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Premiere des International Music Award
Viele Preise, wenige Stars

Nach dem Echo-Aus fehlt Deutschland ein Pop-Preis mit Relevanz. Der International Music Award will diese Lücke füllen. Statt nach Genres werden Künstler in Kategorien wie "Sound", "Style" oder "Future" ausgezeichnet. Ein deutscher Preis für internationale Musik – kann das gut gehen?

Von Christoph Möller | 23.11.2019
Anna Calvi singt und spielt E-Gitarre beim International Music Award (IMA)
Anna Calvi gewann beim International Music Award in der Kategorie "Sound" (picture-alliance/dpa/Reuters/POOL)
Am Anfang war Sting und am Ende war Sting. Am Anfang sah man sein Gesicht auf einer riesigen Leinwand. Unterlegt von spannungsvoller Musik sagte er in die Kamera: "Was mir Musik bedeute?" – "Das ist wie einen Fisch zu fragen, was Wasser ist?"
Solide Performance im Halb-Playback
Und am Ende spielte Sting gleich zwei Stücke live. Zwei Stücke live spielen, das durfte gestern Abend beim ersten "International Music Award" wirklich nur der Ex-Police-Sänger, der für sein Lebenswerk als "Hero" ausgezeichnet wurde, für sein Engagement zum Schutz des Regenwaldes, und überhaupt: für seine Kunst. Sting: "Ich danke Ihnen, es ist mir eine Ehre, heute Abend hier bei Ihnen in Berlin."
Wäre Sting nicht dagewesen, der Preis hätte deutlich weniger Star-Appeal gehabt. Die Laudatio auf Sting hielt Udo Lindenberg, der zuvor eine solide Performance im Halb-Playback abgeliefert hatte.
Udo Lindenberg: "Everyone with a heart loves Sting's body of work. So thank you for your music, my brother from another mother."
Lindenberg wagte dann gestern auch ein politisches Statement: Er finde es gut, dass die Ausgezeichneten keine "Dekorationsmusik" machen würden. Udo Lindenberg: "Und immer mehr Sängerinnen und Sänger, Bands, machen das ja jetzt auch. Total wichtig. Gegen Rassismus, Nationalgedröhn, den Planeten retten. Und natürlich gegen die beknackten Rechtsextremisten. Wir müssen hier ordentlich zur Sache kommen, yeah!"
Coole, queerfeministische Künstlerinnen
Und tatsächlich: Dekorationsmusik stand gestern kaum auf der Bühne, sondern coole, queerfeministische Künstlerinnen wie Christine And The Queens oder Anna Calvi.
Ausgewählt wurden die Gewinnerinnen und Gewinner von einer Jury aus Musikjournalistinnen und -journalisten. Da konnte man fast vergessen, dass der Preis vom Axel-Springer-Verlag verliehen wird und vor allem ein Marketing-Tool ist. Plötzlich tauchte etwa völlig kontextlos auf einer Leinwand Robbie Williams auf und machte Werbung für sein neues Weihnachtsalbum.
Diese offensichtliche Reklame stand im krassen Gegensatz zu einer Avantgarde-Performance der in Berlin lebenden US-Elektronik-Musikerin Holly Herndon, die den Preis in der Kategorie "Future" gewonnen hat – für innovative Techniken in der Musikproduktion.
Holly Herndons minimalistischer Auftritt fiel derart raus aus dem eng getakteten Ablauf der Show, das Publikum wusste nicht so Recht, was es mit ihr anfangen sollte. Getoppt wurde das nur noch von Peaches, die mit einer von der Decke baumelnden Akrobatin auftrat, aus deren Po ein grüner Laser strahlte. Peaches coverte "Du Hast" von Rammstein.
Rammstein hatten mal wieder einen Preis für die beste Live-Show gewonnen, waren aber selbst nicht da. Und das war ein Problem dieses "International Music Awards": Fast alle wirklich bekannten Gewinnerinnen, etwa Billie Eilish, die in der Kategorie "Beginner" gewann, sind nicht nach Berlin gekommen, sondern waren häufig nur per Video eingeblendet. Billie Eilish: "Do I feel like a beginner? I mean, no!"
Es braucht eine kritische Würdigung guter Musik
Außerdem wurden nicht mal die Nominierten in den insgesamt acht Jury-Kategorien erwähnt. Die Preise wurden an die Gewinnerinnen wie am Fließband verliehen. Den besten "Sound" hat Anna Calvi, den besten "Style" Lizzo – und schon hatte man wieder vergessen, wer gerade gewonnen hatte. Lizzo: "Well, thank you to Marco for always keeping me fresh, he put me in this outfit today!"
Dass der Axel-Springer-Verlag, angeführt von der verlagseigenen Musikzeitschrift "Rolling Stone" versucht, einen populären Jury-Musik-Preis zu etablieren, ist eine gute Idee. Es braucht eine kritische Würdigung guter Musik. Die Show war einigermaßen unterhaltsam. Aber wie international will dieser Preis jetzt eigentlich sein? Interessiert sich das internationale Publikum wirklich für Udo Lindenberg? Oder Max Herre und Joy Denalane, die auch aufgetreten sind? Vermutlich nicht. Und auch die Moderation, mal auf Deutsch, mal auf Englisch wird ein Ausschaltimpuls gewesen sein.
Im kommenden Jahr braucht der Award ein eindeutigeres Profil, damit die Ausgezeichneten wissen, was sie gewinnen, und nicht weiterhin – wie in diesem Jahr – so irritiert und desinteressiert dreinschauen, wenn ihnen eine der leider auch nicht sehr schönen Trophäen überreicht wird.