Freitag, 19. April 2024

Archiv

Präsidentschaftswahl in den USA
"Sogar Bush hat sein Kreuzchen nicht bei Trump gemacht"

Die Botschaft und das Auftreten der Demokratin Hillary Clinton habe offenbar nicht so große Begeisterung wachgerufen wie Donald Trump, sagte Crister Garret von der Uni Leipzig im DLF. Dass Trump Florida gewonnen habe, zeige aber, dass er auch Menschen aus der Mittelschicht überzeugen konnte. Der Riss gehe quer durch die Nation - und durch die republikanische Partei selbst.

Crister Garrett im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.11.2016
    Auf dem großen TV-Bildschirm wird der Sieg Hillary Clintons in New York angezeigt.
    Auf dem großen TV-Bildschirm wird der Sieg Hillary Clintons in New York angezeigt. (dpa/picture-alliance/Jason Szenes)
    Wut, Frustration, das Gefühl ausgegrenzt zu sein: Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Crister Garret von der Uni Leipzig habe der Republikaner Trump mit seiner Botschaft den Zeitgeist besser getroffen. Hillary Clinton habe es nicht geschafft, ihre Wähler in ausreichendem Maße an die Urne zu bekommen. Die Demokraten müssten sich fragen lassen, wie es dazu kommen konnte.
    Der Wahlverlauf zeige, dass Trump die Mobilisierung von Wählern wirklich gelungen sei. Gewerkschafter und Arbeiter scheinen eher von Trump überzeugt worden zu sein. Offenbar habe er die bewegenderen Botschaften für die Basis angeboten.
    Sollte Trump Präsident werden, werde man ähnlich wie nach der Brexit-Entscheidung in Großbritannien zwei Nationen erleben. Das würde völlig neue Akzente in der US-Politik bedeuten und damit große Änderungen in der Außen- und Innenpolitik sowie im sozialen Bereich, gegenüber der Nato und bei der Handelspolitik.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist Christer Garrett, US-Amerikaner und Professor für amerikanische Studien an der Universität in Leipzig. Schönen guten Morgen.
    Christer Garrett: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Sind auch Sie auf dem falschen Fuß erwischt? Wir sind alle gestartet in die Nacht mit der Bewertung, Hillary Clinton ist die Favoritin, selbst wenn es eine Chance gibt, aber eben eine nicht sehr große für Donald Trump, doch noch das Blatt für sich zu wenden.
    Garrett: Wir haben in den letzten Tagen immer wieder gesagt, es wird sehr, sehr eng sein, und das erleben wir eben noch einmal am Brexit-Beispiel im Sinne von, man hat bestimmte Prognosen gehabt. Aber wir sehen jetzt, es geht wirklich um die Mobilisierung der Wähler, und das hat Donald Trump wirklich hingekriegt, sein Korps-Klientel zu mobilisieren. Wogegen wir sehen, für Hillary Clinton sind die Wähler offensichtlich deutlich ambivalenter gewesen, und jetzt haben wir eine Landkarte, wo wir haben, was wir eben haben jetzt.
    Barenberg: Sie sagen, Mobilisierung. Das heißt, für Sie wäre eine erste vorsichtige Einschätzung auch, dass es Donald Trump gelungen ist, Wähler, die sonst nicht zur Wahl gegangen wären, zu mobilisieren, ihn zu wählen?
    Garrett: Das scheint der Fall zu sein, werden wir in den nächsten Tagen sehen. Auf alle Fälle diejenigen, die normalerweise vielleicht doch wählen gehen. Auf alle Fälle dieses Mal noch einmal, das sehen wir zum Teil in Wisconsin, in Michigan jetzt, in Bundesstaaten, die Barack Obama gewonnen hat und wo jetzt viele Arbeiter und Gewerkschafter offensichtlich eher für Donald Trump und seine zum Beispiel Handelspolitikbotschaft überzeugt sind. Das scheint immer mehr jetzt in den letzten Stunden eine größere Rolle zu spielen und in diesem Sinne hat er die bewegendere Botschaft angeboten für viele Wähler an der Basis der Politik.
    "Donald Trump hat offensichtlich eine breitere Basis für sich etabliert"
    Barenberg: Es hat ja immer geheißen, dass Donald Trump vor allem sich um eine bestimmte Wählerschicht kümmert. Das sind die weißen Männer, das sind häufig Menschen, die nicht eine Hochschulbildung haben. Und bei allen anderen Bevölkerungsgruppen, bei den Frauen, bei den Menschen mit hispanischen Wurzeln, bei den Afroamerikanern, da würde er keinen Stich machen. Wenn Sie sagen, Hillary Clinton hat es nicht geschafft, ihre Wähler an die Urne zu bringen, heißt das auch, dass unter diesen Bevölkerungsgruppen, die eigentlich nicht geneigt gewesen sind, Trump zu wählen, sich doch etwas verändert haben muss?
    Garrett: Ja. Aber ich muss sagen: Nehmen wir Florida und Ohio, die beiden Bundesstaaten, die Trump für sich gewonnen hat. Man gewinnt diese Staaten nicht nur mit Leuten aus bescheidenen Hintergründen. Da muss man auch Vororte und Akademiker und die klassische Mittelschicht auch zum Teil für sich gewinnen, und in diesem Sinne hat Donald Trump offensichtlich eine breitere Basis für sich etabliert. Das klassische Klientel für die Demokraten, genau wie Sie das dargestellt haben, die sind wählen gegangen, aber einige sind offensichtlich auch abgebrochen und haben sich Richtung Donald Trump bewegt. Und da muss sich die Partei fragen lassen, wieso ist es dazu gekommen und was liegt falsch an der Botschaft oder ist nicht ausreichend bewegend an der Botschaft, und das werden wir in den nächsten Tagen auch erleben bei den exit polls, wo wirklich Wähler gefragt werden, wieso haben sie so gestimmt und aus welchen Gründen.
    "Politik hat viel mit Zeitgeist zu tun"
    Barenberg: Sie haben gerade die Frage aufgeworfen an die Adresse der Demokraten, wieso haben sie es nicht geschafft, ihre Wähler zu mobilisieren, eine erfolgreiche Kampagne zu machen. Was wäre denn Ihre vorläufige Antwort?
    Garrett: Ich denke, für Hillary Clinton wird es anders als vor acht Jahren. Sie hatte auch Schwierigkeiten gehabt gegenüber zuerst Barack Obama, wirklich Wähler für sich zu gewinnen. Ich denke, ob das fair ist oder nicht, ist dahingestellt. Aber sie als Kandidatin, das hat nichts mit ihr als Frau zu tun, für die große Mehrheit der Wähler einfach ihre Botschaft, wie sie performt, und man sah, sie hat Begeisterung nicht wachgerufen vor acht Jahren. Offensichtlich ist das in dieser Saison auch der Fall. In acht Jahren hat das Land sich auch sehr geändert, wirtschaftlich, sozial, und Donald Trump mit seiner Botschaft hat wirklich irgendwie den Frust der Wähler für sich konsolidiert, und ich denke, es hat mit vielen Gefühlen, nicht mit Irrationalität, aber mit Gefühlen und Demokratie zu tun und Donald Trump vertritt diese Gefühle einfach überzeugender, bewegender, wenn man so will, als Hillary Clinton in dieser Saison. Demokratische Politik hat viel mit Zeitgeist und Saison zu tun. Das hat Barack Obama vor acht Jahren richtig getroffen und in dieser Saison hat offensichtlich Donald Trump das doch besser, wirkungsvoller getroffen.
    Barenberg: Sie haben geschildert, dass es Donald Trump gelungen ist, vor allem Gefühle zu transportieren, ein Lebensgefühl, in dem unter anderem Wut, Frustration, Enttäuschung, das Gefühl, zurückgewiesen zu werden, eine Rolle spielen. Wenden wir es einmal anders herum: Sollte sich das bestätigen, sollte Donald Trump diese Wahl gewinnen, auf was müssen sich zunächst einmal die Amerikaner einstellen?
    Garrett: Ich denke, insgesamt werden wir zwei Nationen erleben, nicht so frappierend und unterschiedlich zu Großbritannien nach der Brexit-Wahl: eine Nation, die Moderation, Mäßigkeit einer Mitte bevorzugt und erwartet hat an diesem Abend bei dieser Wahl. Und dann, wie Sie das richtig dargestellt haben, eine Nation, die zutiefst frustriert ist, aufgewühlt ist. Die erwartet große Änderungen in der Innenpolitik, in der Außenpolitik. Und Donald Trump, würde er ins Weiße Haus ziehen, wusste ganz genau, er muss dieser Erwartung gerecht sein, und in den berühmten ersten 100 Tagen, denke ich mir, wir werden wirklich ganz neue Akzente in der Innen- und Außenpolitik erleben. Das wurde schon angesprochen, sei es NATO, sei es Handelspolitik, sei es Sozialpolitik. Und wir müssen darauf gefasst sein.
    "Das ist eine Zäsur"
    Barenberg: Das wird also eine Zäsur sein?
    Garrett: Auf alle Fälle! Man sieht das in der republikanischen Partei. Sogar der ehemalige Präsident George W. Bush hat sein Kreuzchen nicht für Donald Trump gegeben. Das ist eine Zäsur. Man sieht hier, die ganze Partei, das Establishment der Partei, die große Mehrheit sind gegen ihren eigenen Kandidaten. Das haben wir bisher nicht erlebt. Es ist eine Art Basisrevolution in der republikanischen Partei auf alle Fälle. Man darf durchaus behaupten, für die amerikanische Politik insgesamt.
    Barenberg: Christer Garrett von der Universität Leipzig. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen. Danke!
    Garrett: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.