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Präsidentschaftswahl
"Die Ukraine ist eine Demokratie mit Defiziten"

Das Ergebnis der anstehenden Präsidentschaftswahl in der Ukraine könne - anders als in Russland - nicht vorausgesagt werden, sagte Ruprecht Polenz (CDU) im Dlf, "und das ist ja schon mal was". Von den aussichtsreichsten Kandidaten Selenski, Poroschenko und Timoschenko würde er selbst keinen wählen.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Dirk Müller | 30.03.2019
Ruprecht Polenz in Berlin, im Steigenberger Hotel.
Der frühere Generalsekretär der CDU, Ruprecht Polenz, ist seit vielen Jahren Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (imago / Metodi Popow)
Dirk Müller: Die Ukraine von der Fläche her das größte Land in Europa, wenn wir von Russland mit seiner eurasischen Dimension einmal absehen. Petro Poroschenko und Julia Timoschenko, das sind die beiden bekannten, die beiden großen Namen, wenn es um die ukrainische Politik geht, zumindest aus westlicher Sicht. Der eine ist immerhin der amtierende Präsident, die andere ist bereits Regierungschefin des Landes gewesen. Dann gibt es noch Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, aber er kandidiert nicht bei diesen Präsidentschaftswahlen morgen, sondern ein anderer, der ursprünglich gar nicht aus dem politischen Lager kommt: der Schauspieler und Comedyserien-Star: Wladimir Selenski. Er gilt als äußerst populär und als Favorit für den Urnengang.
Beitrag: Präsidentschaftswahlen in der Ukraine
Wladimir Selenski, Petro Poroschenko und Julia Timoschenko, die aussichtsreichen Kandidaten morgen bei den Präsidentschaftswahlen. Der frühere Generalsekretär der CDU ist jetzt bei uns am Telefon, Ruprecht Polenz, seit vielen Jahren Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Guten Morgen!
Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Morgen!
Müller: Wen würden Sie wählen?
Polenz: Das ist eine schwere Frage. Ich glaube, ich würde auf den von Ihnen jetzt nicht genannten, an Nummer fünf in den Umfrage stehenden Anatolij Grizenko setzen. Der war mal Verteidigungsminister, versteht also etwas von Politik. Er ist auch bei den Ukrainern interessanterweise derjenige, der die wenigsten Aversionen erzeugt.
Es ist interessant, dass in der Ukraine jetzt viele Umfragen in die Richtung gibt, wen würden Sie auf keinen Fall wählen, und da sagt fast die Hälfte Poroschenko. Und auch die anderen beiden Kandidaten, die die Chance haben, in die Stichwahl zu kommen, haben jeweils ein beträchtliches Anti-Rating, wobei Selenski da nur auf zehn Prozent kommt, aber Timoschenko würden auch 30 Prozent unter keinen Umständen wählen. Also es ist eine schwierige Sache, von außen zu beurteilen, aber die Ukraine ist ein wichtiges Land, und wir können nur hoffen, dass sie eine gute Wahl trifft.
"Bei Poroschenko weiß man, was man hat"
Müller: Jetzt habe ich gehofft, Sie würden sich auf einen der drei einigen können. Ich sag das noch mal: Selenski, Poroschenko, Julia Timoschenko – wer wäre dort aus Ihrer Sicht für den Westen am besten?
Polenz: Also bei Poroschenko weiß man, was man hat, man weiß aber eben auch, was man bisher nicht bekommen hat: Das sind die Reformen in der Ukraine. Bei Timoschenko weiß man, was man schon mal bekommen hatte, das war auch nicht der Durchbruch in Richtung Reform, und deshalb sind ja auch so viele Ukrainer der Meinung, wir versuchen es mal mit einem, der gar nicht aus dem politischen Bereich kommt, mit Selenski. Aber da muss ich sagen, sind die amerikanischen Erfahrungen mit jemandem, der sagt, ich bin kein Politiker und deshalb kann ich das, doch nicht ermutigend. Also von den dreien würde ich keinen wählen.
Müller: Sie meinen ja jetzt nicht Ronald Reagan.
Polenz: Nein, ich meine den jetzigen amtierenden Präsidenten.
