Jochen Spengler: Die Mathematik, das ist in Deutschlands Schulen nicht gerade Lieblingsfach und ganz generell hat die Mathematik in unserem Land offenbar nicht das Ansehen, das sie vielleicht verdient. Viel zu wenig Studenten, zu wenige Mathematiker, auch das war wohl ein Grund dafür, dieses Jahr zum "Jahr der Mathematik" auszurufen. Und wäre es nicht toll, wenn wir alle, wenn vor allem Deutschlands Politiker besser rechnen könnten? Vielleicht wäre es dann nie zu der Staatsverschuldung von fast einer Billion Euro gekommen. - Am Telefon ist nun und Gastgeber der gerade dort in Erlangen stattfindenden Jahrestagung der deutschen Mathematiker-Vereinigung. Guten Morgen, Herr Duzaar.
Professor Frank Duzaar: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: Herr Duzaar, ich habe nachgelesen, Sie sagen, dass es in Deutschland schick sei, damit zu kokettieren, dass man schlecht ist in Mathe. Ich bekenne an dieser Stelle, dass ich keine große Leuchte in Mathematik war. Ich kokettiere zwar nicht mit diesem Bekenntnis, aber ich schäme mich auch nicht sonderlich und ich bin damit vermutlich nicht alleine. Woran liegt das?
Duzaar: Woran es liegt, kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist einfach nur festzustellen, dass seit Anfang der 90er Jahre Personen in der Öffentlichkeit oder auch ganz normale Personen, die ich in meinem privaten Umfeld kenne, immer häufiger sagen, Mathematik habe ich nie gekonnt. Und das ist eigentlich noch das Freundlichste. Meistens kommt im Nachsatz noch dazu, "und außerdem habe ich es auch nicht gemocht".
Spengler: Und Sie haben die Erfahrung gemacht, dass das anderswo anders ist?
Duzaar: Das ist in Italien und in Frankreich ganz anders. In Frankreich zum Beispiel: wenn sie die politische oder eine Verwaltungslaufbahn einschlagen, müssen sie gewisse Schulen durchlaufen und da kommen sie mit Schmalspur-Mathematik einfach nicht durch. Italien hat ein ganz anderes Verhältnis zu seinen Mathematikern. Zum Beispiel ist in Italien zu verzeichnen oder zu konstatieren, dass sehr häufig hochrangige Politiker im Kultusministerium oder im Wissenschaftsministerium Mathematiker sind.
Spengler: Jetzt haben Sie die einmalige Gelegenheit, mir zu erklären, warum Mathematik ein höheres Ansehen verdient hätte, was das Tolle ist an Mathematik.
Duzaar: Mathematik ist erstens eine Wissenschaft, eine hoch aktuelle Wissenschaft, die mehr als nur die Zahlen erfunden hat. Wenn man zum Beispiel hört, was kann man in der Mathematik machen, alle Zahlen sind doch schon bekannt, dann kann ich als Mathematiker nur den Kopf schütteln. Mathematik ist für sich genommen eine ganz spannende Wissenschaft. Aber natürlich ist Mathematik auch eine Querschnittswissenschaft. Sie ist die Sprache der Naturwissenschaften, der Ingenieurwissenschaften. Und wenn man sich ein bisschen auskennt in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, dann sieht man, dass in vielen Dingen des täglichen Lebens sehr viel Mathematik drin ist, sehr viel mehr Mathematik als jeder denkt.
Spengler: Ist das vielleicht der Fehler, den die Schulen machen, dass sie diesen Bezug zum Alltag nicht herstellen?
Duzaar: Ich möchte es jetzt nicht als Fehler der Schulen fest machen. In den Schulen muss man konstatieren, die Lehrpläne sind sehr dicht gepackt und den Lehrern bleibt wenig Luft zum Atmen. Aber es fehlt der Bezug zur modernen Mathematik. Das ist etwas, was ich feststelle. Die Mathematik-Ausbildung als solche für Lehrer - ich kann es jetzt zum Beispiel für Bayern sagen; ich war vorher Professor in Nordrhein-Westfalen auf einer Zeitstelle und danach in Berlin an einer Universität - ist so, dass die moderne Mathematik-Ausbildung der Lehrer im Lehramtsstudium Anfang des 19. Jahrhunderts aufhört, 1920 wenn's hochkommt. Danach sind große Bereiche, die den Studierenden fehlen. Gerade da ist sehr, sehr viel passiert: Handys, Computer, Navigationsgeräte, Gasturbinen, was immer Sie nehmen. Viele Dinge, die im Alltag benutzt werden, die das Leben angenehm machen, sind von Mathematik, natürlich auch von Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften durchsetzt. Und ich denke, dass es möglich ist, dies auch den Studierenden in den Lehramtsstudiengängen zu vermitteln. Dazu müssten aber dann die Lehrpläne etwas angepasst werden.
Spengler: Professor Duzaar, muss man für Mathematik begabt sein?
Duzaar: Nein. Natürlich muss man wie bei jedem Fach eine gewisse Begabung haben. Aber ich denke, dass man jedem an der Schule die Freude an Mathematik vermitteln kann, und auch, dass jeder in der Mathematik erfolgreich sein kann und Spaß daran haben kann.
Spengler: Wie denn?
Duzaar: Indem man - -
Spengler: Übt?
Duzaar: Natürlich muss man üben. Das ist in der Mathematik einfach so. Man muss auch gewisse Techniken einfach üben. Aber indem man Bezüge zur Wirklichkeit stellt, was auch teilweise jetzt in den Schulen ja schon gemacht wird, aber die Kinder sehr früh daran heranführt, welchen Nutzen Mathematik hat. Es kann nicht sein, wenn ich das etwas salopp formulieren darf, dass ich Dreisatzaufgaben in unendlicher Menge rechne. Das ist jetzt sarkastisch formuliert. Drei Kühe geben sieben Liter Milch in zwei Tagen; wie viele Liter Milch geben 20 Kühe in 15 Tagen. Das ist nicht der Realitätsbezug. Der Realitätsbezug wird dort hergestellt, dass man sich zum Beispiel mal fragt, wenn man auf den Markt geht und da sind die Apfelsinen so schön in einer Packungsordnung gepackt, warum kann ich das so, warum kann ich die so packen. Das kann man auch erklären.
Spengler: Mathematisch kann man das erklären?
Duzaar: Das kann man erklären. Das ist schwere Mathematik, aber man kann auch mit ganz einfachen Ansätzen dort etwas machen. Man kann zum Beispiel erklären, wie kann man etwa ein Handy orten. Was muss ich dafür wissen. Das ist in gewisser Hinsicht einfache Mathematik und geht bis zur Geometrie.
Spengler: Jetzt tut es mir fast leid, dass wir die Zeit nicht haben, dass Sie mir das erklären können. Ich würde gerne von Ihnen, Professor Duzaar, wissen: was ändert denn das Jahr der Mathematik an diesem Befund?
Duzaar: Das hat einiges bewirkt. Die Öffentlichkeit schaut jetzt auf die Mathematik. Die schaut, was passiert da. Die Mathematik kommt durch viele, viele Aktionen, die gestartet werden, wieder ein bisschen in das Bewusstsein der Leute herein. Es gibt dieses Wissenschaftsschiff, es gibt Vorlesungen. Wir in Erlangen haben Schüler-Lehrer-Tage gemacht. Wir haben Lehrerfortbildungen organisiert. Vortragsreihen sind hier angeboten worden. Wir haben zum Beispiel mit dem Siemens-Forum zusammen einen "Tag der Mathematik" in der Industrie gemacht oder einen Abend.
Spengler: Das heißt, Sie sind eigentlich ganz optimistisch?
Duzaar: Ich bin optimistisch. Es geht auch nach oben. Wir werden wahrgenommen und der Stellenwert der Mathematik wird honoriert. Es ist aber wichtig, das jetzt über dieses Jahr der Mathematik hinaus für die nächsten Jahre fortzuschreiben, um so dann halt auch wieder die Rückkopplung zu haben, dass die Jugendlichen sich für Mathematik interessieren und dann halt auch in die Universitäten, in die natur-ingenieurwissenschaftlichen Fächer und natürlich auch in die Mathematik zurückkommen. Denn wie gesagt: Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Mathematik machen unser Leben mal an der einen oder anderen Stelle sehr einfach.
Spengler: Dann drücken wir in unser aller Interesse den Daumen. Professor Frank Duzaar, Dekan an der Uni Erlangen. Ich danke für das Gespräch.
Duzaar: Ich danke auch. Auf Wiederhören, Herr Spengler.
Spengler: Auf Wiederhören.
Professor Frank Duzaar: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: Herr Duzaar, ich habe nachgelesen, Sie sagen, dass es in Deutschland schick sei, damit zu kokettieren, dass man schlecht ist in Mathe. Ich bekenne an dieser Stelle, dass ich keine große Leuchte in Mathematik war. Ich kokettiere zwar nicht mit diesem Bekenntnis, aber ich schäme mich auch nicht sonderlich und ich bin damit vermutlich nicht alleine. Woran liegt das?
Duzaar: Woran es liegt, kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist einfach nur festzustellen, dass seit Anfang der 90er Jahre Personen in der Öffentlichkeit oder auch ganz normale Personen, die ich in meinem privaten Umfeld kenne, immer häufiger sagen, Mathematik habe ich nie gekonnt. Und das ist eigentlich noch das Freundlichste. Meistens kommt im Nachsatz noch dazu, "und außerdem habe ich es auch nicht gemocht".
Spengler: Und Sie haben die Erfahrung gemacht, dass das anderswo anders ist?
Duzaar: Das ist in Italien und in Frankreich ganz anders. In Frankreich zum Beispiel: wenn sie die politische oder eine Verwaltungslaufbahn einschlagen, müssen sie gewisse Schulen durchlaufen und da kommen sie mit Schmalspur-Mathematik einfach nicht durch. Italien hat ein ganz anderes Verhältnis zu seinen Mathematikern. Zum Beispiel ist in Italien zu verzeichnen oder zu konstatieren, dass sehr häufig hochrangige Politiker im Kultusministerium oder im Wissenschaftsministerium Mathematiker sind.
Spengler: Jetzt haben Sie die einmalige Gelegenheit, mir zu erklären, warum Mathematik ein höheres Ansehen verdient hätte, was das Tolle ist an Mathematik.
Duzaar: Mathematik ist erstens eine Wissenschaft, eine hoch aktuelle Wissenschaft, die mehr als nur die Zahlen erfunden hat. Wenn man zum Beispiel hört, was kann man in der Mathematik machen, alle Zahlen sind doch schon bekannt, dann kann ich als Mathematiker nur den Kopf schütteln. Mathematik ist für sich genommen eine ganz spannende Wissenschaft. Aber natürlich ist Mathematik auch eine Querschnittswissenschaft. Sie ist die Sprache der Naturwissenschaften, der Ingenieurwissenschaften. Und wenn man sich ein bisschen auskennt in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, dann sieht man, dass in vielen Dingen des täglichen Lebens sehr viel Mathematik drin ist, sehr viel mehr Mathematik als jeder denkt.
Spengler: Ist das vielleicht der Fehler, den die Schulen machen, dass sie diesen Bezug zum Alltag nicht herstellen?
Duzaar: Ich möchte es jetzt nicht als Fehler der Schulen fest machen. In den Schulen muss man konstatieren, die Lehrpläne sind sehr dicht gepackt und den Lehrern bleibt wenig Luft zum Atmen. Aber es fehlt der Bezug zur modernen Mathematik. Das ist etwas, was ich feststelle. Die Mathematik-Ausbildung als solche für Lehrer - ich kann es jetzt zum Beispiel für Bayern sagen; ich war vorher Professor in Nordrhein-Westfalen auf einer Zeitstelle und danach in Berlin an einer Universität - ist so, dass die moderne Mathematik-Ausbildung der Lehrer im Lehramtsstudium Anfang des 19. Jahrhunderts aufhört, 1920 wenn's hochkommt. Danach sind große Bereiche, die den Studierenden fehlen. Gerade da ist sehr, sehr viel passiert: Handys, Computer, Navigationsgeräte, Gasturbinen, was immer Sie nehmen. Viele Dinge, die im Alltag benutzt werden, die das Leben angenehm machen, sind von Mathematik, natürlich auch von Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften durchsetzt. Und ich denke, dass es möglich ist, dies auch den Studierenden in den Lehramtsstudiengängen zu vermitteln. Dazu müssten aber dann die Lehrpläne etwas angepasst werden.
Spengler: Professor Duzaar, muss man für Mathematik begabt sein?
Duzaar: Nein. Natürlich muss man wie bei jedem Fach eine gewisse Begabung haben. Aber ich denke, dass man jedem an der Schule die Freude an Mathematik vermitteln kann, und auch, dass jeder in der Mathematik erfolgreich sein kann und Spaß daran haben kann.
Spengler: Wie denn?
Duzaar: Indem man - -
Spengler: Übt?
Duzaar: Natürlich muss man üben. Das ist in der Mathematik einfach so. Man muss auch gewisse Techniken einfach üben. Aber indem man Bezüge zur Wirklichkeit stellt, was auch teilweise jetzt in den Schulen ja schon gemacht wird, aber die Kinder sehr früh daran heranführt, welchen Nutzen Mathematik hat. Es kann nicht sein, wenn ich das etwas salopp formulieren darf, dass ich Dreisatzaufgaben in unendlicher Menge rechne. Das ist jetzt sarkastisch formuliert. Drei Kühe geben sieben Liter Milch in zwei Tagen; wie viele Liter Milch geben 20 Kühe in 15 Tagen. Das ist nicht der Realitätsbezug. Der Realitätsbezug wird dort hergestellt, dass man sich zum Beispiel mal fragt, wenn man auf den Markt geht und da sind die Apfelsinen so schön in einer Packungsordnung gepackt, warum kann ich das so, warum kann ich die so packen. Das kann man auch erklären.
Spengler: Mathematisch kann man das erklären?
Duzaar: Das kann man erklären. Das ist schwere Mathematik, aber man kann auch mit ganz einfachen Ansätzen dort etwas machen. Man kann zum Beispiel erklären, wie kann man etwa ein Handy orten. Was muss ich dafür wissen. Das ist in gewisser Hinsicht einfache Mathematik und geht bis zur Geometrie.
Spengler: Jetzt tut es mir fast leid, dass wir die Zeit nicht haben, dass Sie mir das erklären können. Ich würde gerne von Ihnen, Professor Duzaar, wissen: was ändert denn das Jahr der Mathematik an diesem Befund?
Duzaar: Das hat einiges bewirkt. Die Öffentlichkeit schaut jetzt auf die Mathematik. Die schaut, was passiert da. Die Mathematik kommt durch viele, viele Aktionen, die gestartet werden, wieder ein bisschen in das Bewusstsein der Leute herein. Es gibt dieses Wissenschaftsschiff, es gibt Vorlesungen. Wir in Erlangen haben Schüler-Lehrer-Tage gemacht. Wir haben Lehrerfortbildungen organisiert. Vortragsreihen sind hier angeboten worden. Wir haben zum Beispiel mit dem Siemens-Forum zusammen einen "Tag der Mathematik" in der Industrie gemacht oder einen Abend.
Spengler: Das heißt, Sie sind eigentlich ganz optimistisch?
Duzaar: Ich bin optimistisch. Es geht auch nach oben. Wir werden wahrgenommen und der Stellenwert der Mathematik wird honoriert. Es ist aber wichtig, das jetzt über dieses Jahr der Mathematik hinaus für die nächsten Jahre fortzuschreiben, um so dann halt auch wieder die Rückkopplung zu haben, dass die Jugendlichen sich für Mathematik interessieren und dann halt auch in die Universitäten, in die natur-ingenieurwissenschaftlichen Fächer und natürlich auch in die Mathematik zurückkommen. Denn wie gesagt: Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Mathematik machen unser Leben mal an der einen oder anderen Stelle sehr einfach.
Spengler: Dann drücken wir in unser aller Interesse den Daumen. Professor Frank Duzaar, Dekan an der Uni Erlangen. Ich danke für das Gespräch.
Duzaar: Ich danke auch. Auf Wiederhören, Herr Spengler.
Spengler: Auf Wiederhören.