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Probleme einer Millionenstadt
Köln - zwischen Schunkeln und Scheitern

Köln wird geliebt, vor allem von seinen Einwohnern - seit jeher. Doch der Liebe steht das Gefühl gegenüber, dass sich Köln in den vergangenen Jahren zu seinem Nachteil verändert hat. Über die Probleme einer Stadt.

Von Moritz Küpper |
    Henriette Reker (Oberbuergermeisterin Koeln) auf einem Umzugswagen beim Karneval in Köln.
    Wachsende Probleme in der Stadt: Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (imago /Sven Simon)
    Der Gürzenich zu Köln vor vier Tagen: Wie an jedem ersten Freitag im Januar findet hier das höchste gesellschaftliche Ereignis der Domstadt statt: die Prinzenproklamation.
    "Möchte ich Euch alle begrüßen. Hier, im Kölsche Gürzenich ganz recht herzlich begrüßen. Schön, dass Ihr alle do seid."
    1.350 Eintrittskarten gibt es, die nur über eine persönliche Einladung zu erhalten sind. Es ist ein Schaulaufen der Wichtigen und Mächtigen: Die Oberbürgermeisterin ist gekommen, NRWs Innenminister, Wirtschaftsbosse. Der Fraktionschef aus dem Rathaus schunkelt mit dem Kölner Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki:
    "Das ist einer der wichtigsten Abende hier bei uns im Kölner Karneval, die Prinzenproklamation. Da trifft sich natürlich so das gesellschaftliche Köln auf der einen Seite. Aber es ist der Abend eben, an dem das Dreigestirn von der Oberbürgermeisterin in Amt und Würden eingesetzt wird. Für Köln ist das einer der Höhepunkte im Karneval."
    Köln - irrationale Angelegenheit, die das Herz anspricht
    Und wer im weitläufigen Festsaal Gürzenich nach Köln fragt, der bekommt häufig nicht die Beschreibung einer Stadt, von Gebäuden oder Infrastruktur als Antwort, sondern Sätze, wie sie eben der Erzbischof sagt:
    "Auch wenn es ein bisschen vielleicht abgedroschen klingt, glaube ich, dass das in diesem Lied: Köln is e Jeföhl, dass das für einen, der hier geboren ist, tatsächlich so ist. Köln ist auf irgendeine Weise eine gewisse irrationale Angelegenheit, die vor allen Dingen das Herz anspricht. Und was manchmal auch gegen die Vernunft steht."
    Verkleidete Menschen feiern vor dem Dom in Köln den Beginn der Karnevalsession.
    Verkleidete Menschen feiern vor dem Dom in Köln den Beginn der Karnevalsession. (dpa/ Rolf Vennenbernd)
    Doch während im Gürzenich die Kölschen schunkeln, steht das bundesweite, sogar das internationale Image in einem bemerkenswerten Kontrast dazu:
    "Trümmerwüste, Köln, Klüngel, Köln, Katastrophe, Köln U-Bahn-Bau, erst Kostenexplosion auf inzwischen eine Milliarde Euro und jetzt – unbezahlbar – zwei Tote und eine zerstörte Stadtgeschichte."
    Man sieht Sonia Mikich, der ARD-"Monitor"-Moderatorin die Fassungslosigkeit richtiggehend an - angesichts des Einsturzes des Kölner Stadtarchivs im Jahr 2009. Dabei ließe sich diese Liste der städtischen Katastrophen beliebig fortsetzen: falsche Auszählung der Wählerstimmen, verschobene Kommunalwahl wegen fehlerhafter Stimmzettel, Attentat auf die Oberbürgermeisterin, Dauerbaustelle Oper.
    Trump über Köln - "One of the most peaceful places"
    Selbst im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf fiel der Name der Stadt:
    "By the way, when I left today, Cologne, Germany, which is one of the most peaceful places, ..."
    US-Präsident Donald Trump – damals noch Kandidat der Republikaner, stand auf einer Bühne in Clear Lake, Iowa, als er seinen Anhängern davon berichtete, was er eben aus Köln, Deutschland, gehört habe, einer der friedlichsten Gegenden ...:
    "... they having riots in the streets. People have been just beat to hell, women have been raped. What's going on in Germany is unbelievable."
    Wo eben nun Menschen geschlagen und Frauen vergewaltigt würden, so Trump. Die sogenannte Kölner Silvesternacht gilt als Synonym für das Scheitern der Merkel'schen Flüchtlingspolitik. Köln – das ist eben nicht nur Schunkeln, sondern auch Scheitern, nicht nur herzlich, sondern auch heruntergekommen.
    "Wir könnten, wenn wir wollten. Wir wollen aber nicht."
    "Für die Kölner selber ist nichts so prägend wie die Begrüßung des Stadionsprechers, wenn der FC spielt: Ich begrüße Sie in der schönsten Stadt Europas oder der Welt. Und das Interessante ist, dass diese Behauptung einerseits geglaubt und andererseits nicht geglaubt wird. Also, das Selbstwertgefühl der Kölner, diese Form der Selbstbesoffenheit wird gleichzeitig ironisch hinterfragt."
    Der Journalist Martin Stankowski lebt seit Ende der 60er-Jahre in Köln. Bekannt wurde er wegen seiner Stadtführungen an historische und aktuelle Schauplätze Kölns. Es gibt wenige Menschen, die die Domstadt und ihre Einwohner so gut kennen, wie Stankowski.
    "Es gibt so eine Grundmentalität auch immer wieder. Die Kölner sagen gerne: Wir könnten, wenn wir wollten. Wir wollen aber nicht."
    Die mehr als eine Million Kölnerinnen und Kölner lieben ihre Stadt. Das ist auch das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage zum Jahreswechsel, die das Meinungsforschungsinstituts Forsa exklusiv für den "Kölner Stadt-Anzeiger" erstellt hat. Von 1.003 Kölnern über 18 Jahre sagten 86 Prozent, sie wohnen gerne in Köln. Doch diesem überaus positiven Befund stehen der wachsende Ärger über Probleme in der Stadt sowie das Gefühl gegenüber, dass Köln sich in den vergangenen Jahren zu seinem Nachteil verändert hat. Zu wenig Schulen, zu wenig Kita-Plätze, dafür Rekord-Wartezeiten bei Bauanträgen oder anderen Behördengängen. Und immer wieder Hiobsbotschaften hinsichtlich städtischer Bau- oder Sanierungsprojekte.
    Rita Wagner führt durch eine Baustelle, zur Ausstellung geht es durch Geröll, Schutt und Dunkelheit. Ein Wasserschaden hat dafür gesorgt, dass das Kölnische Stadtmuseum grundsätzlich renoviert oder neugebaut werden muss.
    "Also, das hier ist der Beginn. Wir haben da sonst auch noch Filme laufen,…"
    Als Adenauer persönlich ins Bauamt marschierte
    Wagner ist Kuratorin der Ausstellung "Konrad, der Große. Die Adenauerzeit in Köln 1917-1933". Damals war Adenauer, der spätere erste Bundeskanzler der Republik, Oberbürgermeister hier – und brachte seine Geburtsstadt voran:
    "Also, Adenauer war ja so ein geschickter – wie soll man sagen - Verhandler, Lavierer. Und der hat natürlich seinen Freiraum zwischen deutscher Reichsregierung, preußischer Regierung in Berlin und den Briten hier vor Ort natürlich immer genutzt, um für die Stadt das Beste rauszuholen. Dazu gehört unter anderem die Gründung der Messe."
    Dr. Konrad Adenauer (CDU) wird am 20. September 1949 durch Bundestagspräsident Dr. Erich Köhler zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland vereidigt.
    Dr. Konrad Adenauer wird am 20. September 1949 zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland vereidigt. (dpa)
    Konrad Adenauer, damals der jüngste Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt, sprühte nur so von Tatkraft – wovon Köln bis heute profitiert: Sei es der Grüngürtel, ein riesiges Naherholungsgebiet rund um die Stadt, sei es der Automobilhersteller Ford, den er nach Köln lockte. Auch Rita Wagner kann diese Auflistung fortsetzen:
    "Das ist zum einen die Universität, das ist ja mittlerweile eine der größten Universitäten Deutschlands. Es ist aber auch in der Zeit, von 18-33, die Kölner Bevölkerung ja um 120.000 gewachsen. Das muss man sich mal vorstellen, ne? Und für die Leute mussten Wohnungen geschaffen werden. Und in der Zeit ist immens gebaut worden. Es wurden ganze Stadtteile aus dem Boden gestampft. Das Hochhaus am Hansaring ist in 135 Tagen gebaut worden. Da haben sie heute noch nicht mal die Baugenehmigung. Die hat Adenauer übrigens persönlich besorgt, in dem er in die Bauverwaltung marschiert ist."
    Köln stand für Niveau
    Und so das damals höchste Hochhaus Europas ermöglichte. 1932 wurde – natürlich von Adenauer – die erste Autobahn, die A555 von Bonn nach Köln in Betrieb genommen. Köln stand also für Niveau. Daran kann sich Lie Selter sogar noch erinnern. Sie war in den 1980er-Jahren die bundesweit erste Frauenbeauftragte einer Großstadt. Über drei Jahrzehnte hat sie – bis vor gut zwei Jahren – für die Stadtverwaltung gearbeitet. Zuletzt als Chefin des Personalamtes. Sie erinnert sich noch an eine fortschrittliche, führende Stadt:
    "Stadtentwicklung, in allen möglichen Dingen war Köln– Gesundheitsamt in Bezug auf Aids, Prostitution wurde unglaublich was geleistet – also, da war ich immer stolz. Ja, viele waren richtig stolz auf ihre Stadt."
    Lie Selter bringt die Probleme, die Köln bis heute hat, mit dem Ende der über 40-jährigen SPD-Herrschaft in Verbindung. Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten war über einen Aktienskandal gestürzt, die CDU – die Partei Konrad Adenauers - regierte Köln dann von 2000 bis 2009. Eine neue Situation trat ein: Statt der geregelten Verhältnisse kämpften die Parteien auf einmal um die Macht – und jeder versorgte seine Mitglieder mit Posten und Pöstchen; egal, ob sie dafür geeignet sind oder nicht. Hinzu kam der Hauptstadtumzug. Denn vom Regierungssitz im benachbarten Bonn hatte auch Köln profitiert. So habe sich in der Kölner Verwaltung eine ungute Stimmung breitgemacht.
    "Immer ist jemand anders schuld"
    "Resignation auch, aber auch die eigene Haut zu retten, als Amt oder Person auch manchmal gut dazustehen. Also, es ist immer jemand anders schuld. Das ist das Prinzip."
    Ein Prinzip bis heute – es lässt sich beispielsweise bei den Kulturbetrieben finden:
    "Und hier ist einfach eine so klassische Stelle und ein neuralgischer Punkt. Das ist nämlich hier der Aufzug, diese Schleuse hier, das ist ein sogenannter notwendiger Flur, das heißt, ein Fluchtweg."
    Christopher Braun steht im Untergeschoss der sogenannten Kölner Bühnen, also der Oper und dem Schauspielhaus, wo seit mittlerweile fünf Jahren saniert wird. Die Wiedereröffnung war für November 2015 geplant, doch es hängen noch immer Kabel von der Decke. Im Oktober 2022 soll die Baustelle nun fertig sein, sieben Jahre später als gedacht. Die Kosten werden sich dann auf rund 570 Millionen Euro summiert, also mehr als verdoppelt haben. Braun zeigt auf eine Öffnung, aus der orange, schwarze und graue Kabel quellen.
    "Dieser Schacht hier, das ist der Schacht elf. Den zeigen wir immer ganz gerne, weil hier noch nicht alle Kabel drin sind, die hier eigentlich reingehören, also da kommt noch ein Drittel hinzu. Plus, eine Dieselleitung. Wenn Sie da mal reingucken, können Sie sich vorstellen, wie schwierig das ist."
