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Prähistorische Felszeichnungen
"Es gibt weltweit nichts Vergleichbares"

"Fast die ganze Welt ist vertreten", sagte Richard Kuba, Kurator der Felsbildsammlung des Frobenius-Instituts in Frankfurt am Main, im DLF-Interview. Die prähistorischen Felszeichnungen hätten auch Künstler wie Picasso und Pollock beeindruckt.

Richard Kuba im Gespräch mit Karin Fischer | 30.12.2014
    Karin Fischer: Der Blick auf prähistorische Felszeichnungen ist, wie der bekannteste deutsche Ethnologe seiner Zeit, Leo Frobenius, gesagt hat, der Blick in ein Bilderbuch der Menschheitsgeschichte. Zuerst taten diesen Blick Forscher und Künstler, die diese Felszeichnungen auch dokumentiert haben. Das Frankfurter Frobenius-Institut besitzt eine einzigartige Sammlung solcher quasi abgemalter Zeichnungen, die in den 1960er-Jahren allerdings in Vergessenheit gerieten, weil es inzwischen Fotos gab. In unserer Reihe "Kunst auf Lager" geht es heute um diese Felsbildkopien, von denen einige nun mit Mitteln der Kulturstiftung der Länder restauriert werden. Den Kurator Richard Kuba habe ich zunächst gefragt, wie umfangreich und wie bedeutend seine Sammlung ist.
    Richard Kuba: Ja, die Bedeutung der Sammlung ist relativ schnell gesagt. Es gibt weltweit nichts Vergleichbares vom Umfang als auch von der regionalen Ausrichtung her. Das heißt, wir haben aus der Zeit von ungefähr 1910 bis in die späten 30er-Jahre angefertigt circa 5000 Kopien ganz unterschiedlicher Größen, und die sind regional aufgeteilt - hauptsächlich Afrika. Wir haben aber auch viele europäische Felsbilder, Skandinavien, Italien. Und Australien sowie Neuguinea auch noch. Fast die ganze Welt ist vertreten.
    Fischer: Die Bedeutung der Entdeckung solcher Zeichnungen kann ja auch nicht hoch genug eingeschätzt werden, weil das Bild unserer Vorfahren als sozusagen eiszeitliche Primitive sich komplett verändert hat dadurch.
    Kuba: Ja. Wie Sie schon sagten: Das Bilderbuch der Menschheitsgeschichte. Und die reicht wesentlich früher zurück, als man im Allgemeinen vor allem zu Frobenius-Zeiten und Anfang des Jahrhunderts noch geglaubt hat, nämlich bis in die Eiszeit. Und die Kunstwerke, die daraus entstanden sind, sind ja von ganz erstaunlicher Qualität teilweise, und Frobenius hat diesen Blick noch geweitet, indem er die Felsbilder der Sahara, des südlichen Afrika und anderer Kontinente überhaupt zum allerersten Mal dokumentiert und bekannt gemacht hat.
    Fischer: Und was stellte sich dann wissenschaftlich heraus in Bezug auf unsere Vorfahren?
    Kuba: Wissenschaftlich hat Frobenius relativ krude Theorien aufgestellt. Er hat das zusammengebracht mit Märchen und Mythen aus diesen Gegenden und hat versucht, da Beziehungen aufzuzeigen, oder auch Degenerationserscheinungen von den europäischen Felsbildern, diese Traditionen, die nach Afrika gewandert sind. Das ist alles relativ schräg und das wird heute eigentlich auch völlig anders gesehen, diese Dinge.
    Fischer: Nämlich wie?
