Dienstag, 30. April 2024

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Präsidentenwahl im Iran
"Ruhani wird versuchen, Strukturdefizite zu überwinden"

Weil Amtsinhaber Hassan Ruhani als das kleinere Übel wahrgenommen werde, rechnet SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich mit seiner Wiederwahl zum iranischen Präsidenten. Das liege auch daran, dass hinter Ruhanis Gegner Ebrahim Ra’isi jene stünden, die massiv Druck auf Reformkräfte ausübten, so Mützenich im DLF.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Silvia Engels | 19.05.2017
    Silvia Engels: Am Telefon mitgehört hat Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvize und Vorsitzender der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Guten Morgen, Herr Mützenich.
    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Wie schätzen Sie denn die Chancen ein, dass Präsident Ruhani wiedergewählt wird?
    Mützenich: Es ist schwer natürlich, von hier aus zu beobachten. Insbesondere wissen wir, dass von einzelnen Stellen auch Einfluss genommen wird, und gerade der Vorbericht hat ja auch gezeigt, dass diese Wahlen vorab manipuliert gewesen sind, zumindest im Hinblick auf die Kandidatenaufstellung. Aber zumindest das, was ich gehört und gelesen habe, deutet doch darauf hin, dass am Ende, auch wenn es Kritik an Ruhani gibt, er möglicherweise auch die Nase vorne hat.
    "Es gibt weiterhin Investitionszurückhaltungen"
    Engels: Nun ist Präsident Ruhani nicht nur hier, sondern auch im Iran sehr fest mit dem Abschluss des Atomabkommens 2015 verknüpft. Das war ja das Abkommen, das sicherstellen sollte, dass der Staat keine Atomwaffen entwickelt, aber im Gegenzug nicht mehr unter Wirtschaftssanktionen so stark leiden muss. Die wirtschaftliche Erholung kam bis jetzt nicht so recht in Gang. Hat man sich da verschätzt?
    Mützenich: Insbesondere, weil es ja auch ein Bündel von Ursachen für diese Schwierigkeiten gibt. In der Tat: Es gibt weiterhin Investitionszurückhaltungen, insbesondere weil ja auch viele Investoren nicht wussten, wie möglicherweise eine neue US-amerikanische Administration arbeiten wird, auch eine Zurückhaltung genau in diesen wichtigen Bereichen, wo der Iran insbesondere im Rohstoffsektor möglicherweise Angebote macht. Aber insbesondere aus deutscher Sicht wird es schwierig, gerade auch für die mittelständische Industrie, hier eine Unterstützung für solche Risikoinvestitionen zu bekommen. Auf der anderen Seite haben wir Strukturdefizite, die auch von der Präsidentschaft Ahmadinedschads noch herrühren, und da ist eine wirtschaftliche Situation gegeben, die ja insbesondere auch von den religiösen Stiftungen behindert wird, und alles das sind große Probleme für einen Wirtschaftsaufschwung, den der Iran unbedingt nötig hat vor dem Hintergrund einer hohen Arbeits-, insbesondere Jugendarbeitslosigkeit.
    Engels: Das heißt, dass Ruhanis Wiederwahlchancen jetzt nicht so günstig gesehen werden – man kann es nicht genau sagen, aber es ist zumindest knapper, als es zwischenzeitlich mal aussah -, hängt auch mit der US-Administration zusammen?
    Mützenich: Ich glaube, es hängt insbesondere damit zusammen, dass der Bankensektor nicht genau einschätzen kann, ob möglicherweise eine stärkere Verankerung auch von Entscheidungen zu Gunsten von Investitionen im Iran nicht an anderer Stelle auch sanktioniert werden. Wir haben gestern gesehen, dass bestimmte Sanktionen – die hätten auch wieder in den USA verankert werden können – von der US-Administration nicht erfolgt sind. Das war, glaube ich, notwendig, auch vor dieser Wahl. Aber letztlich – und das sehen wir ja insgesamt von der US-Administration -, dieser Präsident und auch außenpolitische Äußerungen sind unkalkulierbar, und das wirkt sich auch auf die Iran-Politik aus.
