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Prämierte Gesamtschule bangt um ihr Konzept

Niedersachsen hat das Abitur nach zwölf Jahren eingeführt. Es soll auch an der IGS in Göttingen umgesetzt werden. Schulleitung und Eltern befürchten, dass sie dafür ihr preisgekröntes Konzept aufgegeben müssen, für das ausreichend Zeit zum freiwilligen Lernen elementar ist.

Von Susanne Schrammar |
    Sitzenbleiben ist tabu, Noten gibt es erst nach der achten Klasse und bis zum mittleren Schulabschluss in Klasse zehn verzichtet die Georg-Christoph-Lichtenberg Schule im Göttinger Stadtteil Geismar auf jegliche Selektion nach Leistungen. Seit Mitte der 70er-Jahre und mit einer höchst seltenen Ausnahmegenehmigungen der Kultusministerkonferenz. Stattdessen lernen die Kinder der integrierten Gesamtschule in so genannten Tischgruppen: Sechs Schüler unterschiedlichster Leistungsstärke erschließen sich den Lernstoff selbstständig. Das Team ist dafür verantwortlich, dass alle mitkommen, sagt Konrektor Rolf Ralle.

    "Und so versuchen wir dann auch, alle Schüler möglichst ja so zu fordern, dass sie alle irgendwie an ihre Grenze kommen und nicht immer nur die Guten referieren und die anderen nicken nur mit dem Kopf, ob sie's verstanden haben oder nicht. Und ich denke, dass ist ein Rezept, wo wir bisher sehr, sehr gut mit gefahren sind."

    Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die IGS in Göttingen-Geismar zählt zu den besten fünf Prozent der Schulen in Niedersachsen. Ein Viertel der Abiturienten macht den Abschluss mit einer eins vor dem Komma und ein stattlicher Teil derer, denen in der Grundschule nur Hauptschule zugetraut wurde, schneidet am Ende wesentlich besser ab. Viele Gründe also für die Jury des Deutschen Schulpreises, das pädagogische Konzept in diesem Jahr mit dem Hauptpreis auszuzeichnen. Doch genau das steht jetzt vor dem Aus, fürchtet die Schulleitung. Weil die niedersächsische Landesregierung das Turbo-Abitur eingeführt hat.

    "Die Mogelpackung ist, wir sollen bis zum zehnten Schuljahr so weitermachen wie bisher und dann sollen unsere Schüler nach zwei Jahren Abitur machen. Und das ist das, was nicht geht."

    Beim Turbo-Abi, sagt Ralle, fehle die Zeit zum Entdecken, zum freiwilligen Lernen und das sei für das Konzept elementar. Auch die Qualifizierungsstufe für das Gymnasium müsste auf die Zeit vor der zehnten Klasse vorgezogen werden - das Prinzip von Klasse fünf bis zehn ohne Leistungsseparierung auszukommen, wäre hinfällig. Aus dem niedersächsischen Kultusministerium kommt nun der Vorschlag, alle Schüler bis Ende des zehnten Schuljahres nach der Gymnasialstundentafel zu unterrichten, das hieße mehr Lehrerstunden für die Schule. Doch das wollen gerade die Eltern nicht. Damit werde die Gesamtschule zum Gymnasium, sagt Susanne Stobbe, Vorsitzende des Elternrates.

    " Diese Mehrstunden müssen ja irgendwo herkommen, dafür müssen andere wichtige Unterrichtsstunden wegfallen und wir befürchten, dass es gerade den wichtigen Bereich Arbeit/Wirtschaft/Technik - also, wo auch handwerklich gearbeitet wird, dass dieser Bereich gekürzt wird und ganz wichtig auch die sogenannten Tutorenstunden. Das ist eine Bedrohung auch für das Schulklima, denn die Schule lebt davon, dass die Schüler Zeit zum Lernen haben, außerhalb der "harten Fächer" - sage ich jetzt mal - zu kommunizieren."

    Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann, CDU, ist der Ansicht, dass die pädagogischen Leitlinien der Schule trotz des Turbo-Abiturs weitergeführt werden könnten. Das Konzept sei hervorragend und zu Recht ausgezeichnet, sagt Althusmann, dessen Partei als Gesamtschulgegner gilt. Doch der Minister will eine erneute Grundsatzdebatte über das Abitur nach zwölf oder nach 13 Jahren in Niedersachsen verhindern.

    "Ob jetzt allein die Verleihung eines Schulpreises dazu ausreicht, zu sagen: Wir machen eine Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren an der Gesamtschule? Das wird weitere Gesamtschulen geben, die das dann für sich auch einfordern werden und theoretisch kann man ja sogar innerhalb von 13 Jahren das Abitur machen, indem die Klasse zehn eben als die berühmte Einführungsphase entsprechend wiederholt wird oder das Abitur nach 13 Jahren an beruflichen Gymnasien."

    Noch laufen die Gespräche zwischen Schule und Ministerium und Althusmann verspürt nach eigenen Angaben keinen Handlungsdruck. Das sieht die Opposition im niedersächsischen Landtag anders und fordert die Landesregierung auf, das bisherige Unterrichtskonzept der Lichtenbergschule zu sichern. Frauke Heiligenstadt, SPD:

    "Landesregierung aus ideologischen Gründen dieser Schule ihr Konzept nicht lassen möchte, obwohl die Schule ja bewiesen hat, dass es gut klappt. Wenn die Schule keine Ausnahmeregelung bekommt, wird das Konzept darunter leiden und das auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler."