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Posselt: Misstrauenserklärung gegen das Europa der Regierungen

Der Abgeordnete im Europa-Parlament, Bernd Posselt (CSU), hält das klare Nein der Franzosen zur EU-Verfassung für eine Misstrauenserklärung gegen das Europa der Regierungen. Es seien die Regierungen, die es nicht schafften, den Völkern die europäische Idee zu vermitteln. Künftig müsse ein Europa der Demokratie Vorrang haben. Hierzu könne das Europäische Parlament klare Impulse setzen.

Von Jürgen Liminski | 30.05.2005
    Jürgen Liminski: Das klare Nein in Frankreich stürzt nach Aussagen von EU-Experten nicht nur Frankreich, sondern auch die Europäische Union in eine schwere Krise. Wird dadurch das EU-Parlament in Mitleidenschaft gezogen? Führt der Weg jetzt zurück in Kleinstaaterei? Zu diesen Fragen begrüße ich nun am Telefon den EU-Parlamentarier Bernd Posselt (CSU). Er kennt das Straßburger Parlament seit seiner ersten Direktwahl 1979 und er ist auch Präsident der ältesten europäischen Bewegung, der von Coudenhove-Kalergi gegründeten Paneuropa-Bewegung. Guten Morgen Herr Posselt.

    Bernd Posselt: Grüß Gott!

    Liminski: Herr Posselt, ist das französische Nein auch ein Nein gegen das Parlament, gegen den Ausbau der demokratischen Bürgerrechte in Europa?

    Posselt: Ich glaube ganz im Gegenteil. Es ist eigentlich eher eine Misstrauenserklärung gegen das Europa der Regierungen. Es sind die Regierungen, die es nicht schaffen, den Völkern die europäische Idee zu vermitteln. Die Blairs, die Schröders, die Chiracs, die haben versagt. Die europäischen Institutionen sind leider zu wenig bekannt in der Bevölkerung und ich merke in 30 Jahren Versammlungstätigkeit, wenn man den Leuten die europäischen Institutionen und vor allem das Parlament vermittelt, dann ist das auch interessant, dann wird es akzeptiert. Wir müssen stärker auf das Europa der Demokratie setzen und nicht auf das Europa der Regierungschefs.

    Liminski: Wie wird denn das Parlament mit dieser Krise fertig werden? Es ist ja doch ein Rückschlag für das Parlament.

    Posselt: Es ist ein Rückschlag mehr für die Europäische Union. Wir brauchen jetzt ein politische Führung, die uns aus der Krise führt. Und die kann nur ausgehen durch kräftige Impulse aus dem Parlament. Das Parlament muss versuchen, den Laden zusammenzuhalten. Zum anderen brauchen wir klare Signale vom luxemburgischen Gipfel Mitte Juni, dem letzten Gipfel unter luxemburgischer Ratspräsidentschaft, denn diese Krise ist zu ernst, um sie der am 1. Juli beginnenden britischen Ratspräsidentschaft zu überlassen.

    Liminski: Wird denn aus dem Parlament eine Initiative erwachsen, um die Verfassung noch zu retten?

    Posselt: Ich glaube, dass ja der Verfassungsvertrag gar nicht ernsthaft in Gefahr ist, denn sein Inhalt ist ja überhaupt nicht in Frage gestellt. Das was die Franzosen vor allem kritisiert haben, das ist die völlige Unübersichtlichkeit des Integrationsprozesses, wie er vor allem in einem unkontrollierten Erweiterungsprozess zum Ausdruck kommt. Hier muss das Europäische Parlament und muss der europäische Rat ganz klare Signale setzen. Dann wird auch der Verfassungsvertrag entweder so wie er jetzt ausschaut oder zumindest in seiner Substanz zu retten sein. Ich glaube er ist das Optimum dessen, was derzeit in Europa erreichbar ist, denn er macht die EU handlungsfähiger, demokratischer und föderalistischer.

    Liminski: Aber er ist ja nun zuerst mal gestoppt und nach den ersten Analysen waren Ängste vor einem Verlust der Arbeitsplätze und auch vor einer weiteren Erweiterungsrunde ausschlaggebend. Sie haben es ja eben auch gesagt: Die Erweiterung war vielleicht ein Grund für das Nein. Hat man denn mit den Erweiterungen, an denen ja auch das Parlament beteiligt war, die Aufnahmekapazität der Bürger nicht überschätzt?

    Posselt: Diese Erweiterungen waren richtig und notwendig. Sie bewähren sich auch, sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Wir sehen vor allem in den Beitrittsländern ja eine sehr starke Zustimmung zu diesem Integrationsprozess. Das ist eine positive Entwicklung, muss ich sagen, gerade die Zustimmung dort zum Verfassungsvertrag. Wir müssen sehen, dass in den Kernländern Skepsis existiert. Das stimmt. Aber das können wir nicht tun, indem wir jetzt den Erweiterungsprozess, der geschehen ist, in Frage stellen, sondern wir müssen endlich die Bremse ziehen, was die Türkei betrifft. Der Zug der Lemminge, den die Staats- und Regierungschefs unter Führung von Chirac und Schröder eingeschlagen haben, nämlich die Türkei in die EU aufzunehmen, der muss gestoppt werden und es darf schon gar nicht zum Verhandlungsbeginn am 3. Oktober kommen. Was Rumänien und Bulgarien betrifft, so sollte man sie gemeinsam mit Kroatien erst 2009 aufnehmen und nicht schon wie geplant 2007

    Liminski: Herr Posselt, Sie sind Präsident der Paneuropa-Bewegung, der größten interfraktionellen Parlamentariergruppe im EU-Parlament. Am kommenden Wochenende findet in Köln unter diesen denkbar schlechten Aussichten die Jahresversammlung Ihrer Bewegung statt. Ist das Nein in Frankreich auch ein Rückschlag für Ihre und überhaupt alle Europabewegungen?

    Posselt: Es ist eine Herausforderung, denn die Europa-Bewegungen haben die Aufgabe, die Bürger über Europa zu informieren und sie für Europa zu motivieren und zu begeistern. Es gibt viele Menschen, die begeistert sind für die europäische Einigung, übrigens auch unter den Nein-Sagern in Frankreich, die eben zum Teil aus ganz anderen Gründen mit Nein gestimmt haben. Ich hoffe ja, dass es in Frankreich zu einem zweiten Referendum kommen wird, zusammen mit einer Neuwahl eines Staatspräsidenten. Das würde ich für die beste Lösung halten. In der EU müssen wir einfach die Bürger besser informieren.

    Liminski: Das war der EU-Parlamentarier und Paneuropa-Präsident Bernd Posselt. Besten Dank!