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Probleme der Weltwirtschaft

04.02.2002
    Engels: Neben politischen Fragen haben sich Politiker und Wissenschaftler auf dem Weltwirtschaftsgipfel in New York einmal mehr über die Lage der Weltwirtschaft nach dem 11. September und über Wege zu einer gerechteren Aufteilung der Ressourcen der Welt ausgetauscht. Parallel dazu findet im brasilianischen Porto Alegre ein Gegengipfel statt, das sogenannte Weltsozialforum. Wie weit liegen die Vorschläge beider Gipfel auseinander? Welches sind die möglicherweise goldenen Wege zur Hilfe für Entwicklungsländer? Darüber wollen wir sprechen mit Heiner Flassbeck. Unter Oskar Lafontaine war er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, und nun ist er volkswirtschaftlicher Berater der UNCTAD, also der UN-Organisation für Handel und Entwicklung in Genf. Greifen wir zuerst die Themen aus New York auf. Da hat unter anderem IWF-Chef Köhler verlangt, die reichen Länder müssen den Abbau des Protektionismus vorantreiben und mehr Freihandel eröffnen, insbesondere im Bereich Textilien und Landwirtschaft. Ist das ein guter Vorschlag und wird sich da etwas ändern?

    Flassbeck: Das ist zweifellos ein guter Vorschlag. Ob sich etwas ändern wird, ist eine andere Frage. Ich meine, das wurde schon oft vorgeschlagen, vom IWF erst seit einiger Zeit. Die UNO-Organisationen sagen das seit vielen Jahrzehnten, aber natürlich ist richtig, dass das alleine - da machen wir uns nichts vor - die Welt nicht retten und die Armut nicht beseitigen wird. Es klingt zwar immer sehr schön, wir machen Märkte auf, und dann ist die Armut schon beseitigt, aber so einfach ist es leider nicht, denn die Entwicklungsländer werden sich nicht nur durch den internationalen Handel aus ihrer Armutsfalle befreien können.

    Engels: Der Weltsozialgipfel in Porto Alegre, der vor allen Dingen von den sogenannten Globalisierungsgegnern organisiert worden ist, fordert - zumindest zum Teil - genau das Gegenteil, nämlich den Schutz vor so viel Freihandel. Wo liegt denn nun der goldene Mittelweg?

    Flassbeck: Der Mittelweg ist sozusagen zwischen optimalem Freihandel und einer Begrenzung des Kapitalverkehrs. Das große Problem ist nicht der Handel als solcher, sondern der Kapitalverkehr. Wir haben gesehen, alle großen Krisen in den Entwicklungsländern der letzten Jahre und Jahrzehnte waren Kapitalverkehrskrisen, also Krisen des Zuflusses und des Abflusses von Kapital in sehr kurzer Zeit, falsche Wechselkurse und ähnliche Dinge. Meines Erachtens liegt der goldene Mittelweg sozusagen in einer vernünftigen neuen Weltwährungsordnung, und dahin muss man gehen, darüber muss man nachdenken, darüber sollte auch der IWF viel stärker nachdenken als nur über den Handel. Im Bereich Weltwährungsordnung - wir haben es gerade in Argentinien gesehen - sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten die entscheidenden Fehler gemacht worden.

    Engels: Was genau stellen Sie sich vor mit einer Reform des Weltwährungssystems?

    Flassbeck: Wenn ich provokativ sein soll, dann müsste es in der Tat so etwas sein, wie das, was wir in Europa gemacht haben, nämlich zunächst ein Währungssystem, in dem die Währungen der Entwicklungsländer eingebunden sind, auch der kleinen Länder, wie das in Europa war - Österreich und die Niederlande haben ihre Währungen an die DM angebunden, aber mit einer Verpflichtung der DM, diesen Ländern zu helfen -. Dann müssten wir uns in der Tat - wie in Europa - auf eine Weltwährungsunion hin bewegen. Das mag zwar phantastisch klingen, aber ich glaube, es gibt - je mehr man sieht, wie schlecht die bisherigen Systeme sind - kein anderes System, was am Ende die Welt sozusagen retten kann. Wir sehen ja, wie verzweifelt manche Länder sind, dass sie schon einseitig dollarisieren, d.h. sie übernehmen den Dollar als Währung, ohne irgendeine Verpflichtung der USA, ihnen bei Schwierigkeiten mit diesem Dollar zu helfen. Oder sie machen so etwas wie Argentinien mit diesem Currency Board, bei dem das Ankerland, das Land, an das man sich anhängt, überhaupt nicht zur Unterstützung verpflichtet ist. Und hier hat Europa - glaube ich - etwas sehr wichtiges in den letzten Jahrzehnten getan, und das muss man meines Erachtens, wenn freier Handel gewährleistet werden soll, auf der Weltebene aufgreifen.

