Dienstag, 19. März 2024

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Postkarte aus Cannes
Internationale Farbspiele

Die grauen Wolken hängen tief über der Côte d'Azur. Von Azurblau keine Spur – weder am Himmel noch im Meer. Dafür setzen die Filmemacherinnen und Filmemacher auf Farbe. Der Reihe nach tauchen sie uns in wahre Farbbäder. Auge und Seele freuen sich über die Abwechslung vom tristen Farbeinerlei der Wirklichkeit.

Von Maja Ellmenreich | 20.05.2019
    Ein grauer Wolkenhimmel über dem Filmfest-Palast und dem Vorplatz in Cannes.
    Dräuende Wolken statt Sonnenschein - der Himmel über Cannes während der Festspiele (Deutschlandradio / Maja Ellmenreich)
    Der russische Regisseur Kantemir Balagov hat sich für Rosttöne entschieden. Schließlich gehe es in seinem neuen Film um den "Rost des Lebens", erklärt er: Yya und Mascha, zwei traumatisierte Frauen, ringen im Leningrad des Jahres 1945 ums Überleben. Auch wenn der Krieg vorbei ist, hat das Grauen noch lange kein Ende. Kleider, Zimmerwände, selbst das Essen auf dem Teller scheint oxydiert zu sein. Braun, Rot und Orange ergeben eine Mischung, der jede Frische fehlt. Das Blut, das Mascha aus der Nase läuft, sieht schon aus wie Schorf. Durch gekonnt gesetzte Grünakzente wirken die Rosttöne umso intensiver. Farbe, die man förmlich riechen kann. "Beanpole" – zu Deutsch "Bohnenstange" – heißt dieser zweite Spielfilm von Balagov. Er läuft in der Nebenreihe "Un certain regard", hätte es aber durchaus auch mit der Konkurrenz im vielbeachteten Hauptwettbewerb aufnehmen können. Eine neu zu schaffende "Palme für die Farbgebung" wäre das Mindeste für "Beanpole".
    Wundersame Kombinationen
    Anwärterin für diese Auszeichnung wäre allerdings auch die Österreicherin Jessica Hausner. Sie reizt in "Little Joe", ihrem ersten Wettbewerbsbeitrag für Cannes, die gesamte Farbpalette aus. Kombinationen, die in jeder Farbberatung durchfallen würden, werden in Hausners künstlicher Kinowelt erst recht zusammengebracht. Die Regisseurin spricht von "kindlichen Farben", die dem Film einen gewissen Märchencharakter, den Anstrich einer Fabel verleihen sollen. Pflanzenzüchterin Alice und ihre Kollegen im Gewächshaus-Labor tragen mintgrüne Kittel; die geheimnisvolle Blume namens "Little Joe", die sie erschaffen, hat dagegen eine mohnrote Blüte. Pastell- und Knallfarben gehen in Hausners Spielfilm wundersame Verbindungen ein. So wundersam wie die Kraft von "Little Joe", dem Gewächs, das seine Besitzer glücklich machen soll.
    Glitzer und Funkel
    Glücksgefühle lassen sich kaum vermeiden, wenn man Dexter Fletchers mitreißenden Musikfilm "Rocketman" sieht: die Geschichte vom kleinen Reginald Dwight, dessen musikalische Begabung nicht zu bremsen war, und der später unter seinem Künstlernamen Elton John eine nahezu beispiellose Popstarkarriere hinlegen sollte. Die Farben für dieses Biopic hat das wahre Leben geliefert: Elton Johns schrille Bühnenoutfits wurden, wie man während des Abspanns zu sehen bekommt, für den Film originalgetreu nachgeschneidert: hautenge Anzüge, exzentrische Brillen, Federschmuck und jede Menge Strass. Es glitzert und funkelt in "Rocketman", dass einem schier die Augen übergehen. Da enttäuschte es auf den ersten Blick, dass der echte Elton John sich bei seinem Gang über den Roten Teppich in Cannes nur für einen schlichten schwarzen Smoking entschieden hatte – mit einer bunten Rakete auf dem Revers. Doch als er sich vor den Fotografen umdrehte, traf die Beobachter ein kleines Blitzgewitter: "ROCKETMAN" stand da auf Elton Johns Rücken – natürlich aus vielen Strass-Steinen zusammengesetzt. Bling-Bling!