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Pränataldiagnostik
"Ein behindertes Kind, das trau ich mir nicht zu"

Ein simpler Bluttest - so einfach können werdende Eltern mittlerweile prüfen lassen, ob bei ihrem Kind ein erhöhtes Risiko für bestimmte Genmutationen vorliegt. Eine Frage dabei, wer trägt die Kosten? Die Idee einer Übernahme durch die Krankenkassen stößt auf Kritik.

Von Anne Quirin | 14.03.2019
Bei der Firma Lifecodexx wird die Blutprobe einer schwangeren Frau von einer medizinisch-technischen Assistentin analysiert. Das Unternehmen hat den "PraenaTest" entwickelt.
"Das Recht der Schwangeren auf Nichtwissen ist ein hohes Gut", so der Pränatalmediziner Degenhardt. Er fordert ein intensives Beratungsangebot vor den Tests. (picture-alliance / dpa / Patrick Seeger)
"Das ist prinzipiell eine simple Blutabnahme, eine bisschen dickere Nadel, ein bisschen dickeres Röhrchen, aber ansonsten nichts Aufregendes."
Anna-Katharina ist 37 Jahre alt und hat nach den ersten drei Schwangerschaftsmonaten neben den üblichen Vorsorgeuntersuchungen ein Ersttrimesterscreening durchführen lassen, um mehr über die Entwicklung des Kindes und das Risiko einer Behinderung zu erfahren. Dabei zeigte sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Trisomie 21. Anna-Katharina war beunruhigt. Um Gewissheit über den Zustand ihres ungeborenen Kindes zu haben, entschloss sie sich, den nicht invasiven Pränataltest zu machen. Er untersucht die zellfreien DNA-Bruchstücke des Kindes, die im mütterlichen Blutkreislauf zirkulieren. Was sie bei einer Bestätigung des Trisomie 21-Verdachts machen würde, hatte die Schwangere sich vorher gut überlegt:
"Für mich war es so, dass ich gesagt habe, ich kann mir nicht vorstellen ein behindertes Kind aufzuziehen, das trau ich mir nicht zu und deswegen wollte ich das gern abgeklärt haben."
Anna-Katharina ist froh, dass sie den Test gemacht hat. Denn das Ergebnis war negativ und sie erlebt ihre Schwangerschaft nun wieder unbeschwert.
Bluttest nicht als Standard-Verfahren
"Mein Name ist Jan Degenhardt. Ich bin Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und arbeite in einer Praxis für Pränatalmedizin."
Wenn Frauen wie Anna-Katharina in seine Kölner Praxis kommen, klärt der Mediziner zunächst über das gesamte Spektrum der Untersuchungsmöglichkeiten auf. Der nicht invasive Pränataltest, kurz NIPT, steht für ihn dabei keinesfalls an erster Stelle:
"Es gibt Patientinnen, die ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis haben, die unabhängig von weiteren Testergebnissen sich direkt für so einen DNA-Test entscheiden würden. Wir beraten aber darüber, dass man erst mal die Ultraschalluntersuchung durchführen lassen sollte und wenn man z.B. in einem Ersttrimesterscreening danach auf eine erhöhte Risikowahrscheinlichkeit für ein Down-Syndrom kommt, dann haben wir mit diesen neueren DNA-Testverfahren ein gutes Instrumentarium, um risikofrei für die Patientin weitere Klärung zu bilden."
Sorge vor Zwei-Klassen-Medizin
Ein risikoreiches Verfahren wie die Amniozentese, bei der mit einer Nadel durch den Bauch der Schwangeren gestochen wird um Fruchtwasser zu entnehmen, das hätte auch Anna-Katharina nicht gemacht. Die Gefahr einer Fehlgeburt wollte sie auf keinen Fall auf sich nehmen. Die rund 250 Euro für den Bluttest haben sie dagegen nicht abgeschreckt.
Befürworter der Kostenübernahme durch die Kassen sehen genau hierin ein schlagendes Argument. Warum zahlt die Krankenkasse für die Fruchtwasseruntersuchung, nicht aber für den komplikationsfreien und nahezu ebenso zuverlässigen Bluttest?
"Das würde ja bedeuten, die armen Frauen müssen sich in den Bauch stechen lassen, die Reichen können den Test ohne Risiko machen. Ich finde, es geht nicht, dass man ihn nicht zulässt. Die Ängste kann ich verstehen, die gibt es."