    Das Theater um die Kulturbauten
    Die Ursachen für die Verzögerung sind identifiziert – die Verantwortlichen aber nicht. Bei den Kulturbauten richtete sich schnell der Blick auf die zuständige Dezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach. Seit 2013 ist sie in Köln, kam damals aus Stuttgart mit dem Versprechen, auch erfolgreich bei der Betreuung von Bauprojekten gewesen zu sein. In Köln geschah nun anderes – doch die Zuständigkeit weist Laugwitz-Aulbach zurück:
    "Ich verstehe diese Frage sehr wohl und beantworte sie immer aus der Fachlichkeit heraus. Ein Kulturdezernat und eine Kulturdezernentin sind in erster Linie da, für die inhaltlichen Fragen der Kultur und muss natürlich bei Bauten, die wir hier in Köln sehr viel haben, auch schauen, dass die Nutzer dann in die richtige Richtung kommen, was Sanierung betrifft. Oder brauchen wir einen Neubau? Oder brauchen wir eine Generalsanierung? Sobald es aber direkt in die Fachlichkeit hineingeht, das muss man trennen, ist es dann wieder eine Baufachfrage."
    Die Baustelle der Oper, fotografiert am 27.11.2015 in Köln (Nordrhein-Westfalen).
    Die Baustelle der Kölner Oper (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Klingt logisch. Ursprünglich war jedoch auch die Bauabteilung in der Kultur angesiedelt, was wohl zu einem fehlenden Verantwortungsbewusstsein führte.
    Für diese Zeit sind der heutigen Bevölkerung größtenteils zwei ehemalige Kölner Oberbürgermeister bekannt: Fritz Schramma, ein jovialer CDU-Mann, einst Latein-Lehrer, überzeugter Karnevalist und gebürtiger Kölner. Und dessen Nachfolger Jürgen Roters, langjähriger Polizei- und Regierungspräsident der Stadt, ein Verwaltungsmann, SPD-Mitglied und ein gebürtiger Westfale.
    Der Einfluss der Kölner Gesellschaft
    Wer in den langen Jahren ihrer Zeit als Stadtoberhaupt immer wieder mit beiden gesprochen hat, sah ihre Anstrengungen, aber auch die vielen negativen Schlagzeilen. Beide sahen und sehen die Stadtverwaltung als einen Teil des Problems an. Schramma hat aber erst kürzlich – auf einer Matinee zu seinem 70. Geburtstag – noch auf einen anderen Punkt aufmerksam gemacht. Es ging um die Zeit unmittelbar nach dem Einsturz des Stadtarchivs – in dessen Konsequenz Schramma 2009 nicht erneut als Oberbürgermeister kandidierte. In seinem Redemanuskript dazu heißt es:
    "Am Samstag, 28.3., um elf Uhr erreicht mich ein Anruf zuhause. Ich hatte bereits um neun Uhr einen ersten Termin bei der IHK hinter mir, als eine einflussreiche Kölner Persönlichkeit sich telefonisch mit einer unmissverständlichen Ansage meldete. Ein zweiter drängender Anruf ereilte mich Sonntagmorgen."
    Allen im Raum war klar, wer damit gemeint war: Der verstorbene Alfred Neven DuMont, der als Herausgeber des "Kölner Stadt-Anzeigers" sowie des Boulevard-Blatts "Express", jahrzehntelang die Kölner Gesellschaft dominiert und deshalb großen Einfluss auf die Stadtpolitik hatte und auch Schramma sozusagen zum Rückzug zwingen wollte.
    "Die Situation eines Oberbürgermeisters hinsichtlich seiner Fähigkeiten, seiner Möglichkeiten, eine Stadt zu regieren, wenn man das mal so sagen darf, die werden weitläufig überschätzt. Der Souverän einer solchen Einrichtung Stadt ist ja – nach der Kommunalverfassung – immer noch der Rat und die Mehrheit des Rates entscheidet."
    Und der entscheidet – so sagt es Ex-OB Schramma – nicht selten gegen die Verwaltung mit dem Oberbürgermeister an der Spitze.