    Engels: Aber sind da nicht die anderen Schritte zuerst zu tun, nämlich die Öffnung der bestehenden Handelsbarrieren? Gerade die Europäische Union ist ja eigentlich für hohe Hindernisse für den Agrarhandel und den Textilhandel bekannt.

    Flassbeck: Das ist völlig richtig. Daran geht kein Weg vorbei. Auch das muss man natürlich tun. Gerade im Textilbereich ist es für die ärmsten Entwicklungsländer ganz schlimm. Das sind alles notwendig Schritte, nur - wie gesagt - ohne den Schritt zu einem Kapitalverkehrssystem sozusagen mit einem Währungssystem, was dieses unterstützt, wird der Handel im Einzelnen nichts nützen, und wird man nicht weiter öffnen können. Ich glaube, in der nächsten Runde, die in Dora beschlossen wird, muss man auch über diese Fragen nachdenken, wenn man überhaupt zu vernünftigen Ergebnissen kommen will.

    Engels: Ist das Ihre Vorstellung oder ist das auch die Position der UNCTAD?

    Flassbeck: Das ist auch die Position der UNCTAD.

    Engels: Haben Sie denn das Gefühl, dass Ihre Organisation durch die Industriestaaten in diesem Vorhaben unterstützt wird?

    Flassbeck: Nein, bisher nicht. Das ist genau das Problem, dass man immer noch sozusagen von der Fiktion lebt und glaubt, man könne im Finanzbereich einseitige, unilaterale Lösungen haben. Die Länder können sich sozusagen dann selbst helfen, in dieser globalisierten Welt gegen die Märkte, gegen die Spekulation zu kämpfen, sie müssten nur das richtige Währungssystem installieren, dann würde das schon gehen. Und man sieht dauernd, dass es scheitert. Hier ist der Weg der Erkenntnis, auch beim IWF, noch ungeheuer lang. Bisher versucht man - wie im Falle Argentiniens oder Brasiliens - den Ländern durch strukturelle Maßnahmen, was immer das sein mag, durch Finanzdisziplin und Ähnliches zu sagen, ihr könnt euch retten, wenn ihr das nur ordentlich tut, dann wird es am Ende schon gehen. Und es geht nie, es geht sozusagen immer in die Hose. Vor allem die Industrieländer müssen diese Lektion lernen. In den Entwicklungsländern gibt es eine große Offenheit für diese Fragen. Wie gesagt, sie sind verzweifelt, vernünftige Währungssysteme zu finden. Also man muss diesen Fortschritt bei den Industrieländern machen, er ist viel wichtiger als der Fortschritt im Handelsbereich.

    Engels: Wenn wir noch einmal auf den Weltsozialgipfel in Porto Alegre schauen, da ist ja das Konglomerat von Vorschlägen sehr vielgestaltig. Das reicht von einer gewissen Abschottung bis hin zu neuen sozialistischen Modellen. Wäre das ein Weg, der in irgendeiner Form zukunftsweisend sein kann?

    Flassbeck: Ich glaube nicht. Ich denke, dass man in der Tat viel mehr sozialen Ausgleich auf der Weltebene braucht, genauso wie man sozialen Ausgleich in den reichen Ländern braucht. Man sieht, dass Länder, die sozialen Ausgleich hatten, durchaus nicht unerfolgreich waren, was immer in Deutschland über das Sozialsystem und Ähnliches erzählt wird, wenn man eine etwas längere historische Perspektive hat, ist diese Aussage absolut richtig. Deswegen braucht man auch auf der Weltebene so etwas wie sozialen Ausgleich. Man muss diesen Ländern sehr viel mehr Unterstützung gewähren. Aber - wie gesagt - wenn alles nicht in einem vernünftigen Rahmen stattfindet, wird auch das nicht ausreichen. Man hat gesehen, es gibt auch viele Probleme bei der direkten öffentlichen Hilfe in diesen Ländern. Ich glaube, wir müssen schon die ökonomischen Probleme lösten, und es gibt da vielfältige Vorschläge, es gibt beispielsweise diese Tobinsteuer, die von vielen Nichtregierungsorganisationen hervorgehoben wird. Das sind alles Überlegungen, die jedenfalls in die richtige Richtung gehen, die sagen, an den Finanzmärkten müssen wir ansetzen, und nur wenn wir an den Finanzmärkten ansetzen, werden wir das Ganze harmonisch zu Ende bringen. Ich würde sagen, Finanzmärkte plus die Bereitschaft, sehr viel mehr direkt zu helfen.

    Engels: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio