Samstag, 20. April 2024

Archiv

Pressekodex zu Straftätern
"Es gibt eine große Verunsicherung"

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, hat die Praxis verteidigt, in den Medien die Herkunft von Straftätern nur in begründeten Fällen zu nennen. Wenn die Herkunft nichts mit der Tat zu tun habe, sei dies auch nicht relevant, sagte Überall im Deutschlandfunk. Er bezog sich auf eine Entscheidung des Deutschen Presserates.

Frank Überall im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 12.03.2016
    Frank Überall vom Deutschen Journalisten-Verband
    Frank Überall vom Deutschen Journalisten-Verband (imago stock & people)
    Die Richtline habe bisher auch funktioniert, sagte Überall im Deutschlandfunk. Es sei eben nicht so, dass die Herkunft von Straftätern nie genannt werde. Dies werde auch nicht verboten.
    In begründeten Zusammenhängen dürfe man die Herkunft nennen. Bei der italienischen Mafia sei dies zum Beispiel der Fall. Überall räumte ein, dass es derzeit eine große Verunsicherung auch aufgrund der Silvestervorfälle gebe.
    Bei der Berichterstattung über Kriminalität sollen Medien auch künftig nur dann Religion oder Nationalität der Täter nennen, wenn es einen "begründeten Sachbezug" zur Straftat gibt. Der Deutsche Presserat hatte am Mittwoch abgelehnt, die entsprechende Richtlinie 12.1 im Pressekodex zu ändern. Die Zurückhaltung soll die Diskriminierung von Minderheiten verhindern. Bei vielen Medien ist die Richtlinie umstritten. Die Kritik daran war zuletzt deutlich schärfer geworden.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Der Presserat hat diese Woche eine weit beachtete Entscheidung getroffen. Er hat gesagt, dass die Richtlinie 12.1 nicht verändert wird. Das ist jetzt ein bisschen technisch gesprochen, aber es geht im Wesentlichen um die Frage, sollen oder dürfen wir Journalisten die Herkunft von möglicherweise Menschen, die mit Straftaten in Verbindung gebracht werden, nennen, ja oder nein. Das hat sich alles natürlich entzündet, diese Diskussion, an der Situation in Köln, und da wurde viel diskutiert, und natürlich spielt auch eine Rolle der Vorwurf der "Lügenpresse", wenn so etwas nicht genannt wird. Der Presserat hat erst mal gesagt, wir lassen alles so, wie es ist. Ich freue mich, dass jetzt bei mir im Studio ist der Chef des Journalistenverbandes, Frank Überall, den ich zunächst einmal herzlich begrüße, und an ihn geht die Frage: Sie sagen ja, das ist richtig. Warum glauben Sie, dass die Entscheidung des Presserates, erst mal nichts zu ändern, richtig ist?
    Frank Überall: Guten Morgen, Herr Zurheide. Man sieht ja, dass die Ziffer 12.1, so wie sie angewendet ist, bisher auch funktioniert. Es ist ja nicht so, dass nie die Herkunft von Straftätern genannt wird. Schon in der Vergangenheit hatten wir durchaus Phänomene, wo klar gemarkert wurde, wo eine regionale Herkunft tatsächlich ausschlaggebend ist. Ziffer 12.1 sagt eben nicht, man darf gar nicht nennen. Ziffer 12.1 sagt, da, wo es einen begründeten Zusammenhang gibt, darf man nennen. Und das ist zum Beispiel der Fall bei der italienischen Mafia. Da hat man das schon immer genannt, und insofern kommt man mit dieser Regelung, so wie sie ist, ganz gut weiter.
    Kölner Silvesternacht: "Die Herkunft zu nennen, war genau richtig"
    Zurheide: Warum gibt es viele Kolleginnen und Kollegen, die sagen, eigentlich ist das antiquiert, und wir sollten das auf den Haufen werfen, und das hilft uns nicht wirklich in der Praxis weiter. Was rufen Sie denen zu?
    Überall: Ich glaube, dass es eine große Verunsicherung gibt, auch aufgrund der Silvester-Ereignisse von Köln, dass keiner mehr so genau weiß, was dürfen wir, was dürfen wir nicht, wo ist der begründbare Zusammenhang? Und interessant ist ja, dass in dieser Woche dann eben auch nach dieser Entscheidung sich der Presserat mit Beschwerden zum Thema Köln befasst hat und dass da letztendlich auch keine Rügen erteilt wurden. Das heißt, das Vorgehen hier, eine Herkunft der Täter zu nennen, war genau richtig. Aber man sieht, es gibt diese Unsicherheit, und deswegen freue ich mich, dass der Presserat jetzt auch beschlossen hat - ich hatte das beispielsweise in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" angeregt - in einer Broschüre jetzt noch einmal darzustellen, was ist eigentlich das Spannungsfeld, wo sind auch die Schwierigkeiten. Das wird jetzt gemacht.
    Zurheide: Es gibt ja den Hinweis, eigentlich sollten wir als Medien, jetzt sage ich auch, wir Radioleute, das alles viel öfter nennen, weil die Menschen können schon selbst damit umgehen. Das sei ein Punkt der Bevormundung. Dieses Argument zieht aus Ihrer Sicht nicht. Warum?
