Mittwoch, 15. Mai 2024

Archiv


Prima Klima!

Immer flexibel, stets innovativ sein – der Druck artet in vielen Unternehmen in Stress aus. Negativer Stress aber mindert die Leistungsfähigkeit. Bei IBM tut man jetzt was dagegen.

29.10.2002
    Als Manager beim Computerhersteller IBM ist Klaus Schneider für 25 Mitarbeiter verantwortlich. Seine Abteilung ist für den Service am Kunden zuständig:

    Eine der Hauptklagen war die Überdimensionierung von Problematiken, die gar nicht zeitlich auf einmal zu lösen waren; die aber dann quasi vom Stimmungsbild her sich aufgehäuft haben zu einem riesigen Berg. Dadurch ist der Mitarbeiter im Prinzip fast verzweifelt, weil er gar nicht mehr wusste, wo fang ich an, wo höre ich auf. Und er hat selbst keine Struktur mehr gesehen, wie er aus dieser Falle rauskommt.

    Immer flexibel, stets innovativ sein – der Druck artet in Stress aus. Negativer Stress aber mindert die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und letztendlich den Erfolg eines Unternehmens.

    Klagen gibt es immer. Entscheidend ist nur, ob die häufig sind, und ob die dauerhaft sind, und ob es dazu führt, dass ein frostiges Klima entsteht.

    Ein solch frostiges Klima stellte Dr. Ludwig Bieser, im Hause zuständig für Gesundheit, Anfang der 90er Jahre bei IBM fest, als sich der Computerhersteller in einer wirtschaftlich schwierigen Phase befand, die den Druck auf die Mitarbeiter noch erhöhte. Seitdem ist Stress im Unternehmen kein Tabu-Thema mehr – sondern man geht offensiv damit um. Klagen über Stress – in regelmäßigen Umfragen bei den Mitarbeitern abgefragt – werden vom Management ernst genommen.

    Ich will jetzt nicht sagen, dass es allein humanitäre Gesichtspunkte waren oder menschliche Gesichtspunkte. Aber ich will es mal so sagen, wenn wir uns nicht mehr um die Menschen als um die Zahlen und Computer kümmern, dann kriegen wir auch Probleme mit den Zahlen und Computern.

    Leidet der Mitarbeiter beispielsweise unter Kopfschmerzen, hat er Schlafschwierigkeiten, raucht er zuviel oder steht er unter Termindruck – hilft schon ein Blick ins interne Computersystem – hier findet er Tipps zur Entspannung und zur Selbsthilfe. Es wird ihm etwa empfohlen, doch einfach mal eine schöpferische Pause einzulegen; intern Boxen-Stopp genannt.

    Bei vielen ist das Problem, das sie nicht Nein sagen können. Das bedeutet nichts anderes als dass ich durch die vielfältigen Anforderungen aus der Umgebung dauernd überrumpelt werde, und dann hinterher nicht weiß, was ich zuerst mache. Sondern dass ich lerne Nein zu sagen, in einer Form natürlich, die mir nicht schadet, um dann wieder gemäß meinen Zielen und Wünschen die Dinge in die Hand zu nehmen.

    Distanz schaffen zum Stressfaktor – so erklärt Bieser diese Handlungsanleitung.

    Abteilungsweise nehmen die IBMler auch an speziellen Anti-Stress-Zirkeln teil. Zum einem sollen solche Kurse die Entstehung von Stress vermeiden und zum anderen - wenn Stress bereits entstanden ist - den Mitarbeitern helfen, die Stressoren zu identifizieren und mit ihnen umzugehen.

    Da wird im wesentlichen erklärt, was Stress ist, was Stressoren sind und wie das auf den Menschen wirkt. Anschließend erarbeitet die Gruppe die Stressoren, also die Probleme, wo der Schuh konkret drückt. Dann wird ein Verbesserungsplan ausgearbeitet: Wie können wir konkret innerhalb der Möglichkeiten, die wir haben, die Situation verbessern. Nehmen wir mal das Thema, zu viel zu tun. Gibt es, jetzt simpel gesprochen Dinge, die wir uns jeden Tag um die Ohren hauen, die aber gar keinen so hohen Stellenwert haben. Und wie eliminieren wir diese Dinge und machen einfach Triviales nicht mehr.

    Was natürlich nur Sinn macht, wenn der Abteilungsleiter am Training teilnimmt; was laut Bieser bei IBM ein Muss ist. Für den Stress seiner Kollegen sensibilisiert ist heute auch Klaus Schneider:

    Jetzt muss man dem Mitarbeiter helfen und muss ihm sagen, "hör auf, in Anführungszeichen minderwertige Arbeiten zu machen, die dir zwar das Gefühl geben, heute habe ich viel bewegt – aber, man muss priorisieren, was ist wichtig für die Aufgabe, für das Unternehmen und wenn man das schafft, dann wird aus diesem riesigen Mount Evers plötzlich ein gut begehbarer Hügel.

    Den Erfolg des Programms belegen Zahlen: 34 Prozent der rund 3.000 IBM-Mitarbeiter nahmen bis heute an den Kursen teil. Knapp 70 Prozent der Teilnehmer fühlten sich nach Angaben von Bieser danach entspannter und stress-resistenter.

    (Autorin: Barbara Roth)