Donnerstag, 18. April 2024

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Pro-Europa-Bewegung "Pulse of Europe"
Sichtbar für Erhaltenswertes eintreten

"Wir sind keine EU-Romantiker", sagte Daniel Röder von "Pulse of Europe" im DLF. Ziel der von ihm gegründeten Bürgerinitiative sei es, den aktuell deutlich werdenden negativen Stimmungen etwas Positives entgegenzusetzen. Schließlich habe das Brexit-Votum der Briten gezeigt, dass die Gemeinschaft auseinanderbrechen könne.

Daniel Röder im Gespräch mit Sarah Zerback | 03.03.2017
    EU-Freunde Ende Januar auf dem Goetheplatz in Frankfurt am Main
    EU-Freunde Ende Januar auf dem Goetheplatz in Frankfurt am Main (picture alliance / dpa / Andreas Arnold)
    Sarah Zerback: Patriotische Europäer, die gegen dies oder jenes auf die Straße gehen. Menschen, die sich darüber ärgern, dass in Brüssel zu viel oder zu wenig geregelt wird, dass sie zu wenig mitbestimmen dürfen, ganz im Gegensatz zu vielen Lobbygruppen. In Zeiten von Brexit, Trump und der AfD hat es Konjunktur, gegen die EU zu wettern.
    Da mutet es geradezu antizyklisch an, dass Sonntag für Sonntag Menschen in Deutschland auf die Straße gehen, um für Europa und für die Europäische Union zu demonstrieren. Genau das aber macht die Bewegung "Pulse of Europe", gegründet von einem Frankfurter Rechtsanwalt und seiner Frau. Mitdemonstrieren immer mehr Menschen, Ableger gibt es in inzwischen 30 deutschen Städten. Gründer Daniel Röder ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen.
    Daniel Röder: Schönen guten Morgen, Frau Zerback.
    Zerback: Herr Röder, was ist so gut an Europa, dass Sie dafür auf die Straße gehen?
    Röder: Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, ganz vieles. Wir von "Pulse of Europe" kommen im Grunde von der ganz einfachen Erkenntnis, dass Europa, die Europäische Union letztlich eine Frage von Krieg und Frieden ist. Wenn Sie sich die Geschichte anschauen, dann haben sich auf unserem Kontinent die Mitglieder der heutigen Union über Jahrhunderte mehr oder weniger in Kriegen verstrickt, und seit es die Union gibt, gibt es in diesem Kontext keine einzige kriegerische Auseinandersetzung mehr. Das ist das Allerwichtigste für uns. Die wirtschaftlichen Themen sind auch wichtig, stehen aber deutlich hinter dieser Frage zurück.
    "Viele Dinge sind nicht mehr selbstverständlich"
    Zerback: Nun ist es aber außergewöhnlich, für etwas auf die Straße zu gehen, das es schon gibt. Warum?
    Röder: Wir haben durch die beiden großen Ereignisse des letzten Jahres – Sie haben es in der Anmoderation angesprochen -, das Brexit-Votum und die Wahl von Donald Trump, erkannt, dass die Dinge, die wir für Jahrzehnte als selbstverständlich erachtet haben, das politische Gefüge, das uns so lange getragen und stabilisiert hat, dass das Gefüge auseinanderdividiert werden kann, und zwar von einem auf den anderen Tag, dass Dinge, die wir als selbstverständlich erachtet haben, dass die USA von einem demokratisch überzeugten Präsidenten geführt wird, dass diese Dinge nicht mehr selbstverständlich sind.
    Und wenn wir die Erosionen, die es in Europa gibt – und ich meine damit nicht nur Großbritannien, sondern auch die Entwicklungen etwa in Osteuropa, Polen, Ungarn, wo Staaten sich von Demokratien in etwas anderes, was bislang in der Form noch gar nicht existierte, verwandeln, dann haben wir große Sorge. Und diese Sorge hat uns letztlich auf die Straße getrieben, denn das, was die Europäische Union ausmacht, Demokratie, Rechtsstaat, Mitmenschlichkeit, Sicherung der Grundrechte, die Grundfreiheiten, das scheint, ins Wanken zu geraten, und deswegen ist es nicht mehr so selbstverständlich.
    "Sichtbar für Erhaltenswertes eintreten"
    Zerback: Tatsächlich haben Sie ja zum ersten Mal zur Demo aufgerufen, als Donald Trump gewählt wurde. Das war mehr als eine zeitliche Koinzidenz?
    Röder: Das war in der Tat mehr als eine zeitliche Koinzidenz. Das Gefühl, das uns umtrieb – und ich glaube, vielen von unseren Mitdemonstranten geht es ganz genauso -, dieses extreme Unwohlsein, ich muss schon weitergehen und muss sagen, dieses paralysiert sein nach dem Austritt Großbritanniens, das kulminierte in der Trump-Wahl – zwar USA, aber doch mit erheblichen Auswirkungen auf unseren Kontinent -, so dass wir für uns feststellten, die Welt, so wie wir sie kannten, ist sehr bedroht und wir müssen für das, was uns erhaltenswert erscheint, deutlich und sichtbar eintreten.
    Zerback: Warum ist es denn besser, für etwas auf die Straße zu gehen als dagegen?
