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Probleme des Formatfernsehens
Was aufregende TV-Momente schal macht

Es sei verständlich, dass TV-Macherinnen und -macher ihre Live-Sendungen vorplanten, findet unser Kolumnist Matthias Dell. Doch nach der Thüringen-Wahl hätten sich auch wieder einige Nachteile gezeigt. Und eine Erklärung dafür laute: Journalistinnen und Journalisten sind träge.

Von Matthias Dell | 30.10.2019
    Eine Fernsehkamera, die auf das Studio der Sendung "Anne Will" gerichtet ist.
    Neulich bei "Anne Will": Eine scheinbar beiläufige Vorstellung - ein eigentlich aufregender Mikromoment - erscheint am Ende doch schal, findet Matthias Dell. (Imago Images / Jürgen Heinrich)
    Das Problem vom Formatfernsehen ist, dass es formatiert ist. Ob bei Talkshows oder selbst bei Live-Berichterstattungen von Wahlen wie der in Thüringen - um gut vorbereitet zu sein, wird vorab so viel wie möglich vorgeplant. In gewisser Weise ist das verständlich, weil man sich bei der Live-Sendung von der Wahl nicht um 18.10 Uhr erst überlegen kann, dass man 18.12 Uhr gern mit Politikerin Soundso sprechen würde.
    Aber das Formatieren verhindert häufig eben auch, dass etwas entstehen kann, womit man im Vorhinein nicht gerechnet hat. Wo man hellhörig wird und drüber nachdenkt. Am vergangenen Sonntag hatte ich mehrere solcher Momente.
    Warum redet Schönenborn vom "Ich"?
    Das fing schon bei Jörg Schönenborn in der Wahlsendung an. Der WDR-Fernsehdirektor Schönenborn präsentiert da wie immer für die ARD die Zahlen. Prognosen, Hochrechnungen und irgendwelche Statistiken. Aufgemerkt habe ich an einer Stelle, an der er von den Interviews mit Politikern zu diesem, seinem Part überleiten wollte.
    Schönenborn sagte nicht: "Schauen wir uns noch einmal diese Statistik an." Sondern brachte sein "Ich" ins Spiel, das er als scheinbar total interessiert inszenierte. Er habe aufmerksam zugehört und werde nun versuchen, so ein paar Sätze aus dem Gespräch einzuordnen. Die Statistiken, die er dann präsentierte, hätten die Politiker-Stichworte aber gar nicht gebraucht. Die Zahlen versuchten, Dinge empirisch zu belegen, die eh den ganzen Abend bestimmten.
    Warum macht Schönenborn dann so etwas? Warum redet er von seinem "Ich", wo doch stur die Formatierung regiert? Am Ende fühlt man sich veräppelt, weil da nur eine gut klingende Überleitung gebraucht wurde - und es gerade nicht um persönliche Aufmerksamkeit ging.
    Das persönliche Interesse von Anne Will
    Eine andere, noch merkwürdigere Szene, gab es später bei "Anne Will". Die Talkmasterin wollte Ines Geipel vorstellen, eine der gleich sechs Gesprächsteilnehmerinnen. Geipel ist Autorin und Publizistin und lehrt an einer Berliner Schauspielschule. Das hätte als Ausweis ihrer Expertise gereicht, zumal das Tolle an einer Talkshow ja ist, dass die Anwesenden sich durch die Kraft ihrer Argumente beweisen könnten. Anne Will holte etwas weiter aus.
    "Frau Geipel, ich will sie kurz auch noch mal vorstellen für unsere Zuschauerinnen und Zuschauer, Sie sind, ich glaube, Sie hören's nicht gerne, aber ich sag's trotzdem, weil ich mich dafür interessiere…"
    Will verwies dann auf das Horrorkabinett von Geipels Biografie, die als Leistungssportlerin in der DDR gedopt worden war. Merkwürdig war daran zum einen, dass das für die Sendung völlig unwichtig war, weil es weder um Sport noch um Doping ging. Und was nützt es einem dann zu hören, dass sich jemand für etwas interessiert, wenn man nicht versteht warum und wozu?
    Und zum anderen: dass Anne Will ja wusste, dass Geipel das vermutlich nicht gerne hört. Also brauchte es - das wäre meine Wahrnehmung dieses Moments - das scheinbar persönliche Interesse von Anne Will, um sich über das eigene, bessere Wissen hinwegzusetzen.
    Journalismus ist träge
    Nun kann man sich fragen, warum es den Hinweis auf Geipels Vergangenheit überhaupt nötig war. Eine Erklärung wäre, dass Journalismus träge ist: wenn er einmal Leute auf etwas festgelegt hat, fällt es ihm schwer, davon wieder zu lassen. Eine andere: dass Geipel in der vorher geplanten Zusammensetzung der Sendung die Rolle der DDR-Kritikern zugedacht war - für den Fall, dass jemand wegen des Wahlsiegs der Linkspartei in Thüringen die Wiedereinführung von Trabant, Stasi und Dederon-Beutel gefordert hätte.
    Und so lässt gerade dieses erkennbare Kalkül, das Anne Will bei der Vorstellung scheinbar beiläufig in Stellung bringt, den an sich aufregenden Mikromoment schal werden: Ausgerechnet dann, wenn jemand mal von persönlichem Interesse redet, dient das doch nur der Formatierung.