.

    Armbrüster: Nun sagt Jean-Claude Juncker in dem Zeitungsinterview mit der "Süddeutschen" auch, Deutschland betrachte die Eurozone bisweilen wie eine Filiale, und deutsche Politiker machten Innenpolitik auf Kosten des Euro. Hat er damit recht?

    Poß: Damit hat er leider recht. Ich finde gar nicht gut, wenn zu sehr dramatisiert wird und vom Auseinanderbrechen der Eurozone gesprochen wird, wie er das jetzt getan hat, Jean-Claude Juncker, aber er hat natürlich mit der Analyse recht. Es ist nicht nur Geschwätz. Es ist verantwortungsloses Geschwätz. Was wir auch in den letzten Tagen bis gestern von führenden Koalitionspolitikern haben hören müssen. Und das heißt, man redet die Krise immer noch stärker und es verbessert die Situation in keiner Weise. Das heißt, diese Leute sind auch im Grunde genommen überhaupt nicht in der Lage oder willens, hier in Deutschland Verantwortung zu übernehmen. Diese schwarz-gelbe Koalition mit ihrem Personal ist schlichtweg durch die Situation überfordert, und dann kommen eben solche, nicht, also EZB - das ist für Frau Merkel und für solche Leute ist es der Ausweg für politische Feiglinge. Weil sie ihrer Verantwortung nicht gerecht werden.

    Armbrüster : Von einem Auseinanderbrechen der Eurozone wollen Sie ausdrücklich nicht sprechen?

    Poß: Nein, davon wollen wir ausdrücklich nicht sprechen. Weil die Eurozone bisher im deutschen Interesse auch war, um das ganz egoistisch auszudrücken. Auch die jetzige wirtschaftliche Situation, die noch relativ gute wirtschaftliche Situation hier in Deutschland ist vor dem Hintergrund der Eurozone zu sehen, bei allen Krisen. Und deswegen sollten wir die Dinge nicht noch schlechter reden, als sie sind. Schlimm genug, dass da führende Politiker der Koalition mit Herrn Rösler an der Spitze und anderen sich in dieser Weise verantwortungslos verhalten.

    Armbrüster: Sie haben jetzt viel von den Handlungsmöglichkeiten, Handlungsoptionen der deutschen Politik gesprochen, auch von der Handlungsfähigkeit ...

    Poß: ... der europäischen Politik auch ...

    Armbrüster: ... gehört dazu denn nicht auch eine Europäische Zentralbank, die im Notfall massenweise Staatsanleihen aufkauft? In vielen anderen Ländern, beispielsweise in den USA, ist das eine ganz normale Option, die sich Politiker offenhalten.

    Poß: Ja, wir haben aber allerdings nicht die Situation wie in den USA, wie Sie wissen, der Vergleich mit der FED [Anm. d. Redaktion: Federal Reserve System] trägt ja nur bedingt. Das ist ein Problem, das wir damit haben, aber wir sind kein einheitlicher Bundesstaat, sondern wir müssen durch weitere Schritte in der Integration die Voraussetzungen dafür erst schaffen. Da sind wir auf dem Wege, da ist auch manches geschehen. Manches aber in den letzten beiden Jahren auch nicht schnell genug. Und erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, wird man über erweiterte Handlungsmöglichkeiten auch der EZB reden können. Dass die EZB jetzt handelt, weil andere eben nicht handeln können oder noch nicht handeln können oder auch handeln wollen, das habe ich ja hier gar nicht kritisiert. Das habe ich festgestellt. Aber man darf nicht vergessen, warum es so ist.

    Armbrüster: Herr Poß, ganz kurz noch. Die Bundesbank hat ja diese Ankündigung von Mario Draghi kritisiert. Sie nennt das problematisch, diese Handlungsoption. Wie hilfreich ist das, wenn sich EZB und Bundesbank in so einer wichtigen Frage nicht einig sind.

    Poß: Nein, auch das ist nicht verantwortungsvoll. Herr Weidmann verhält sich meines Erachtens dort nicht richtig, indem er ständig die Konfrontation in dieser Art und Weise sucht, um wohl seine innere Unabhängigkeit von Frau Merkel unter Beweis zu stellen oder aus welchen Motiven auch immer. Nein, das führt uns nicht weiter. Es war eine relativ vage Ankündigung von Draghi. Darauf wiederum so zu reagieren, auf eine relativ vage Ankündigung, wie gesagt, verschärft die Dinge unnötig, und ideologische Glaubenskämpfe, wie wir sie teilweise erleben, bringen uns überhaupt nicht weiter. Was uns ja unterscheidet von den Amerikanern, wenn sich Schäuble und Geithner heute treffen, dann ist das bei allen Fehlern, die die Amerikaner machen, denn die sind ja in einer mindestens gleich schwierigen Lage, objektiv gesehen, dass sie eben pragmatischer auch mit Situationen umgehen, als das bei uns der Fall ist. Wir müssen auch bei uns pragmatisch handeln. Natürlich, das geltende Recht dabei mitberücksichtigen. Und Draghi hat ja versprochen, dass er die Rechtssituation, die wir hier in Europa haben, in der Eurozone haben, durchaus berücksichtigen will.

    Armbrüster: Live, hier bei uns heute Morgen in den Informationen am Morgen war das Joachim Poß, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, zuständig dort für Finanz- und Haushaltspolitik. Besten Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Poß: Schönen guten Morgen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.