    Röder: Das ist eine sehr abstrakte Frage. Wir sind nun mal ganz überzeugt und dezidiert für Europa und deswegen wollen wir auch dafür eintreten. Abgesehen davon muss ich sagen, dieses für etwas sein hat auch eine unglaubliche Kraft. Unser Ziel war, diese negativen Energien, die negative Stimmung und diese Antihaltung, die sich allenthalben zeigt und die auch auf den Straßen sichtbar war, diesen Stimmungen etwas Positives entgegenzusetzen, mit Haltung auf die Straße zu gehen und zu zeigen, hier gibt es etwas Erhaltenswertes, bitte bedenkt, das sind unsere Grundlagen, die wir sowohl in der Bundesrepublik in unserem Grundgesetz wiederfinden als auch in den europäischen Verträgen. Und da das wirklich so erhaltenswert ist und unsere Gesellschaft seit Jahrzehnten in einer positiven Art und Weise prägt und uns Freiheit und Sicherheit gewährt, lohnt es sich auch, ganz dezidiert dafür einzutreten.
    Zerback: Abstrakt ist ja nicht nur die Frage, sondern abstrakt ist auch für viele Menschen die Europäische Union. Tatsächlich ist die EU-Skepsis ja aktuell ziemlich groß, vor allem, weil es so wahnsinnig schwierig ist, in vielen Fragen Kompromisse zu finden. Da ist die Flüchtlingspolitik ja nur ein Beispiel. Für Sie ist also alles gut so wie es ist?
    EU muss reformiert werden, damit sie erhalten werden kann
    Röder: Nein, das kann man nicht sagen. Wir als "Pulse of Europe" sind – und das haben wir von Anfang an gesagt, in unseren Grundaussagen auch niedergelegt – keine EU-Romantiker. Es ist nicht so, dass wir die Augen verschließen vor dem, was nicht gut funktioniert. Es ist nicht so, dass wir die Augen verschließen vor dem, was in Europa nicht gut klappt. Das bedeutet aber nicht – und davon sind wir überzeugt -, dass wir die Europäische Union, ein vereintes Europa per se in Frage stellen müssen. Unser Leitmotto ist dann eher, erhalten um zu reformieren, und man könnte das sogar auch umdrehen und sagen, reformieren um es zu erhalten, denn tatsächlich ist die Verfasstheit der Europäischen Union in der jetzigen Form scheinbar nicht satisfaktionsfähig.
    Zerback: Mit Reformvorschlägen hat ja auch die EU-Kommission aktuell auf die Frustdebatte reagiert und auch eine Antwort vorgelegt, und zwar die EU der zwei oder auch mehr Geschwindigkeiten, der konzentrischen Kreise, wie es dann so schön heißt. Was halten Sie denn von Junckers Vorschlag?
    Röder: Juncker beziehungsweise die Kommission hat ja in ihrem Weißbuch, das vorgestern erschienen ist, fünf Optionen vorgestellt, wie die EU der Zukunft aussehen könnte, ohne sich jetzt zu diesem Zeitpunkt schon im Detail festzulegen. Die konzentrischen Kreise, das ist eine Option von fünfen. Wenn ich diese mal rausgreife glaube ich, dass das die konzentrischen Kreise oder die EU der unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Versuch einer Reaktion auf die Europaskepsis ist, die in verschiedenen Staaten besonders groß ist, in anderen weniger groß, und den Staaten die Möglichkeit geben soll, nach ihrem Gusto sich zu vertiefen in der Union, in der Gemeinschaft oder eben auch nicht.
    Zerback: Und ist das eine gute Antwort?
    Röder: Ich glaube, dass die unterschiedlichen Geschwindigkeiten per se noch gar keine sachliche Aussage treffen. Die sagen erst mal nur, dass zwei oder verschiedene Spieler oder Mitgliedsstaaten sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit auf unterschiedliche Ziele hinbewegen. Aber wohin bewegen sie sich? Ich glaube, man muss eine weitere Komponente hinzunehmen, nämlich inhaltliche Kriterien, die dann definieren, wo findet denn eine vertiefte Vereinigung statt, wo gibt es mehr Europa und wo eventuell nicht. Deswegen ist dieser Vorschlag Nummer drei der Kommission aus dem Weißbuch in jedem Fall zu kombinieren mit einem der anderen, vier oder fünf.
    Innere und äußere Sicherheit als zentrale Frage
    Zerback: Noch ganz kurz zum Schluss, Herr Röder. An welcher Stelle würden Sie sich denn mehr Europa wünschen?
    Röder: Ich glaube, dass die Europäische Union – und das ist auch interessant am Weißbuch; das sind gar nicht so sehr die Vorschläge, sondern auch das, was da drinsteht als Faktoren, die Europas Zukunft prägen. Da wird ganz dezidiert beschrieben, welche großen Aufgaben und Herausforderungen unser Kontinent hat. Da geht es um Klimaschutz, da geht es um Bevölkerungsentwicklung, da geht es um Sicherheit, innere und äußere Sicherheit. Ich glaube, dass die großen Themen nur gemeinsam gelöst werden können, und die großen Themen sind mit Sicherheit Klima. Wer wenn nicht Europa kann sich dieses Themas jetzt annehmen. Die USA fallen auf bestimmte Zeit aus. Sicherlich ist es innere und äußere Sicherheit. Sicherlich ist es die Frage der Innovation, des Knowhow-Schutzes.
    Zerback: Das sind schon viele Punkte, Herr Röder. Ich muss Sie an dieser Stelle unterbrechen, die Nachrichten folgen. Besten Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.