    Mützenich: Ruhani scheint für viele immer noch das kleinere Übel
    Engels: Nun ist Präsident Ruhani durchaus nicht unumstritten im eigenen Land, aber auch in Fragen von Menschenrechten ist er nicht nur der Reformer, als der er hier im Westen oft gesehen wird. Aber er gilt immer noch als bessere Wahl aus westlicher Sicht als sein Hauptkonkurrent Ra’isi. Woran liegt das?
    Mützenich: Insbesondere an der Alternative Ra’isi und auch der Gruppen, die ihn unterstützen, und letztlich auch der Erfahrungen, die man mit Gewalt in der iranischen Gesellschaft verbindet, und hier sind ja insbesondere die Gruppen. Hinter Ra’isi stehen auch diejenigen, die in der iranischen Gesellschaft selbst massiv Druck auf Reformkräfte ausüben, bis hin auch zur Unterdrückung der Frau, und das sind natürlich Dinge, die eine große Rolle spielen. Deswegen würde ich sagen, die Stimmen, die ich gehört und gelesen habe, deuten darauf hin, Ruhani ist immer noch das kleinere Übel und wird es möglicherweise schaffen, über einen langfristigen Zeitraum, den man ihm jetzt dann gibt, auch zu versuchen, die Strukturdefizite in der iranischen Wirtschaft und Gesellschaft zu überwinden. Aber das ist in diesem politischen System sehr schwer.
    Engels: Das heißt, wenn Ra’isi sich durchsetzt, ist das nicht nur indirekt auch auf die geänderte Haltung der US-Administration zurückzuführen, weil das die Hardliner gestärkt hat?
    Mützenich: Das glaube ich schon. Insbesondere hat es große Enttäuschungen gegeben. Wahrscheinlich waren die Erwartungshaltungen, die sich nach dem Atomkompromiss gerade in der iranischen Gesellschaft deutlich gemacht haben, zu groß. Wir sehen aber auch, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich massiv gewachsen ist. Wir haben auch eine Wirtschaftspolitik von Ruhani, die kritisiert werden kann, weil sie doch sehr stark auch neoliberal ausgerichtet ist. Aber auf der anderen Seite hat Ra’isi überhaupt gar kein Konzept für die Wirtschaft und schon gar nicht für ein Land, was doch durchaus beachtliche Reformkräfte im Inneren haben könnte, wenn man es letztlich lässt.
    Auf der anderen Seite liegt natürlich auch die Beteiligung des Iran in Syrien, im Syrien-Konflikt, indirekt auch im Jemen massiv auf der Wirtschaft, und das sind auch unkalkulierbare Faktoren, die jeden betreffen, egal wer heute möglicherweise die Nase vorne hat.
    Mützenich: Hoffe zumindest, dass das auf eine friedliche Entwicklung einwirken kann
    Engels: Sie sprechen es an: die Präsidentenwahlen fallen in ein anderes Umfeld als noch bei der Wahl 2013. Im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien hat ja der Iran seine Stellung als Regionalmacht deutlich ausbauen können, auch nicht immer zur Freude des Westens. Worauf müssen sich denn die umliegenden Länder nach der Wahl so oder so einstellen?
    Mützenich: Ich glaube, weiterhin auf eine Politik - und da unterscheiden sich wahrscheinlich beide Kandidaten wenig – der Selbstbehauptung des Iran, was viel natürlich auch daher rührt eines achtjährigen Krieges zwischen Iran und dem Irak. Ich gehe davon aus, dass letztlich wir schauen müssen, alles dafür zu unternehmen, unter dem Dach der Vereinten Nationen den Iran einzubinden in eine Situation, wo man versucht, im Nahen und Mittleren Osten dem Iran auch die Gestaltungskraft und Macht letztlich zu geben, die er durchaus beanspruchen kann. Ich hoffe zumindest, dass das auf eine friedliche Entwicklung einwirken kann, aber da haben insbesondere andere Kräfte wie in Saudi-Arabien das maßgebliche Sagen.
    Engels: Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvize und Vorsitzender der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Wir sprachen über die Präsidentenwahl heute im Iran. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Mützenich: Vielen Dank für die Einladung, Frau Engels.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.