Müller: Aber das konnte man vorher ja vielleicht auch in der Dimension nicht erahnen, wie auch immer, also …
Polenz: Nein, aber ich meine, diese Meinung – ich komme jetzt, ich mach alles anders, ich bin nicht in diesen ganzen Systemen, ich hab was ganz anderes gemacht, das klappt dann schon –, diese Herangehensweise würde mich jedenfalls nicht überzeugen, einfach, weil ich ja auch nicht, ich sag mal, zu einem Kfz-Mechaniker gehen würde, der sagt, ich hab aber noch nie ein Auto repariert.
"Man kann das Ergebnis der Wahlen nicht vorhersagen, und das ist ja schon mal was"
Müller: Aber man könnte ja viel lernen. Also wenn ich das recht in Erinnerung habe – bitte korrigieren Sie mich, Herr Polenz, wenn das falsch ist, was ich sage –, ist ja Poroschenko vor allem auch von Beruf Milliardär gewesen, bevor er dann Präsident wurde. Er war ja auch nicht so stark involviert in die Politik und wurde dann Präsident, und immerhin hat er seinen Job ja auch, wie auch immer, zufriedenstellend gemacht und angetreten.
Polenz: Ja, also ob zufriedenstellend, da sind die Ukrainer mindestens geteilter Meinung. Es ist schon sehr viel liegen geblieben gerade an den drängenden Themen, die sich alle im Grunde um Korruption und den Aufbau demokratischer Institutionen handeln. Aber vielleicht sollte man eins in jedem Fall festhalten: Man kann das Ergebnis der Wahlen nicht vorhersagen, und das ist ja schon mal was.
Anders als in Russland, wo jeder weiß, wer bei Wahlen, auch wenn da mehrere Kandidaten antreten, letztlich Präsident wird, wie auch immer. Die Ukraine ist eine Demokratie mit Defiziten, aber sie ist immerhin eine Demokratie in der Region, die verhältnismäßig frei ist.
Müller: Reden wir noch mal über den amtierenden Präsidenten, über Petro Poroschenko. Ich habe gesagt zufriedenstellend, damit meinte ich, dass ihm jetzt keiner abspricht, dass er im Grunde Politiker sein kann, dass er Politiker ist.
Polenz: Das ist richtig.
Der Einfluss der Oligarchen
Müller: Aber reden wir über seine Qualität: Warum hat er das nicht gemacht, diese Reformen umgesetzt – also gegen die Korruption entschieden voranzugehen, auch die Medien zu demokratisieren, warum hat er das nicht gemacht?
Polenz: Man darf natürlich nicht unterschätzen, mit welchen Strukturen man es in der Ukraine zu tun hat. Wir sprechen ja nicht ohne Grund von dem großen Einfluss der sogenannten Oligarchen. Das sind Männer, die zum Teil noch wesentlich reicher sind als Poroschenko, die reich geworden sind, weil sie Staatsbetriebe unter ihre Kontrolle gebracht haben und die ihren Einfluss auch ausüben wollen, auch politisch, deshalb meistens auch die wichtigen Medien besitzen, die unterschiedlichen privaten Fernsehkanäle und auch Zeitungen. Auch im Onlinebereich haben sie Möglichkeiten, ihre Meinung zu verbreiten.
Müller: Das ist genauso wie in Russland.
Polenz: Ja, ich glaube, das ist insofern unterschiedlich, als daraus eine gewisse Pressevielfalt entsteht, aber es ist so, dass diese Oligarchen sich auch dann eben versuchen Einfluss zu kaufen. In Russland, glaube ich, hat Putin es, wenn man so will, geschafft, dass die Oligarchen nicht mehr in dem Sinne um Macht konkurrieren können, sondern die ist bei Putin zentralisiert. Ob das jetzt ein Vorteil ist, würde ich bezweifeln.
Müller: Jetzt reden wir immer von Oligarchen, Sie sagen das ja auch, das liest man ja auch immer, seit vielen, vielen Jahren ist das ja ein völlig etablierter Begriff. Könnte man auch besser sagen Kriminelle?
Polenz: Das mag sicher sein, dass der eine oder andere vor Gericht gestellt werden müsste wegen Steuervergehen, Korruption, was auch immer, das würde ich jetzt nicht ausschließen. Ich würde den Begriff der Oligarchen bevorzugen, weil er …
Müller: Weil er das impliziert.
Polenz: Nein, ja, ein Stück weit vielleicht. Also die klassische Definition, Herrschaft der Wenigen, die wir alle aus dem Lateinunterricht oder aus dem Griechischunterricht noch kennen, die meint das möglicherweise nicht in gleicher Weise, sondern es heißt eben, Wenige haben besonders viel Einfluss.