    "Und wenn dann noch dazu massiv eine sehr stark konzentrierte Medienmacht in der Stadt vorhanden ist, die das auch entsprechend mit nutzt, dann sind ihre Chancen relativ gering."
    "Manchmal hat Köln auch Pech gehabt"
    Zum Kölner Klüngel zählen einflussreiche Persönlichkeiten und Familien aus der Medien- oder der Baubranche, aber auch diejenigen, die mit dem Karneval oder dem Kölsch ihr Vermögen machten. Auch das ist ein Faktor in der Domstadt. Schrammas Nachfolger, Jürgen Roters, ergänzt:
    "Manchmal hat Köln auch Pech gehabt. Weil es gibt auch andere Städte, die mit vergleichbaren Problemen zu tun hatten, aber in Köln ist es immer in ganz besonderer Weise in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten."
    "Die Stadt ist auf der Suche. Auf der Suche nach einer vielleicht etwas glücklicheren, etwas einfacheren Zukunft."
    Sagt Christian Hümmeler. Er ist stellvertretender Chefredakteur beim "Kölner Stadt-Anzeiger" und Leiter der Lokalredaktion. Zum Jahresabschluss hat er in einem Leitartikel seiner Stadt ein verlorenes Jahr 2017 attestiert – und für die Zukunft mehr Bereitschaft gefordert, sich den Problemen zu stellen.
    "Die Politik befasst sich hier in Köln mit Kleinigkeiten, die in anderen Städten reine Verwaltungssache wären. Das lähmt beide Seiten."
    Doch Hümmeler ist nicht nur Ankläger, sondern auch Verteidiger: Als die "Süddeutsche Zeitung" nach dem Attentat auf Henriette Reker die niedrige Wahlbeteiligung bei der Oberbürgermeisterwahl kritisierte, schrieb er einen Text, in dem er sich gegen die Kollektivschelte wehrte – in Köln würde eine Wahl nur funktionieren, wenn neben den Wahlkabinen Kölsch-Fässchen aufgestellt werden:
    "Ich würde mir wünschen, wenn das eine oder andere Klischee über Köln nicht in jedem Artikel, nicht in jedem Fernsehbeitrag vorkäme."
    "Ja, meine Damen und Herren, wem gehört die Stadt?"
    Erste Millionenstadt regiert von einer Parteilosen
    Seit Oktober 2015 ist Köln die erste deutsche Millionenstadt, die von einer parteilosen Politikerin regiert wird: Eben von Henriette Reker. Die Oberbürgermeisterin sitzt in einer Podiumsdiskussion, macht eine Pause, schaut in den Raum:
    "Ihnen, uns allen."
    Es ist in den ersten Monaten ihrer Amtszeit:
    "Wie kann Bürgerbeteiligung aussehen?"
    Reker kennt Köln. Sie ist hier geboren, ging auf ein stadtbekanntes Gymnasium, liebt den Karneval und hat nie den Kontakt nach Köln verloren – auch nicht, als sie als Beigeordnete für Soziales in Gelsenkirchen arbeitete. Vor über sieben Jahren kehrte sie zurück, wurde Sozialdezernentin der Domstadt, schließlich Oberbürgermeisterin. Am Tag der Wahl lag sie nach dem Messerattentat im Krankenhaus noch im Koma. Reker will ihr Amt neu definieren. Mehr arbeiten, weniger feiern, weniger repräsentieren. Sie nimmt viel seltener am Kölner Karnevalstreiben teil als ihre Vorgänger.
    "Ja, ich will mehr als verwalten. Ich möchte eben gestalten. Und ich denke, das ist auch in einer modernen Stadt notwendig."
    Die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wird in Düsseldorf im Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags zur Silvesternacht in Köln befragt.
    Die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (pa/dpa/Vennenbernd)
    Vor anderthalb Jahren – nach einer ersten Phase im Amt – versuchte sie es bei ihrer Verwaltung mit harscher Kritik:
    "Ich kenne die Verwaltung seit fünf Jahren, seitdem kann sie es schon nicht."
