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"Power Harassment" in Japan
Proteste gegen Pumps

In Japan unterstützten zehntausende Frauen eine Petition gegen den Zwang, am Arbeitsplatz hochhackige Schuhe zu tragen. Viele Japanerinnen sind nicht mehr bereit, Schikanen am Arbeitsplatz zu dulden. Und weil sich Demografie und Machtverhältnisse im Land verschoben haben, haben sie gute Chancen sich durchzusetzen.

Von Martin Fritz | 21.06.2019
Die Schauspielerin und Autorin Yumi Ishikawa protestiert am 3. Juni 2019 gegen die Pflicht für Frauen, bei der Arbeit hochhackige Schuhe tragen zu müssen.
Die Schauspielerin und Autorin Yumi Ishikawa protestiert am 3. Juni 2019 gegen die Pflicht für Frauen, bei der Arbeit hochhackige Schuhe tragen zu müssen. (imago images / Kyodo News)
Jedes Jahr ab Juni wählen Japans Unternehmen aus den Studenten, die im Winter die Universität abschließen, ihren Nachwuchs aus. Für die Vorstellungsgespräche verlangen sie eine einheitliche Bewerbungskleidung in Schwarz, den sogenannten Recruit Suit. Für Männer sind das Anzug und Krawatte, für Frauen Rock bis zum Knie, Blazer, weiße Bluse und Pumps mit breitem, halbhohem Absatz.
Gegen solche strenge geschlechtsspezifische Kleiderordnung, die sich im späteren Berufsleben häufig fortsetzt, mehrt sich jetzt der Widerstand. Zehntausende Frauen versammelten sich auf Twitter hinter dem Hashtag #KuToo. Der Begriff spielt auf die westliche #MeToo-Bewegung an und bedeutet auf Japanisch sowohl "Schuhe" als auch "Schmerz". Den Protest gegen den Zwang für Frauen, bei der Arbeit Pumps zu tragen, startete die Schauspielerin Yumi Ishikawa.
Gezwungen, Schmerzen zu ertragen
"Viele Frauen haben erst durch diese Kampagne gemerkt, dass sie durch die Vorschrift dazu gezwungen werden, Schmerzen zu ertragen. Viele haben mir auch gesagt, sie hätten sich von vornherein gegen bestimmte Berufe entschieden, weil sie dabei hochhackige Schuhe tragen müssen."
Die 32-Jährige forderte in einer Online-Petition ein Gesetz gegen den Stöckelschuh-Zwang. Inzwischen haben fast 30.000 unterschrieben. Doch der zuständige Arbeitsminister lehnte ein Verbot ab. Bei manchen Jobs seien Hackenschuhe "notwendig und angemessen", meinte der 68-jährige Politiker.
Zwei junge japanische Frauen und zwei junge japanische Männer tragen den typischen "Recruit Suite", den angehende Arbeitnehmer tragen müssen. 
Konformismus ist Trumpf: In Japans Arbeitswelt galten bislang strenge geschlechterspezifische Dresscodes: Bewerber mussten den sogenannten Recruit Suit tragen. (imago images / AFLO)
Das dürfte die Sichtweise vieler alter Japaner sein. Nach dem Krieg bestimmte die "Office Lady" das Bild der erwerbstätigen Japanerin. Im Büro servierte sie Tee und kopierte Akten. Erst seit den achtziger Jahren tauchten "Karrierefrauen" auf. Aber selbst sie spüren die Verpflichtung, sich bei der Arbeit hübsch zu machen, mit Make-up, femininer Kleidung und eben Pumps. Dagegen wendet sich die Protestführerin Ishikawa.
"Viele Leute müssen erst einmal verstehen, dass es sich dabei um eine Art der Diskriminierung handelt. Es ist sehr wichtig für uns Frauen zu erkennen, dass wir nicht fair behandelt werden und dass wir uns darüber ärgern müssen."
Patriarchalische Kultur im Wandel
Das starke Echo auf ihre Aktion spiegelt ein generelles, neues Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer in Japan wider, sich das sogenannte "Power Harassment", kurz Power Hara, von Arbeitgebern und Vorgesetzten nicht mehr gefallen zu lassen. Die Zahl der förmlichen Beschwerden von Arbeitnehmern über ungerechte und schlechte Behandlung stieg binnen zehn Jahren um das Dreifache auf 72.000. Öffentliche Behörden schüren das Bewusstsein für Power Hara, für Machtmissbrauch im Büro, über Youtube-Videos mit nachgestellten Schikane-Szenen.
"Das ist auch Ihre Arbeit", schimpft der Vorgesetzte laut. "Wenn Sie das nicht machen, was ist Ihre Erklärung dafür?"
Die Rebellion der Arbeitnehmer hat zwei Hauptgründe. Erstens betrachten jüngere Japaner ihr Unternehmen nicht mehr als ihre Familie. Früher durfte ein Vorgesetzter seine Untergebenen behandeln wie der strenge Vater seine Kinder. Das wird nicht mehr akzeptiert. Zweitens haben sich die Machtverhältnisse geändert.
"Arbeitsstil-Reformen" der Regierung
Wegen der alternden und schrumpfenden Bevölkerung herrscht in Japan inzwischen ein großer Mangel an Arbeitskräften. Wollen die Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht verlieren, müssen sie sie besser behandeln. Daher holen sich jene Firmen, die in den Vorwurf von Power Hara geraten, Berater ins Haus, die den Führungsstil ihrer Vorgesetzten verbessern, etwa anhand von Schulungsvideos wie diesem.
"Es ist die Aufgabe eines Vorgesetzten, Untergebene im Gespräch auszubilden, ihnen die Regeln beizubringen und die Organisation zu stärken. Aber solche Gespräche sollten das Selbstvertrauen des Untergebenen nicht untergraben."
Die Regierung verstärkt diesen Trend mit ihren "Arbeitsstil-Reformen". Im April wurde die Zahl der Überstunden begrenzt und eine gesetzliche Urlaubsverpflichtung eingeführt und Ende Mai ein Gesetz gegen Schikanen von Vorgesetzten verschärft. Die Arbeitswelt soll angenehmer und erträglicher werden, sodass mehr Frauen arbeiten gehen, von jungen Müttern bis zu älteren Hausfrauen mit erwachsenen Kindern. Das wiederum soll den Personalmangel lindern. Daher stehen die Chancen gut, dass auch der Dresscode für Frauen in Zukunft erleichtert wird.