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Praktikanten in Brüssel
"Es ist eine neue Form der Sklaverei"

Kaffee kochen, Müll runter bringen, Post verschicken: Nicht gerade Aufgaben, die man sich als Praktikant bei einer EU-Institution nach dem Studium wünscht. Und dennoch sind sie in Brüssel an der Tagesordnung - und das ohne Bezahlung. Unter Praktikanten und EU-Parlamentariern wächst der Widerstand gegen diese Praxis.

Von Susann El Kassar | 06.03.2017
    Flaggen vor dem Europäischen Parlaments in Brüssel, mit Blick von der Rue Wiertz.
    Raus aus dem Hörsaal, rein in den europäischen Betrieb in Brüssel? Oftmals heißt das: Kaffee kochen und Müll runterbringen. (picture alliance / Daniel Kalker)
    Zuzana Vaněčková:
    "It was not only depressing that for me it was a waste of time."
    Es sei eine bloße Zeitverschwendung gewesen, sagt Zuzana Vaněčková. In der jungen Tschechin kocht die Wut hoch, wenn sie sich an ihr letztes Praktikum aus dem vergangenen Jahr erinnert:
    "I had the feeling that it was a wasted opportunity for the organization as well.”
    Sie spricht von einer vertanen Chance, für sie, wie für die Organisation. Im Grunde seit dem ersten Arbeitstag:
    "Meine erste Aufgabe war: Kaffee kochen. Ich trinke immer Tee, also könnt ihr euch vorstellen, dass mein Kaffee ganz schön scheußlich schmeckte. Aber ich habe mir gedacht, zumindest lerne ich hier was, guten Kaffee zu kochen ist eine lebenswichtige Fähigkeit! Selbst das habe ich nicht gelernt. Ich musste den Müll runterbringen und die Post wegbringen. Sie haben mich wie eine billige Arbeitskraft benutzt."
    Kein Geld für ein Praktikum
    Und billige Arbeitskraft trifft es nicht einmal. Zuzana wurde gar kein Geld für das Praktikum gezahlt. Weder für die Unterkunft, noch fürs Essen. Dabei, sagt Zuzana, hätte sie sich sinnvoll einbringen können. Nach vier Jahren als Vorstandsmitglied im Tschechischen Rat für Kinder und Jugendliche hätte die Dachorganisation aus dem Bereich Erwachsenenbildung von ihren Kontakten ins Bildungsministerium profitieren können. Aber das wollte in der Organisation keiner sehen. Also schmiss sie nach nur drei Wochen hin. Mittlerweile arbeitet die junge Tschechin im European Youth Forum und erzählt auf einem Event gegen unbezahlte oder unterbezahlte Praktika von ihrer Erfahrung.
    Zuzana Vaněčková: "Es muss ein Ende haben, dass junge Menschen in einem Zelt leben müssen während ihres Praktikums, dass sie abnehmen, weil sie sich kein Essen leisten können!”
    "Ehrlich gesagt, es ist eine neue Form der Sklaverei”, klagt auch Celine Fabrequette. Eine der wenigen, die sich trauen, ihre Kritik in einer Video-Dokumentation und mit Klarnamen zu sagen. Sie hat ein unbezahltes Praktikum bei der Europäischen Kommission absolviert.
    Insbesondere deren Europäischer Auswärtiger Dienst, der EAD, war Mitte Februar in die Kritik geraten, weil die Behörde von Federica Mogherini jährlich rund 800 Praktikanten unbezahlt in ihren ausländischen Delegationen arbeiten lässt.
    Forderung nach angemessener Vergütung
    Die Ombudsfrau der Europäischen Union, Emily O’Reilly, hatte die Beschwerde einer österreichischen Praktikantin aufgenommen und hat nach einer Untersuchung des Falls den EAD aufgefordert, seine Praktikanten angemessen zu vergüten. Der EAD verteidigte sich mit der Begründung, dass die Praktikanten immateriell profitieren würden, von der Lernerfahrung und weil so ein Praktikum ein entscheidendes Sprungbrett für die zukünftige Karriere sein könnte.
    Terry Reintke, Europaabgeordnete der Grünen kann darüber nur den Kopf schütteln. Unbezahlte Praktika fördern Ungleichheit, und dagegen müsse man ankämpfen:
    "Weil wir doch eigentlich Institutionen wollen, in denen Menschen arbeiten, die aus allen möglichen Hintergründen kommen und wo nicht der Geldbeutel der Eltern darüber entscheidet, ob sie hier eine Eintrittskarte bekommen oder nicht."
    Teufelskreis von Praktikanten
    Die Youth Intergroup, der auch Terry Reintke angehört, ist eine Gruppe von einigen jungen Mitgliedern des Europäischen Parlaments, die sich der Probleme der Praktikanten in EU-Institutionen und auch Brüsseler NGOs annimmt. Sie hat darum Richtlinien für faire Praktika veröffentlicht und versucht mit Aktionen auf die teils prekäre Lage von Praktikanten aufmerksam zu machen.
    Oft ein Teufelskreis: Wer sich auf ein un- oder unterbezahltes Praktikum einlässt, findet sich bald im nächsten Praktikum wieder. Ein weiteres Mal im Glauben, dass dieses der eine Schritt zum ersehnten Job sein könnte.
    "Wenn das eine Normalisierung nach sich zieht, dass man erst zehn Jahre Praktika macht, bevor man in ein normales Beschäftigungsverhältnis kommt. Das ist für die jungen Menschen häufig frustrierend, aber das ist auch zunehmend ein gesamtgesellschaftliches Problem", warnt Terry Reintke.
    Unbezahlte Praktika sind kein Brüsseler Phänomen. Schätzungen zufolge arbeiten Jahr für Jahr mehr als drei Millionen junge Menschen als unbezahlte Praktikanten in Europa. Die Youth Intergroup fürchtet, dass sich dadurch die soziale Ungleichheit in den Gesellschaften zunehmend verschärft.