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"Prinzipiell ja, aber es ist noch zu früh"

Der Repräsentant der Delegation der deutschen Wirtschaft in den palästinensischen Gebieten, Anan Anabtawi, hat grundsätzlich Investitionen deutscher Firmen im Gazastreifen begrüßt. Allerdings sei es dafür im Moment noch zu früh. Zuerst sei eine "politische Stabilisierung im Gazastreifen und in der Westbank" von Nöten, so Anabtawi weiter.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Für den Gazastreifen markiert der Abzug Israels eine Zeitenwende. Aber was kommt danach? Am Telefon begrüße ich Anan Anabtawi. Er ist Repräsentant der Delegation der deutschen Wirtschaft in den palästinensischen Gebieten. Herr Anabtawi, mit welchem Szenario rechnen Sie heute und in den nächsten Tagen im Gazastreifen?

    Anan Anabtawi: Also ich bin der Meinung, dass die Siedler abgeräumt werden ohne große Gewalt von Ereignissen. Sie werden bestimmt Widerstand leisten, aber es wird keine schweren Auseinandersetzungen mit den israelischen Soldaten geben.

    Meurer: Wie werden sich dann die Palästinenser verhalten?

    Anabtawi: Ja, das ist für die Palästinenser die Befreiung des Gazastreifens, und das wird natürlich mit großer Freude, aber auch, glaube ich, mit Vorsicht betrachtet.

    Meurer: Wie sehen Sie die wirtschaftliche Zukunft des Gazastreifens, von der ja doch abhängen könnte, ob sozusagen die Errichtung eines von den Palästinensern selbst kontrollierten Gebietes auch funktionieren wird?

    Anabtawi: Ich bin der Meinung, dass das eine Herausforderung für die Palästinenser ist. Ich bin sogar der Meinung, dass die PA, so bezeichnet man die palästinensische Autorität (Palestinian Authority), nicht gerade darauf vorbereitet war. Sie waren auch nicht darauf vorbereitet, den Gazastreifen entgegenzunehmen, und ein Grund dafür ist, dass der Abzug sowieso, wie man so sagt, einseitig war. Das war nicht koordiniert mit den palästinensischen Behörden.

    Meurer: Besteht dann doch die Gefahr, dass das Ganze im Chaos endet?

    Anabtawi: Das ist durchaus eine Möglichkeit, keiner erhofft sich das, sogar die Israelis nicht, aber das ist durchaus eine Möglichkeit.

    Meurer: Was muss geschehen, damit es wirtschaftlich im Gazastreifen vorangeht?

    Anabtawi: Vor allem eine politische Stabilisierung, das ist das Entscheidende. Eine politische Stabilisierung kann nur erreicht werden durch den Wiederaufbau der palästinensischen Wirtschaft im Gazastreifen, und nicht nur im Gazastreifen, sondern auch in der Westbank. Die Arbeitslosigkeit im Gazastreifen beträgt ungefähr zwischen 45 und 55 Prozent, das ist durchaus katastrophal.

    Meurer: Wer soll den Wiederaufbau bezahlen?

    Anabtawi: Der Grund, warum die Palästinenser und die palästinensischen Behörden nicht auf diesen Abzug vorbereitet sind, bedeutet, dass sie natürlich auf internationale Hilfe angewiesen sind. Die Europäer sind natürlich darunter und sie haben einen Vorteil: Die Palästinenser mögen die Europäer und können die europäische Hilfe besser nützen als jede andere Hilfe.

    Meurer: Wird Hilfe aus dem Ausland, auch von der EU, im Moment überhaupt sozusagen fruchten können, oder muss erst das Problem gelöst werden, dass der Gazastreifen auch im Moment und in den nächsten Wochen und Monaten praktisch nur sehr schwer erreichbar sein wird?

    Anabtawi: Der Gazastreifen war übrigens immer schwer zu erreichen. Das hängt immer von den Israelis ab, ob sie den Mitarbeitern von internationalen Organisationen Permits geben, um in den Ganzastreifen reinzukommen. Das war immer das Problem, und ich hoffe, dass sich die Situation in den nächsten Tagen ändert.

    Meurer: Sie beraten ja deutsche Unternehmen, die investieren wollen. Können Sie im Moment wirklich deutschen Unternehmen raten, im Gazastreifen zu investieren und sich zu engagieren.

    Anabtawi: Prinzipiell ja, aber es ist noch zu früh. Wie ich gesagt habe, wir brauchen erst mal eine politische Stabilisierung im Gazastreifen und in der Westbank, das heißt, die Rahmenbedingungen für einen Wiederaufbau der Wirtschaft müssen geschaffen werden, und da sind zunächst die Europäer gefragt, das zu tun, dabei zu helfen.

    Meurer: Wenn die Lage stabiler wird, welche Firmen wollen Sie anlocken?

    Anabtawi: In Palästina sind sehr gute Arbeitsbereiche, Kooperationsbereiche wie die Baubereiche, die Bereiche Stein und Marmor, die pharmazeutischen Bereiche, IT, Landwirtschaft.

    Meurer: Das sind die Sektoren, wo sie sich eine Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen vorstellen können? Wie optimistisch sind Sie für die nächsten Jahre, was den Gazastreifen angeht?

    Anabtawi: Ich bin eigentlich optimistisch. Wissen Sie, ich glaube, beide Seiten haben die Lektion gelernt. Die Palästinenser haben es gelernt, dass sie nicht nur Hilfe vom Ausland zu erwarten haben, wo nur sekundäre Probleme gelöst werden können, und die Europäer und die internationale Gemeinschaft haben gelernt, dass sie nicht nur mit Geld etwas lösen können, sie sind auch gefragt bei den grundsätzlichen Problemen der Palästinenser, die gelöst werden müssen.

    Meurer: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.