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Praxisalltag in Coronazeiten
Ohne Termin kommt keiner rein

Patienten nur noch auf Bestellung, verschärfte Hygienemaßnahmen, Schutzkleidung, die in unauffälligen Kartons diskret geliefert wird: Die Coronakrise hat auch die Arbeit in den Arztpraxen verändert.

Von Uschi Götz | 11.04.2020
Blick hinter die Kulissen einer Corona-Schwerpunkt-Praxis in Bahlingen. Die Empfangstheke ist durch eine Glasscheibe geschützt, dahinter Arzthelferin Anja Jösslin mit Kollegin
Die Empfangstheke einer Corona-Schwerpunkt-Praxis in Bahlingen. (Deutschlandradio / Uschi Götz)
In pinkfarbenen Sportschuhen und grünem T-Shirt flitzt Arzthelferin Anja Jösslin von der Praxistheke ins Labor und wieder zurück. Kaum sitzt sie, läutet ein Glöckchen, schnellen Schrittes geht sie jetzt in Richtung eines zur Straße offenen Fensters:
"Die Leute sehen ja, dass das Fenster offen ist und dann klingeln die da. Und dann wissen die, wir halten Abstand. Dann holen wir die Rezepte, Überweisungen oder was der Patient halt bestellt hat und dann ist es erledigt."
Die Gemeinschaftspraxis Holz+Heinert in der Bahlinger Innenstadt nahe Freiburg dürfen seit Beginn der Coronapandemie nur noch vorbestellte Patienten betreten. Das Helferinnen-Team um Anja Jösslin hat sich schnell umgestellt, die Stimmung ist entspannt, der Ton herzlich.
Schutzmarsken in verschiedenen Ausführungen
Nicht weit von der Theke entfernt steht Martin Heinert an diesem Morgen vor einem gut gefüllten Schrank mit Schutzkleidung und Schutzmasken. Der Facharzt für Allgemeinmedizin und Geriatrie zeigt auf eine große Packung mit Schutzmasken. "Aus China", sagt er.
"Wir haben hier verschiedene Modelle und wir kannten uns auch alle damit gar nicht aus, dass es so viele verschiedene Dinger gibt. Das hat ja fast schon modische Aspekte. Die hier sind schön warm für den Winter, dickes Material FFP III."
Als über die ersten Coronafälle in Bayern berichtet wurde, stockte der Arzt den Vorrat an Schutzkleidung von sich aus auf:
"Da dachte ich, vielleicht übertreibst du jetzt selber. Da haben wir noch etwas Ausrüstung nachbestellt, es war hier in der Praxis noch etwas Material vorhanden, von den letzten Schweine- und Vogelgrippepandemien."
Hausarzt spricht während einer Videosprechstunde in seiner Praxis mit einer Patientin
Videosprechstunde beim Arzt (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
Coronavirus - Wie kann Telemedizin bei der Behandlung von COVID-19 helfen?
Der virtuelle Besuch beim Arzt ist in Deutschland möglich, aber das Angebot ist eher spärlich. Doch durch die Corona-Pandemie könnte sich die sogenannte Telemedizin nun verändern. Diese könnte genutzt werden, um Patienten zu betreuen.
Sondersprechstunden und verschärfte Hygienebedingungen
Mit steigenden Corona-Fallzahlen, meldeten die Ärzte ihre Praxis freiwillig zu einem Corona-Schwerpunkt an. Das bedeutet: Sondersprechstunden und verschärfte Hygienebedingungen.
"Wir haben einen Bereich, wo die Patientenkontakte stattfinden, wo auch unsere Diagnostik stattfindet. Und den anderen Bereich haben wir komplett abgetrennt, wo wir uns dann umziehen, wo wir telefonieren können, ohne Mund-Nasen-Schutz natürlich."
Mittlerweile sind auch Heinerts‘ beide Kolleginnen gekommen. Stephanie Hoormann, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Notfallmedizinerin, desinfiziert ihre Hände und packt danach einen Schutzkittel aus:
"Klar, weil Arbeitsschutz ist extrem wichtig, wenn wir hier ausfallen oder in Quarantäne müssen, ist die Versorgung der Leute nicht machbar."
