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Profit um jeden Preis

Die gesunkene Ölbohrplattform Deepwater Horizon hat im Golf von Mexiko für einen Schaden gesorgt, dessen Ausmaß noch nicht genau abzusehen ist. Fest steht bereits: Es könnte eine Katastrophe werden, die ihresgleichen sucht. Eine O-Ton-Collage

Von Ralph Sina |
    Am Anfang erahnte außer dem Bohrloch-Betreiber BP niemand die Dimension des Desasters. Weder der US-Präsident noch die amerikanische Küstenwache.

    Und erst recht nicht die Fischer des kleinen Dörfchens Venice am Mississippi-Delta.

    Die von ihren Booten aus fassungslos auf die brennende Plattform starrten.

    "Wir haben nicht geglaubt, dass die Probleme jemals diese Dimension annehmen",

    sagt Steve Bright.

    "Das sieht jetzt viel schlimmer aus als wir ursprünglich annahmen."

    Das brennende Inferno auf der Ölplattform taucht Nacht für Nacht in Brights Albträumen auf. Denn der Fischer kennt zahlreiche der Männer, die dort arbeiteten. Jagte mit ihnen gemeinsam Barrakudas.

    Gut 30 Kilometer war Bright mit seinem Boot entfernt, als die Deepwater Horizon explodierte.

    "Wie nach einer Atombombe. Diese pilzförmigen Wolken", sagt Bright. Er wagte sich nicht vorzustellen, was auf dem Deck der Deepwater-Horizon nach der Explosion passierte. Auf der angeblich modernsten und sichersten Förderplattform der Welt. Wie geschaffen für Amerikas ungezügelten Ölhunger.

    Acht Monate vor der Katastrophe begannen die Experten von dieser Plattform aus das tiefste Bohrloch der Welt in über 9000 Metern unter dem Meeresgrund in die Erdkruste zu fräsen. Eine Unterwasser-Sensation, technisch so spektakulär und riskant wie die ersten Apollo-Flüge zum Mond. 'Helden des Öls' wurden die 126 Mann auf der Deepwater-Horizon genannt.

    Mike Williams ist einer von ihnen.

    "Nach der Explosion hörte ich das Schrillen des Alarms, hörte Notruf-Funksprüche, den Schrei 'Es brennt, helft uns - SOS'",

    erinnert sich der Chef-Elektroingenieur in der CBS-Sendung "60 Minutes". In Todesangst sprang er von der brennenden Plattform zehn Stockwerke tief ins nachtschwarze Meer.

    "Ich dachte: ich hab's gepackt. Aber dann sah ich das Feuer überall rings um mich herum."

    Mike Williams hatte das Gefühl, in einem Meer von Öl zu verbrennen, tauchte unter, schwamm um sein Leben. Fast zwei Stunden lang. Bis ihn ein Fischerboot aus dem Wasser zog. An Bord erinnerte er sich an die Worte der Manager von BP und des Plattformbesitzers Transocean: Die tiefste Bohrung der Welt sei überhaupt nicht gefährlich, selbst eine Explosion absolut beherrschbar und die Bohrinsel ein feuersicherer und unsinkbarer Fels in der Brandung.

    "Es passierte genau alles das, von dem meine Bosse immer behauptet hatten , das sei völlig ausgeschlossen. Das werde nie geschehen",

    sagt Mike Williams. Auch knapp einen Monat nach der Apokalypse steht er noch hörbar unter Schock.

    Der Chef-Elektroingenieur der untergegangenen Plattform "Deepwater Horizon" hat genau Buch geführt über das, was bereits Wochen vor der Explosion für alle erkennbar schieflief. Er war in Hörweite dabei, als sich am Morgen der Explosion führende Ingenieure des Bohrlochbesitzers BP, des Plattform-Betreibers Transocean und des Subunternehmers Halliburton darüber stritten, wie man angesichts der zahlreichen Sicherheitsmängel weiter vorgehen solle.

    Williams kennt die Kernereignisse vor dem Desaster - und seine Aussagen gegenüber dem renommierten US-Fernsehsender CBS und gegenüber Rechtsanwälten der von der Ölkatastrophe betroffenen Fischer lassen die Firmenzentralen von BP, Transocean und Halliburton aufhorchen. Dem Deepwater-Horizon-Trio dämmert, dass ihre Strategie der gegenseitigen Schuldzuweisungen durchkreuzt werden könnte. Der Meister dieser Taktik ist BP-Boss Tony Hayward. Der vor dem US-Kongress und in zahlreichen Interviews immer wieder behauptet:

    "Für die Sicherheit auf der Plattform gibt es einen Verantwortlichen: die Firma Transocean. Es ist ihre Plattform, es ist ihre Ausrüstung, es sind ihre Leute und Sicherheitsprozeduren."

