Friedbert Meurer: Vor gut einem Jahr wurde Barack Obama feierlich vor Hunderttausenden begeisterten Amerikanern bei klirrender Kälte vor dem Kapitol in sein neues Amt als US-Präsident eingeführt. Er versprach nach den acht Jahren der Ära Bush den Wechsel auf bessere Zeiten.
Heute Nacht hat er seine Rede zur Lage der Nation gehalten, traditionell geschieht das Ende Januar vor dem versammelten Kongress, live übertragen per Fernsehen für Millionen seiner Landsleute. Von dieser Rede heute Nacht hing einiges für den US-Präsidenten ab, zum Beispiel, ob er glaubhaft versichern kann, weiter für die Gesundheitsreform oder für die Bekämpfung der Wirtschaftskrise zu streiten.
Christer Garrett ist Direktor des Instituts für Amerikanistik an der Universität Leipzig, jetzt für den Deutschlandfunk am Telefon. Guten Tag, Herr Garrett.
Christer Garrett: Guten Tag!
Meurer: Haben Sie eine zentrale Botschaft herausgehört aus der Rede Obamas?
Garrett: Ja, auf alle Fälle, und zwar den Startschuss für die Kongresswahlen im nächsten Jahr. Dieses Thema, diese Narration heißt jetzt Wirtschaft, Arbeitsplätze und die Schmerzen der Bürger der USA, die an der Wirtschaftskrise leiden, zu lindern, und zwar das als Hauptaufgabe seiner Regierung.
Meurer: Bill Clinton, ein Vorvorgänger von Obama, hat einmal den berühmten Ausspruch gesagt, it's the economy, stupid, es geht um die Wirtschaft, Dummkopf. Hatte Obama das vergessen?
Garrett: Er hat es nicht vergessen. Er hat immer gesagt, [in der] Gesundheitsreform geht es eigentlich darum, die Wirtschaft zu stärken. Dadurch, dass die Gesundheitskosten explodieren, dadurch verzehren immer mehr Kräfte für die Wirtschaft. Aber sagen wir so: Er hat die Wirtschaft neu priorisiert. Er hat natürlich die Gesundheitspolitik angesprochen, aber später in der Rede und im Kontext der Wirtschaft, und das Leid natürlich der Bürger in den USA.
Meurer: Wie hängen Wirtschaftskrise und Gesundheitsreform zusammen?
Garrett: Zuerst dadurch, dass die Gesundheitskosten explodieren zurzeit in den USA, können [sich] ganz besonders kleinere Firmen immer mehr solche Versicherungen nicht leisten, und diejenigen, die eine Gesundheitsversicherung anbieten müssen, die müssen weniger Arbeitsplätze einführen. Also die hängen eng zusammen, wie man zum Beispiel in Deutschland mit der Nebenkostendebatte selber erlebt.
Meurer: Muss Obama also erst sozusagen die Wirtschaft voranbringen, die astronomischen Staatsschulden in den Griff bekommen, und erst dann kann er auf eine Gesundheitsreform setzen?
Garrett: Das wäre ein Schluss, aber er hat versucht, gestern Abend, diesen Schluss zu vermeiden. Er hat alle drei Aspekte zusammengepackt, um noch einmal so eine neue politische Narration vorzustellen. Das heißt, er wird - das wurde im Bericht erwähnt - bestimmte Steuerbegünstigungen für kleine Firmen einführen, für Ausfuhr und so weiter einbringen, um Arbeitsplatzanschaffung zu fördern, und durch diese neuen Arbeitsplätze dann mehr Geld schaffen, sprich mehr Steuerquellen.
Darüber hinaus natürlich kann er die Gesundheitspolitik immer besser finanzieren. Die hängen alle zusammen, aber noch einmal: Er hat anders priorisiert. Der Motor für die Gesundheitspolitik, wenn wir so wollen, ist ab jetzt die Wirtschaft.
Meurer: Es ist traditionell so, glaube ich, bei der Rede der Lage der Nation, dass alle Abgeordneten applaudieren, also auch die Republikaner. Aber wie tief ist noch der Graben zu den Republikanern?
Garrett: Es ist tiefer geworden, aber die Lage zu den Republikanern ist auch komplexer geworden. Fünf Minuten Applaus, als er in den Kongress kam gestern Abend, das ist schon ordentlich, und die Republikaner haben bei Steuererleichterungen auch mitgeklatscht, wenn wir so wollen.