    Kuba: Nämlich, dass es sehr, sehr schwierig ist, in Bilder, wo wir ganz wenig drüber wissen, wo es einen Riesen-Traditionsbruch gibt von vielen, vielen tausend Jahren, da wirklich was reinzuinterpretieren und zu sagen, das und das zeigen uns diese Bilder. Das ist offen für jede Menge Spekulation, das ist gar nicht einfach. Es gibt im südlichen Afrika als auch in Australien noch lokale Bevölkerungen, die sich diese Bilder aneignen, die sagen, das sind unsere Ahnen und die da auch was erzählen können von. Aber zum Beispiel die europäischen Felsbilder, was da genau dahintersteckt, sind das religiöse Bilder, sind das Riten, die da gezeigt werden, oder sind das einfach nur Leute, die toll malen konnten und sich an der Ästhetik erfreut haben, dazu kann man nicht allzu viel sagen, fürchte ich.
    Fischer: Richard Kuba, vielleicht erzählen Sie einfach, wie man sich eine solche Expedition, die Frobenius dann ja veranstaltet hat, vorstellen muss. Bilder, die ich gesehen habe, zeigen tatsächlich Malerinnen auf Leitern, die nun diese Felsbildzeichnungen auf Papier oder etwas Ähnliches abnehmen.
    Kuba: Ja. Diese Expeditionen waren relativ abenteuerlich. Sie waren unter anderem gesponsert vom deutschen Kaiser Wilhelm II., der damals schon auch im Exil war, aber auch schon noch, als er noch im Amt war, aber auch von Industriellen, von verschiedenen Wissenschaftsorganisationen, und das waren sehr moderne Expeditionen für ihre Zeit, teilweise auch schon mit Autos in der Wüste, mit relativ geländegängigen Ford-Autos. Und wichtig waren immer diese Maler, die dabei waren. Vor allem waren das Malerinnen. Wir haben sehr viele Fotografien, die zeigen, wie das praktisch ging, wie sie gekämpft haben mit Wind, mit Trockenheit, vor diesen Felsbildern versucht haben, Kopien anzufertigen, wobei ihnen die Farben eingetrocknet sind, die Blätter sind weggeflogen, oder sie mussten sich auf Leitern hoch in Felswänden bewegen. Das sind sehr, sehr spannende Fotos, die wir da haben und die uns eine Idee darüber geben, wie kompliziert und wie schwierig und wie aufwendig diese Kopiearbeiten selber waren. Und diese Malerinnen sind wahrscheinlich diejenigen, die am meisten Felsbilder überhaupt gesehen haben, denn es waren häufig die gleichen, die ganz viele Expeditionen mitgemacht haben - über Monate und Monate in diesen Felsbild-Gebieten, in der Sahara und im südlichen Afrika beispielsweise vor diesen Felsbildern saßen und versucht haben, die so gut wie möglich zu kopieren.
    Fischer: In welchem Zustand sind diese Felsbildkopien heute?
    Kuba: Sie hatten ja schon angesprochen, dass es im Grunde eine technologische Sackgasse war, die abzumalen, und Vorgeschichtler würden tatsächlich auch sagen, ja, das sind künstlerische Umsetzungen, das ist nicht originalgetreu, das ist nie so gut wie eine Fotografie. Deswegen sind die seit den 60er-Jahren relativ stiefmütterlich behandelt worden, sind in einem feuchten Keller gelegen in einem alten Institut und sind kaum noch ausgestellt worden. Kaum jemand kannte diese Bilder überhaupt noch. Vor einigen Jahren haben wir mithilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft diesen Schatz heben können, haben die digitalisieren können, haben die anständig lagern können und mussten darüber feststellen, dass aber viele von diesen Bildern ganz erheblich gelitten haben, und zwar nicht nur durch die Lagerungsbedingungen, sondern auch durch zahlreiche Ausstellungen, die wir jetzt rekonstruiert haben, nämlich aus den 20er-, 30er-Jahren allein in Europa oder in Afrika 40 Ausstellungen, 30 Ausstellungen in Amerika, darunter eine ganz wichtige im Museum of modern Art 1937.