    "Eine Unverschämtheit", kontert Transocean. Schließlich sei am Bau des Bohrlochs auch der Halliburton-Konzern beteiligt gewesen. Und BP habe zu jedem Zeitpunkt das Sagen und die Regie über das Gesamtprojekt gehabt.
    Die Strategie des britischen Ölmultis, alle Schuld von sich zu weisen, sorgt bei den Fischern in Louisiana, Alabama und Mississippi für zunehmenden Unmut.

    "BP hat das Problem verursacht, weiß aber noch immer nicht wirklich damit fertig zu werden und das Bohrloch zu versiegeln",

    sagt wütend Greg Wood, einer der bisher erfolgreichsten Austern- und Shrimpfischer des 400-Einwohner-Dorfes Venice. Seit Wochen versuche der Konzern der Öffentlichkeit eines zu suggerieren: Er habe die Lage trotz allem in der Hand.

    Dabei wisse BP noch nicht einmal, wie viel Öl bereits jetzt in den Golf von Mexiko gelaufen ist.

    Geschweige denn, wie viel trotz der verzweifelten Absaugversuche noch ins Meer gelangen könne.

    "Die wissen natürlich nicht, wie lange und wie stark die Lecks auf dem Meeresgrund noch sprudeln", so Fischer Gregg.

    Mississippi, Alabama, Louisiana und Florida - alle Küsten sind in Gefahr, auch wenn die Strände momentan noch weiß sind, sagt der Fischer.

    "Wenn alle Küsten verseucht werden, dann wird das der reinste Horror"

    Amerikas Fischerei- und Urlaubsindustrie entlang der gesamten Golf-Küste steht auf dem Spiel. BP hat eine der artenreichsten Regionen der Welt und Hunderttausende von Küstenbewohnern zu Geiseln eines ohnehin hochriskanten Bohrversuchs gemacht, bei dem zusätzlich schwerste Sicherheitsmängel wissentlich in Kauf genommen wurden. Und zwar in erster Linie von BP. Aber auch von seinen Bohrpartnern Transocean und Halliburton. So das Ergebnis der Recherchen des zuständigen Ausschusses im US-Kongress. Und so auch die Zeugenaussagen des Deepwater-Horizon-Elektroingenieurs Mike Williams. Der dem Fernsehsender CBS gestattet hat, aus seinen Aussagen zu zitieren. Zum Beispiel die Aussagen über die Beschädigung des 450 Tonnen schweren Blowout-Preventers, jenes gigantischen Sicherheitsventils, das nach der Explosion das Bohrloch hätte hermetisch verschließen müssen. Um die Ölkatastrophe zu verhindern.

    "Williams sagt, dass während eines Unfalls vier Wochen vor der Explosion das entscheidende Sicherheitsventil, der sogenannte 'Blowout-Preventer' massiv beschädigt wurde. Teile der Gummidichtung wurden aus dem Bohrloch geschleudert."

    Eine alarmierende Situation: Auf den Computerbildschirmen an Bord der "Deepwater Horizon" war klar zu erkennen, dass sich die Dichtungsringe der alles entscheidenden Ölsperre buchstäblich zerlegt hatten. Allen Beteiligten war klar: Dieses Sicherheitsventil konnte im Fall einer Explosion weder Öl noch Gas aufhalten. Eine Zeitbombe unter Wasser, die alle Sicherheitstest zu einer Farce machte. Denn um im Vorfeld der Ölförderung die Druckverhältnisse im Bohrloch überhaupt messen zu können, musste man das Loch zunächst einmal abriegeln.

    Das aber war mit einem gummilosen Ventil nicht möglich. Der alles entscheidende Test, der über Leben und Tod von 126 Arbeitern auf der Bohrinsel entscheiden konnte und über die Existenz eines ganzen Ökosystems - dieser Test konnte schlicht nicht ausgeführt werden.

    "Macht euch keine Sorgen, alles halb so schlimm", sagt ein Mitarbeiter des Plattform-Besitzers Transocean angesichts dieser Situation allen Ernstes den schockierten Arbeitern auf der Deepwater-Horizon. Elektroingenieur Mike Williams notiert sich den Satz in seinem Tagebuch. Denn von diesem Zeitpunkt an war klar: Allen beteiligten Firmen geht es nur noch darum, BP's Kernziel zu realisieren - es musste endlich Öl aus dem tiefsten Bohrloch der Welt gefördert werden.

    Die skrupellose Eile hatte ihren Grund: Das Bohrloch verschlang aus Sicht der Aktiengesellschaft BP bereits zu viel Geld. Die Arbeiten hatten sich um drei Wochen verzögert. 25 Millionen Dollar mehr als ursprünglich veranschlagt, musste der BP-Konzern bereits ausgeben. Dessen Manager machten jetzt massiven Druck.

    Deshalb verwendete der Ölspezialist Halliburton für das Auskleiden des Bohrlochs sogar einen besonders schnell bindenden Zement. Das ungewöhnliche Verfahren steht im Verdacht, die Explosion mitprovoziert zu haben. Auch Halliburton, in dessen Vorstand einst der spätere US-Vizepräsident Dick Cheney saß und der weltweit als äußerst machtbewusst agierender Konzern gilt, gehorchte dem BP-Diktat.

    Alles drehte sich also darum, möglichst schnell voranzukommen? Eindeutig ja, antwortet auf diese Frage von US-Senatsabgeordneten und Journalisten Professor Bob Bea von der Universität Berkeley. Bea ist der führende Bohrinsel-Experte der USA

    Die Obama- Regierung hat ihn mit den Untersuchungen des Deepwater-Horizon-Dramas beauftragt. Dabei stellte sich heraus, dass es noch am Vormittag des 20. April, wenige Stunden vor der Explosion, auf der Deepwater Horizon zu einer erregten Diskussion zwischen Top-Ingenieuren von BP, Transocean und Halliburton kam. Denn die Liste der technischen Mängel war immer länger geworden. Ein Ersatz-Ventilsystem für den defekten Blowout-Preventer gab es nicht. Einfach weitermachen oder erst die Sicherheitsmängel beheben, lautete die entscheidende Frage.

    BP habe sich durchgesetzt sagt Professor Bea dem Fernsehsender CBS. Mit unabsehbaren Folgen.

    Tatenlos müssen die Fischer zusehen, wie der Ölteppich von der doppelten Größe des Saarlandes die direkt vor der Louisiana-Küste liegenden Vogelschutzinseln einkreist.

    "Es kommt immer näher", sagt resigniert eine Fischerin.

    "Das ist hier wirklich eine ernste Geschichte, jeder hofft das Beste", meint ein Krabbenkutterbesitzer aus Venice. Während sein Freund murmelt: 'Mach Dir keine Illusionen'.

    "Die Ölpest wird unser Leben hier verdammt hart machen."

    "Wir stehen schließlich am Ende der Nahrungskette", sagt der Austern- und Krabbenfischer.

    "Das Öl verseucht erst das Meer und anschließend uns selbst." Angesichts der zunehmenden Wut der Fischer beeilte sich US-Präsident Obama zu erklären: Er teile deren Ärger und Enttäuschung.

    Und dann wendet sich Obama mit betont entschlossener Miene an die BP-Ingenieure.

    "Da läuft Öl aus und das müssen wir so schnell wie möglich stoppen",

    sagt der Präsident, der die Erteilung neuer Bohrlizenzen im Golf von Mexiko vorläufig gestoppt hat. Und der mittlerweile eines erkennt:

    "Eine Ölquelle rund 1600 Meter tief auf dem Meeresgrund zu verschließen, ist sehr schwierig."

    Obama hat durch die Deepwater-Horizon-Katastrophe hörbar
    dazugelernt. Kurz vor der Explosion der Bohrinsel hatte sich der US-Präsident noch ausdrücklich für neue Bohrungen im Golf von Mexiko ausgesprochen. Er lasse sich nicht von einer Anti-Öl-Ideologie leiten, sondern von wissenschaftlichen Erkenntnissen, betonte Obama.

    Förderplattformen seien heutzutage kein Verursacher von Ölverschmutzungen, sprach der US-Präsident.

    "Bohrinseln sind technologisch sehr weit fortgeschritten", sagte Obama, als habe er die modernste Insel namens "Deepwater Horizon" buchstäblich vor Augen. Und um nur ja keinen Zweifel an deren Umweltverträglichkeit aufkommen zu lassen, wiederholte der US-Präsident:

    "Ölverschmutzungen - zum Beispiel nach dem Hurrikan Katrina im Golf von Mexiko - kommen nicht von Bohrinseln. Sondern von veralteten Raffinerieanlagen."