Aber sagen wir so, das haben wir am Ende des Berichts gehört: Dadurch, dass sie jetzt ein bisschen mehr Macht im Kongress haben, stehen die immer mehr in der Mitverantwortung, und es ist immer eine labile Sache für die Oppositionspartei. Wenn die Wähler den Schluss ziehen, dass die Republikaner einfach blockieren, kann die Lage für sie kippen. Sie müssen zeigen, dass sie nicht nur blockieren, sondern dass sie wirklich ein konkretes Gegenmotto haben, wenn wir so wollen.
Was Bill Clinton betrifft zum Beispiel in den 90er-Jahren: Viele Wähler haben immer mehr den Schluss gezogen, die Republikaner versuchen nicht, mit Clinton zu regieren, sondern einfach zu blockieren, und daraus hat Clinton großes politisches Kapital geschlagen.
Meurer: Aber werden die Republikaner bei der Gesundheitsreform einlenken?
Garrett: Ich denke, jetzt mit der neuen Narration von Obama, die wir gestern Abend gehört haben, [bei der] Gesundheitspolitikreform geht [es] eigentlich um Arbeitsplätze und Arbeitsplätze anzuschaffen, wird es deutlich schwieriger, einfach zu blocken.
Bisher war die Narration, Gesundheitspolitikreform hieße mehr Staat, mehr Kontrolle, mehr aus der amerikanischen Perspektive Sozialismus. Ab gestern Abend ist das nicht mehr wirklich die höchste Note, wenn wir so wollen. Jetzt geht es wirklich um Wirtschaft, die Familien. Zum Beispiel Obama hat, fiel mir auf, drei- oder viermal das Leiden von Kindern unter der Wirtschaftskrise hervorgehoben, wie zum Beispiel immer mehr Kinder ohne Gesundheitsversicherung dastehen. Solche Sachen, da müssen die Republikaner vorsichtig sein, dass sie nicht neoliberal im deutschen Kontext oder brutal dastehen, und die wissen das auch.
Meurer: Professor Christer Garrett, Direktor des Instituts für Amerikanistik an der Uni Leipzig, bei uns im Deutschlandfunk. Danke, Herr Garrett und auf Wiederhören.
Garrett: Sehr gerne.
Heute Nacht hat er seine Rede zur Lage der Nation gehalten, traditionell geschieht das Ende Januar vor dem versammelten Kongress, live übertragen per Fernsehen für Millionen seiner Landsleute. Von dieser Rede heute Nacht hing einiges für den US-Präsidenten ab, zum Beispiel, ob er glaubhaft versichern kann, weiter für die Gesundheitsreform oder für die Bekämpfung der Wirtschaftskrise zu streiten.
Christer Garrett ist Direktor des Instituts für Amerikanistik an der Universität Leipzig, jetzt für den Deutschlandfunk am Telefon. Guten Tag, Herr Garrett.
Christer Garrett: Guten Tag!
Meurer: Haben Sie eine zentrale Botschaft herausgehört aus der Rede Obamas?
Garrett: Ja, auf alle Fälle, und zwar den Startschuss für die Kongresswahlen im nächsten Jahr. Dieses Thema, diese Narration heißt jetzt Wirtschaft, Arbeitsplätze und die Schmerzen der Bürger der USA, die an der Wirtschaftskrise leiden, zu lindern, und zwar das als Hauptaufgabe seiner Regierung.
Meurer: Bill Clinton, ein Vorvorgänger von Obama, hat einmal den berühmten Ausspruch gesagt, it's the economy, stupid, es geht um die Wirtschaft, Dummkopf. Hatte Obama das vergessen?
Garrett: Er hat es nicht vergessen. Er hat immer gesagt, [in der] Gesundheitsreform geht es eigentlich darum, die Wirtschaft zu stärken. Dadurch, dass die Gesundheitskosten explodieren, dadurch verzehren immer mehr Kräfte für die Wirtschaft. Aber sagen wir so: Er hat die Wirtschaft neu priorisiert. Er hat natürlich die Gesundheitspolitik angesprochen, aber später in der Rede und im Kontext der Wirtschaft, und das Leid natürlich der Bürger in den USA.
Meurer: Wie hängen Wirtschaftskrise und Gesundheitsreform zusammen?