Ansteckungsgefahr ausblenden, um arbeiten zu können
Ärztin Ulrike Holz trägt ein sommerliches T-Shirt. Unter der Schutzkleidung werde es nach kurzer Zeit sehr warm. Die Angst sich anzustecken, blende sie aus, sagt die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde:
Das Team der Gemeinschaftspraxis Holz+Heinert – von links nach rechts: Dr. Martin Heinert, Dr. Ulrike Holz, Dr. Stephanie Hoormann
Das Team der Gemeinschaftspraxis (Deutschlandradio / Uschi Götz)
"In der Schutzausrüstung fühle ich mich doch sehr sicher, zumal wir die auch in genügender Menge habe und auch jeden Tag frische Schutzausrüstung anziehen können. Oder, wenn wir Hausbesuche machen und es einem Patienten sehr schlecht ging, kann man auch dann sagen, das war jetzt eine Kontamination, da ziehe ich alles frisch an."
Corona-Schwerpunktpraxen bekommen vor allem von den Kassenärztlichen Vereinigungen Schutzmaterialien. Das sei alles sehr unkompliziert, kaum habe man die Online-Bestellung abgeschickt, so Ärztin Hoormann:
"Kam wirklich von außen nicht sichtbar, mit persönlichem Fahrer sozusagen, so ein Karton, wo dann viel Schutzmaterial drin war. Also da muss man sagen, das lief dann auch sehr gut von der Kassenärztlichen Vereinigung."
Über weiße Shirts und Hosen streifen sich die Mediziner nun gelbe, bodenlange Schutzkittel, setzen Atemmasken auf und ziehen Schutzbrillen an. Am Ende überprüfen sie sich gegenseitig:
"Du musst deine Brille noch aufsetzen." - "Sehe ich gut aus?"
Ein Extraraum nur für Verdachtsfälle
Rund 50 Patienten werden in normalen Zeiten pro Tag von den drei Ärzten behandelt. In Corona-Zeiten sind es deutlich weniger. Zwischen einzelnen Patienten wird das Behandlungszimmer desinfiziert, auch das braucht Zeit.
"Eigentlich ist es viel geplanter und viel ruhiger. Wir haben jetzt so ein Zeitkontingent von zehn Minuten - stimmt Martin, oder? So ungefähr und da sind die Leute einbestellt. Die haben angerufen oder über eine Hotline sich gemeldet, und die Helferinnen sortieren natürlich, und wenn das jetzt so ein bisschen Grippesymptome sind, Verdacht natürlich immer auf COVID-19, dann werden die einbestellt."
Die Ärzte teilen sich auf: Ulrike Wolf geht in ein Behandlungszimmer, Stephanie Hoormann und ihr Kollege Heinert sind auf dem Weg in ein Sprechzimmer. In diesem Raum werden nur COVID-19-Verdachtsfälle untersucht.
"Die Kollegin nebenan macht die Telefonate, wir haben eine Anrufliste. Wir haben im Moment noch den Luxus, dass wir das auch zu zweit machen, einer dokumentiert und einer ist am Patienten. Und so ist der in dem unsauberen, infektiösen Bereich noch einmal besonders exponiert und der bleibt dann in dem Zimmer."
Ruhige, strukturierte Sprechstunde
Der erste Patient heute ist ein junger Mann. Aus beruflichen Gründen lässt er sich testen. Von zehn Getesteten sind mittlerweile acht positiv. Stephanie Hoormann misst Temperatur und mit einem Pulsoxymeter am Finger die Sauerstoffsättigung. Alles unauffällig.
"Rauchen Sie?" - "Ja" - "Das ist nicht gut!"
Über ihre Schutzbrille setzt die Ärztin nun noch einen Helm mit Visier auf.
"Mund bitte mal aufmachen."
Jetzt macht sie einen Rachen- und Nasenabstrich für den COVID-19 –Test.
"Das Ergebnis haben wir so in ein bis vier Tagen, je nach Laborkapazitäten."
Der Mann bedankt sich höflich und geht. Das Fenster ist weit geöffnet, Vögel zwitschern, die beiden Ärzte reden ein miteinander, gestresst ist hier keiner:
"Dadurch, dass wir die Einbestelltaktik so machen, dass die Mitarbeiterinnen da vorne das alles auch sehr strukturiert hinbekommen, haben wir eigentlich eine sehr ruhige, strukturierte Sprechstunde. Und die Patienten sind fast überraschend diszipliniert und machen da auch in dieser Struktur sehr gut mit hier."
Wissen, dass man an der richtigen Stelle ist
Immer noch hört man die Helferinnen fröhlich sprechen. Wie lange der Ausnahmezustand noch dauert, weiß keiner. Der Osterurlaub ist erst einmal abgesagt, klaglos nehmen das alle hin. Hier ist man sich sicher, gerade jetzt an der richtigen Stelle zu sein:
"Wir machen genau das, was wir gut können, und für uns ist das ganz klar. Und so können wir auch, wie viele andere gerade da draußen, hier was bewirken."