Und das trifft es bei der Ukraine schon, eben weil diese reichen Männer auch versuchen, Konkurrenz etwa durch neue Investoren abzublocken – deshalb kommt das Land auch in Teilen nicht dorthin, wo es gerne hin möchte. Also die sind schon ein beträchtliches Problem, mit dem es jeder Präsident zu tun hätte. Wenn Sie zum Beispiel sehen, dass Achmetow, der Reichste von ihnen, ganz Privatarmeen im Donbass unterhält, dann wird schon deutlich, dass das auch mit dem staatlichen Gewaltmonopol in der Ukraine nicht ganz so einfach ist.
"Man hatte viele Hoffnungen in Julia Timoschenko gesetzt"
Müller: Sie haben reiche Männer angesprochen, es gibt ja auch reiche Frauen: Julia Timoschenko zum Beispiel gilt ja auch als reiche Frau – vielleicht keine Milliardärin, aber Multimillionärin, als Gasprinzessin wird sie häufig ja auch bezeichnet, war vielen im Westen ja oft über weite Strecken sympathisch, weil sie inhaftiert wurde vom alten Regime, dann wieder frei kam. Sie war ja zweimal sogar im Gefängnis, war mal eine Ikone der Orangenen Revolution, ist das längst nicht mehr und hat gar nicht so viel Zuspruch, wie viele das eigentlich glauben. Woran liegt das?
Polenz: Ja, ich glaube, gerade an den Gründen, die Sie nennen. Also man hat eben ihre Fehler auch nicht vergessen, und enttäuschte Hoffnungen wirken natürlich auch dann besonders lange nach. Man hatte viele Hoffnungen in Julia Timoschenko gesetzt. Ich hatte sie auch seinerzeit auch zweimal getroffen, einmal in der Ukraine, einmal bei ihrem Besuch in Berlin, und das waren die Zeiten, wo auch der Westen, wo wir, wo die Bundesregierung Hoffnungen in sie gesetzt hatten, die dann nicht erfüllt worden sind, und das hängt ihr natürlich nach.
Sie hat jetzt versucht, mit einem sehr langen Wahlkampf sich auch als Expertin zu profilieren, merkt aber an den Umfrageteilen, dass das möglicherweise nicht zum Erfolg führt, und schlägt jetzt auch wieder populistischere Töne an. Entscheidend wird ja der zweite Wahlgang sein, und deshalb ist es so wichtig, wer in die Stichwahl kommt.
Im Augenblick sieht es so aus, dass Selenski deutlich führt, er wird also drin sein, und ob nun Poroschenko oder Timoschenko in die Stichwahl kommen, ist offen. Und wenn das mit einem sehr knappen Stimmenausgang in dem ersten Wahlgang erfolgt, besteht die Gefahr, sagen jedenfalls Beobachter, dass der Unterlegene auf Platz drei das dann möglicherweise nicht anerkennt. Und das ist noch ein Fragezeichen, von dem wir gemeinsam hoffen sollten, dass es nicht zu einem Ausrufezeichen wird, sondern dass derjenige oder diejenige, die auf Platz drei ist, das dann auch akzeptiert.
"Man muss auch mit Russland reden"
Müller: Ich muss ein bisschen auf die Uhr schauen, wir haben nur noch eine knappe Minute, und möchte Sie das zum Schluss noch mal fragen: Wladimir Selenski, also dieser umstrittene Schauspieler, wo viele ja dann sagen, er hat ja die Qualifikation, Präsident zu werden. Er führt im Moment in den Umfragen, er sagt aber auch, wir müssen auf Russland zugehen, um die Krise im Osten des Landes zu lösen. Könnte das ein probater Weg sein, eben mehr auf Russland zuzugehen, als das die anderen tun.
Polenz: Das glaube ich in einer Weise ja. Natürlich muss der Minsk-Prozess weitergetrieben werden, das heißt, man muss auch mit Russland reden, aber die Ukraine ist gut beraten, auf ihrer territorialen Unabhängigkeit zu bestehen und auch darauf, dass sie ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln kann. Und genau diese beiden Punkte will Putin nicht, und deshalb verstehe ich nicht ganz, was dann das Zugehen auf Russland heißen könnte.
Müller: Der frühere Generalsekretär der CDU, Ruprecht Polenz, war das, seit vielen Jahren Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Herr Polenz, vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.