Garrett: Zuerst dadurch, dass die Gesundheitskosten explodieren zurzeit in den USA, können [sich] ganz besonders kleinere Firmen immer mehr solche Versicherungen nicht leisten, und diejenigen, die eine Gesundheitsversicherung anbieten müssen, die müssen weniger Arbeitsplätze einführen. Also die hängen eng zusammen, wie man zum Beispiel in Deutschland mit der Nebenkostendebatte selber erlebt.
Meurer: Muss Obama also erst sozusagen die Wirtschaft voranbringen, die astronomischen Staatsschulden in den Griff bekommen, und erst dann kann er auf eine Gesundheitsreform setzen?
Garrett: Das wäre ein Schluss, aber er hat versucht, gestern Abend, diesen Schluss zu vermeiden. Er hat alle drei Aspekte zusammengepackt, um noch einmal so eine neue politische Narration vorzustellen. Das heißt, er wird - das wurde im Bericht erwähnt - bestimmte Steuerbegünstigungen für kleine Firmen einführen, für Ausfuhr und so weiter einbringen, um Arbeitsplatzanschaffung zu fördern, und durch diese neuen Arbeitsplätze dann mehr Geld schaffen, sprich mehr Steuerquellen.
Darüber hinaus natürlich kann er die Gesundheitspolitik immer besser finanzieren. Die hängen alle zusammen, aber noch einmal: Er hat anders priorisiert. Der Motor für die Gesundheitspolitik, wenn wir so wollen, ist ab jetzt die Wirtschaft.
Meurer: Es ist traditionell so, glaube ich, bei der Rede der Lage der Nation, dass alle Abgeordneten applaudieren, also auch die Republikaner. Aber wie tief ist noch der Graben zu den Republikanern?
Garrett: Es ist tiefer geworden, aber die Lage zu den Republikanern ist auch komplexer geworden. Fünf Minuten Applaus, als er in den Kongress kam gestern Abend, das ist schon ordentlich, und die Republikaner haben bei Steuererleichterungen auch mitgeklatscht, wenn wir so wollen.
Aber sagen wir so, das haben wir am Ende des Berichts gehört: Dadurch, dass sie jetzt ein bisschen mehr Macht im Kongress haben, stehen die immer mehr in der Mitverantwortung, und es ist immer eine labile Sache für die Oppositionspartei. Wenn die Wähler den Schluss ziehen, dass die Republikaner einfach blockieren, kann die Lage für sie kippen. Sie müssen zeigen, dass sie nicht nur blockieren, sondern dass sie wirklich ein konkretes Gegenmotto haben, wenn wir so wollen.
Was Bill Clinton betrifft zum Beispiel in den 90er-Jahren: Viele Wähler haben immer mehr den Schluss gezogen, die Republikaner versuchen nicht, mit Clinton zu regieren, sondern einfach zu blockieren, und daraus hat Clinton großes politisches Kapital geschlagen.
Meurer: Aber werden die Republikaner bei der Gesundheitsreform einlenken?
Garrett: Ich denke, jetzt mit der neuen Narration von Obama, die wir gestern Abend gehört haben, [bei der] Gesundheitspolitikreform geht [es] eigentlich um Arbeitsplätze und Arbeitsplätze anzuschaffen, wird es deutlich schwieriger, einfach zu blocken.
Bisher war die Narration, Gesundheitspolitikreform hieße mehr Staat, mehr Kontrolle, mehr aus der amerikanischen Perspektive Sozialismus. Ab gestern Abend ist das nicht mehr wirklich die höchste Note, wenn wir so wollen. Jetzt geht es wirklich um Wirtschaft, die Familien. Zum Beispiel Obama hat, fiel mir auf, drei- oder viermal das Leiden von Kindern unter der Wirtschaftskrise hervorgehoben, wie zum Beispiel immer mehr Kinder ohne Gesundheitsversicherung dastehen. Solche Sachen, da müssen die Republikaner vorsichtig sein, dass sie nicht neoliberal im deutschen Kontext oder brutal dastehen, und die wissen das auch.
Meurer: Professor Christer Garrett, Direktor des Instituts für Amerikanistik an der Uni Leipzig, bei uns im Deutschlandfunk. Danke, Herr Garrett und auf Wiederhören.
Garrett: Sehr gerne.