    Die 19.000 Beamtinnen und Beamten, aber auch die Kölner Öffentlichkeit waren in Aufruhr, angesichts der direkten Wortwahl:
    "Wir haben auf der einen Seite Leistungsträger, die auch hoch motiviert sind. Und auf der anderen Seite haben wir Menschen, tja, wo ich manchmal denke, die kommen nur um hier ihr Schmerzensgeld zu bekommen."
    Reker ist nicht zu unterschätzen
    Das mediale Echo war verheerend, doch die parteilose Reker ist nicht zu unterschätzen. Wenn du etwas durchsetzen willst, geh zur Reker, hieß es einst im Gelsenkirchener Rathaus. Auch in Köln ist Durchsetzungskraft gefragt. Nach einer angestoßenen internen Verwaltungsreform hat sie sich jüngst die Bedingungen ihrer Stadtratsmitglieder vorgenommen:
    "Wenn ich sehe, dass in Köln die ehrenamtlichen Ratsmitglieder entschädigt werden mit knapp 500 Euro, dann ist es wirklich so, dass sie in ihrer Freizeit Kommunalpolitik machen müssen."
    Reker will den Auftrag an den Rat und damit die Ausrichtung der Lokalpolitik enger fassen:
    "Es ist sicher nicht mehr zeitgemäß – und das ist überhaupt keine Kritik am Rat, sondern der Rat hat sich selber vor… , ich weiß nicht wie viel dutzenden von Jahren, eine Zuständigkeitsordnung gegeben, die in das heutige Leben nicht mehr passt. Also, wenn wir alleine bedenken, wie sich in einem Berufsleben von 20 Jahren die Geschwindigkeit der Kommunikation verändert hat."
    Rekers Halbzeit - im Frühjahr wird Bilanz gezogen
    Für die Oberbürgermeisterin steht fest, dass strukturelle Veränderungen, wie beispielsweise auch ihre Verwaltungsreform, bei der von Zufriedenheit der Kunden bis zur Führung innerhalb der Verwaltung alles auf den Prüfstand komme, Zeit brauchen:
    "Aber es ist auch ein Langstreckenlauf. Also, es geht auch nicht in drei oder fünf Jahren."
    Eine Bilanz ihrer Amtszeit wollen Reker und ihr Team tunlichst vermeiden, reagieren allergisch auf solche Anfragen. Erst im Frühjahr ist offiziell Halbzeit, dann wird Bilanz gezogen. Kann Henriette Reker die Kölsche Lethargie beenden? Christian Hümmeler vom "Kölner Stadt-Anzeiger" wiegt den Kopf hin und her.
    "Die Liste der Dinge, die sie wirklich umgesetzt hat, die ist doch relativ klein. Und ich glaube, das wird auch in der Stadt weitgehend so gesehen. Sie führt ihr Amt auf eine andere Weise als ihre Vorgänger, sie macht in der Öffentlichkeit eine, wie ich finde, sehr gute Figur. Sie merkt aber auch, glaube ich jetzt, dass sie intern doch an ihrer Grenzen stößt, gerade im Zusammenspiel mit der Politik, wo sie ja eine deutlich größere Unabhängigkeit angekündigt hatte vorher, merkt sie, dass sie doch sehr eingebunden ist, in die Parteien, die sie unterstützen."
    Doch: Was gibt dann wirklich Hoffnung für die Domstadt? Noch einmal Journalist Hümmeler:
    "Die Popularität der Stadt bringt viele Schwierigkeiten wie überall: Mieten, Wohnungspreise, Verkehr. Das sind die großen Themen. Sie bringt aber auch neue Menschen in diese Stadt, die, wenn sie mal die erste Phase der ungebändigten Liebe zu Köln überwunden haben, vielleicht ja dahinkommen, dass sie sagen: Wir wollen etwas für diese Stadt tun. Dass sie sich engagieren, dass es auch in der Politik, in der Verwaltung, in der Gesellschaft so eine Art Wechselstimmung gibt, dass neue Leute kommen und vielleicht diese Stadt dann ein Stück weiter voran bringen."