    Fischer: Hirsche oder Rehe, Affen, angedeutete Jäger in Strichmännchenform - heute haben solche Zeichnungen ja fast schon ikonografischen Wert und sind in der modernen Kunstgeschichte vor allem als Chiffren längst angekommen. Was bedeutete denn damals das erste Sehen in den 30er-Jahren - Sie haben die Ausstellungen erwähnt - zum Beispiel für die Künstler? Das ist ja wahrscheinlich vor allem für die Wirkungsgeschichte solcher Felsbilder noch interessant.
    Kuba: Das ist jetzt der spannende Aspekt. Heute würde man sie als Kunstwerke für sich selber stehend begreifen, nicht nur als Dokumentation, und insofern sind wir auch der Kulturstiftung der Länder besonders dankbar, dass sie genau diesen Aspekt auch gesehen hat. Und sie sind spannend für ihre Wirkungsgeschichte, und da haben wir einige Hinweise darauf, dass beispielsweise bei einer Ausstellung in Paris Picasso diese Bilder gesehen hat. Wir wissen, dass Kirchner Publikationen dieser Bilder in seinem Bücherregal hatte. Jeff Koons und Jackson Pollock haben wahrscheinlich die New Yorker Ausstellung gesehen und diese ganz neuen, diese ungesehenen Bilder, die zum ersten Mal wirklich in Farbe und in Riesenformaten teilweise zu sehen waren - die haben Formate, die jetzt auch digitalisiert sind und auch renoviert werden, von 3 auf 7 oder 2 auf 10 Metern, also wirklich wandfüllend -, die wurden in New York im White Cube gezeigt und man kann sich vorstellen, was die für eine Wirkung haben. Wir haben auch mal die Pressedokumentationen ausgewertet dieser New Yorker Ausstellung. Da gibt es über tausend Presseartikel, die durchaus absolut enthusiastisch sind und die immer wieder Bezug nehmen auf die zeitgenössische Moderne - in ganz unterschiedlicher Weise, und zwar zum einen hieß es, ja, das macht Sinn, das ist ähnlich, da gibt es anthropologische Konstanten, wie man mit Form und Farbe und Linie umgeht, und auf der anderen Seite hieß es, ja, das war noch richtige Kunst und jetzt schaut euch doch mal die Moderne an, das ist ja total degeneriert, die prähistorischen Künstler waren ja wesentlich besser. So lässt sich das in der Presse je nach politischer Ausrichtung auch ein bisschen auseinander deklinieren.
    Fischer: Um einmal noch ein Bild vor Augen zu haben, Richard Kuba, bitte sagen Sie uns, was Ihre Lieblingszeichnung ist in kopierter Form.
    Kuba: Ein Bild, woran ich gerade denke, was jetzt auch restauriert wird und was in einem Jahr in einer Ausstellung im Gropius-Bau auch hängen soll, ist fast ein Wimmelbild, fast ein Bruegel mit ganz vielen zahlreichen kleinen Figuren, menschlichen Figuren, Läufern, aber auch Tieren unterschiedlicher Art, Eland-Antilopen - das ganze Bild stammt aus dem südlichen Afrika, aus Simbabwe und zeigt in verschiedenen Schichten auch eine chronologische Abfolge. Da sind mindestens vier bis fünf Schichten zu erkennen. Wir wissen nicht genau, wann die original gezeichnet worden sind, angebracht worden sind, ob Hunderte von Jahren dazwischen liegen oder nur wenige Jahre oder nur Monate. Das ganze Bild ist mindestens 4000 Jahre alt und die Kopie, die wir davon vorliegen haben, ist drei auf sieben Meter, also sehr, sehr beeindruckend, farblich sehr spannend. Man kann sich richtig reinvertiefen und immer wieder neue Szenen entdecken und sich sehr viel dabei denken. Wir wissen natürlich nicht, ob das, was wir uns denken, auch das ist, was sich die zeitgenössischen Künstler damals gedacht haben.
    Fischer: Richard Kuba war das in unserer Reihe "Kunst auf Lager" über die Kopien prähistorischer Felszeichnungen in Frankfurt am Main.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.