Angelika Dohr ist Frauenärztin und ärztliche Psychotherapeutin. Sie arbeitet bei pro familia als Beraterin. Mit den Ängsten meint sie auch die Sorge von Kritikern der Kostenübernahme, dass der Druck auf die Schwangeren, den Test zu machen zunimmt, wo er doch zuverlässig, risikofrei und demnächst womöglich auch umsonst ist:
"Das ist ein echter Knackpunkt. Weil es so leicht verfügbar ist, kann es passieren, dass Frauen die ein Kind entbinden mit Down Syndrom, dass die gesagt kriegen, hättest du doch nachgucken lassen können."
Wachsender Druck: "Du musst doch testen!"
Dass es diesen Druck längst gibt, berichtet Kathrin Schultze-Gebhardt. Sie hat vor acht Jahren ihren Sohn Daniel bekommen, der das Down-Syndrom hat:
"Ich war 39 als ich mit Daniel schwanger war und ich wollte keine Tests machen, ich wollte einfach nicht vor diese Entscheidung gestellt werden. Das war gar nicht so einfach, das durchzuhalten. 'Du musst doch testen bei deinem Alter.' Bei unserem zweiten Sohn war es noch schlimmer, nachdem es einmal 'schief' gegangen war in dicken Anführungszeichen. Aber es ist ein gehöriger Druck. 'Man kann das doch verhindern'. Aber was heißt denn das, verhindern? Man kann es beenden, aber nicht verhindern."
Tatsächlich stellt ein positives Testergebnis die Schwangere vor eine schwere Entscheidung. Denn behandeln lassen sich die Trisomie 21, 13 oder 18 - das sind die Genommutationen, die der Test erkennen kann - nicht. Wie viele Frauen sich nach einem Befund für einen Abbruch entscheiden, darüber existieren nur Schätzungen. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe geht von über 90 Prozent aus, der wissenschaftliche Dienst des Bundestages von 68 Prozent.
Kostenübernahme, aber nicht als Regelleistung
Allein ein auffälliges Ergebnis bei dem nicht invasiven Pränataltest sei keine ausreichende medizinische Entscheidungsgrundlage, meint Jan Degenhardt. In solchen Fällen sollte unbedingt ein invasiver Test wie die Fruchtwasseruntersuchung angeschlossen werden, um das Ergebnis zu verifizieren. Für Schwangere, die Gewissheit haben möchten, führt also letztlich kein Weg an der riskanteren Methode vorbei. Es sei denn, der Bluttest hat keine Auffälligkeiten gezeigt.
Degenhardt plädiert dafür, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für den Test zwar übernehmen sollten, aber keinesfalls als Regelleistung für alle Schwangeren. So sehen es im Übrigen auch pro familia und der Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner:
"Weil es dafür vorbehalten sein sollte, dass in speziellen Risikosituationen man ein risikofreies Verfahren für die Patientin anbieten kann. Es ist extrem wichtig, dass viel Beratung vor diesen Untersuchungen erfolgt. Das Recht der Schwangeren auf Nichtwissen ist ja etwas, was ein hohes Gut ist. Dementsprechend sehe ich das kritisch, das als allgemeine Leistung für jede Schwangere aufzunehmen."
Offene Debatte im Bundestag gefordert
Voraussichtlich im August wird der Gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen beschließen, ob der Bluttest in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden soll. Abgeordnete von CDU, SPD, FDP, den Grünen und der Linken wollen diese Entscheidung jedoch nicht allein dem Ausschuss überlassen. Deshalb haben sie eine offene Debatte im Bundestag über die ethischen und rechtlichen Fragen gefordert.
Zu welchem Ergebnis auch immer die Beteiligten am Ende kommen: Die Tests trügen jetzt schon dazu bei, eine behindertenfeindliche Stimmung in der Gesellschaft zu verstärken, findet die Mutter Kathrin Schulze-Gebhardt:
"Dass so ein Bild aufgebaut wird, ein Leben mit einem Kind mit Behinderung ist eine große Last. Das empfinden wir überhaupt nicht so. Sondern es ist ein ganz normales, sehr lebendiges, schönes Leben das wir haben."
Das Down-Syndrom steht derzeit besonders im Fokus der Pränataldiagnostik. Aber schon bald könnten neue nicht invasive Testverfahren auf den Markt kommen, die Informationen beispielsweise über das Diabetes-, Alzheimer- oder Brustkrebsrisiko liefern. Die Gesellschaft wird eine Antwort darauf finden müssen, wie viel genetische Information wir über ungeborene Kinder haben wollen und wie wir damit umgehen.