    Überall: Nein, ganz und gar nicht, denn bei jeder Straftat, jetzt beim mutmaßlichen Täter oder der Täterin sozusagen einen ganzen Steckbrief auszuliefern, was denn alles an Hintergrund da ist - wo fängt das denn eigentlich an? Ist das der katholische Bayer? Ist das der evangelische Sachse? Ist das beispielsweise, um das auch noch mal wirklich ganz ernst zu sagen, beim Thema Wirtschaftskriminalität, ist das ein Scientologe? Das könnte doch schon auch irgendwo spannend sein, möglicherweise auch die örtliche Herkunft innerhalb von Deutschland. Und auch, wo fängt es eigentlich an, wo hört es auf? Wer ist Migrant und wer nicht? Meine Oma, meine Großmutter kam aus Polen. Wenn ich jetzt gleich hier rausgehe und das Mikrofon mitnehme, ohne dass ich das darf - wie wird dann über mich berichtet? Eine ganz spannende Frage.
    "Ich halte die Herkunft, wenn sie nichts mit der Straftat zu tun hat, nicht für relevant"
    Zurheide: Was sagen Sie dann zu dem Vorwurf, den wir ja auch häufig hören, Lügenpresse, eben, weil wir das nicht nennen oder weil wir es so machen, wie wir beide es gerade besprechen, überwiegend wird es ja so gemacht und auch, wie Sie gesagt haben, vom Presserat in dieser Woche positiv unterstützt.
    Überall: Ich glaube, es gibt im Zusammenhang mit diesen Rufen der Lügenpresse ein ganz großes Missverständnis: Man muss sich immer wieder gesellschaftlich auch darauf einigen, was ist eigentlich Relevanz? Ich halte die Angabe einer Herkunft, da wo es nichts mit der Straftat zu tun hat, eben, wie ich jetzt gerade auch ein bisschen süffisant erläutert habe, nicht für relevant. Und insgesamt gibt es, glaube ich, bei einigen Menschen eine Verärgerung, eine Unsicherheit, weil sie andere Dinge für relevant halten als das, was nach solidem journalistischen Handwerk berichtet wird. Das ist deren gutes Recht, allerdings fühlen die sich dann besser aufgehoben in meistens rechten Ecken im Internet, also in irgendwelchen Zirkeln, wo hauptsächlich Gerüchte verbreitet werden, und das ist nicht und wird auch nie Aufgabe von Medien sein.
    Zurheide: Da haben Sie ein anders wichtiges Stichwort angesprochen: Wie kommt es, dass das, was möglicherweise in bestimmten Blogs verbreitet wird, dass das geglaubt wird, während man uns, die wir uns ja mindestens bemühen, ich hoffe, immer korrekt, nicht mehr geglaubt wird. Da ist ja ein Widerspruch. Wie erklären Sie das?
    Überall: Ich bin nicht nur im Deutschen Journalistenverband, sondern auch an einer Hochschule in Köln, der HMKW, und da beschäftigen wir uns genau auch mit diesen Fragen. Das Problem ist, wenn man früher etwas in die Öffentlichkeit bringen wollte - Brechts Radiotheorie, nicht jeder kann hier senden -, dann musste man irgendwo das doch relativ einfach machen. Heute im Internet sieht das Ganze doch immer irgendwie professionell aus. Wenn ich also nur ein Blog aufsetze, dann denke ich, und das ist für viele Menschen tatsächlich die Denke, das, was ich im Internet lese, das ist irgendwo auch Medium.
    "Das Internet ist auch ein Medium - aber nicht von Profis gemacht"
    Zurheide: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Mir hat ein Politiker in diesen Tagen erzählt, er hatte eine Diskussion, eine kritische Diskussion, und da hieß es, die Flüchtlinge kriegen alle 2.500 Euro Cash, wenn sie erst mal hierhin kommen. Die Gegenfrage des Politikers, wo haben Sie das her - ja, habe ich im Internet gelesen. Völliger Unsinn. Aber der gleiche Mensch hatte vorher sich über Lügenpresse echauffiert. Also Internet ist Realität, wenn es meinen eigenen Vorurteilen entspricht?
    Überall: Ja, und genau das ist das Problem eben. Kommunikationswissenschaftlich ist das Internet auch irgendwo ein Medium. Aber es ist eben nicht von Profis gemacht, von Menschen, die eben auch ein Handwerk beachten, zum Beispiel auch den Pressekodex, die letzten Endes recherchieren, solide recherchieren, abwägen und dann auch berichten und einordnen. Das bietet das Internet so nicht in seiner Gesamtheit, und deswegen ist es mir auch wichtig, dass es eine Unterscheidbarkeit gibt, dass wir auch mehr darüber reden, dass es eben Katzenbilder und Gerüchte gibt im Internet, und dass es journalistische Produkte gibt. Und wo da der Unterschied ist, da müssen wir in der Gesellschaft mehr drüber reden, ansonsten bekommen wir auch für die Demokratie insgesamt ein riesengroßes Problem.
    Zurheide: Herr Überall, ich bedanke mich heute Morgen, dass Sie bei uns waren, dass Sie das erläutert haben. Herzlichen Dank!
    Überall: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.