    Fast wie ein Anwalt der Ölkonzerne und Plattformbetreiber sprach Obama. Sogar vor den Küsten Floridas und Teilen Alaskas wollte er in Zukunft Förderlizenzen verteilen. Und zwar über die Ölabteilung des US-Innenministeriums, das auch BP die Genehmigung für die tiefste Ölbohrung aller Zeiten im Golf von Mexiko erteilt hatte. Auf die gesetzlich vorgeschriebenen Umweltgutachten verzichteten die staatlichen Lizenzerteiler. Einwände von 13 Meeresforschern, das Projekt gefährde im Falle einer Ölverseuchung mit dem Mississippi-Delta eines der artenreichsten Regionen der Welt, wischte das Innenministerium beiseite.

    Dem Ministerium reichte es nach Informationen des Nationalen Radiosenders NPR völlig, wenn Ölkonzerne wie BP, Transocean oder Halliburton versicherten, die Sicherheitsausrüstung der Bohrinseln sei angemessen. Hauptsache, es wird gebohrt' hieß auch unter Obama die Ministeriums-Devise. Schließlich fließen dank der Öl-Lizenzen pro Jahr 13 Milliarden Dollar in die Staatskasse. Und einige Ministeriums-Mitarbeiter genossen sehr persönliche Zuwendungen der Ölindustrie, heißt es in einem staatlichen Untersuchungsbericht.

    Gemeinsame Kokain-Partys mit Repräsentanten der Ölindustrie waren jahrelang kein Einzelfall.

    "Zeit für eine deutliche Veränderung in der Ölabteilung des Innenministeriums", schrieben die Ermittler vor Obamas Amtsantritt in ihrem Untersuchungsbericht.

    Doch dazu wird es erst jetzt kommen, nach dem Drama der Deepwater Horizon, dessen Ende noch gar nicht abzusehen ist.

    Wie sehen die besten und wie die schlimmsten Szenarien für die unmittelbare Zukunft aus?, fragen ratlos die Fischer der Golf-Küste und die Abgeordneten im US-Kongress.

    "Lass die Experten mal machen, irgendwie werden die es schon hinkriegen",

    versucht sich ein Fischer aus der Mississippi-Stadt Biloxi zu beruhigen. "Und zwar in naher Zukunft."

    Doch da ist sich selbst BP gar nicht so sicher. Über ein Stahlrohr saugen die Experten zurzeit Öl aus der porösen Förderleitung am Meeresgrund ab. Ein erster Schritt, damit nicht weiterhin jeden Tag Hunderttausende oder gar Millionen von Litern Rohöl zusätzlich in den Golf von Mexiko strömen. Mit Zement versiegeln können die Ingenieure das Bohrloch erst Ende des Sommers. Doch zuvor wollen sie versuchen, die Ölquelle provisorisch zu schließen. Entweder mit einer schlammartigen Spezialflüssigkeit, oder durch ein bizarres Gemisch aus Golfbällen und Gummi aus Altreifen.

    "Wir bekämpfen das Öl überall: im tiefsten Wasser, an der Oberfläche und an der Küste",

    erklärt BP-Sprecherin Mackintosh den Fischern im stürmischen Hafen von Venice im Mississippi-Delta. Doch dieser Kampf macht den Fischern fast soviel Angst wie das Öl selber. Denn BP hat mittlerweile über zwei Millionen Liter Corexit 9500 in den Golf von Mexiko geleitet.

    Eine Chemikalie, die den Ölteppich in kleinere Teile aufspalten und so schneller zersetzen soll. Mit Erlaubnis der US-Umweltbehörde EPA wird Corexit zum ersten Mal massiv unter Wasser eingesetzt. Direkt an der Ölquelle. Hauptsache, möglichst wenig Öl dringt an die Wasseroberfläche und an die Küste. Hauptsache die Katastrophe bleibt unsichtbar, heißt die Devise der Katastrophen–Bekämpfer.

    Welche Langzeit-Konsequenzen hat dieser gewaltige Chemieeinsatz unter Wasser? Das fragt der Chef der US-Küstenwache Admiral Thad Allen. Und was bedeutet es, wenn ein Teil des Ölteppichs wegen des gewaltigen Chemieeinsatzes nicht an die Wasseroberfläche aufsteigt, sondern zwischen Meeresgrund und Wasseroberfläche hin und herdriftet? Fragen, auf die es keine Antwort gibt.

    "Wir machen das zum ersten Mal", sagt der Chef der
    US-Küstenwache. Es sei ein Versuch am lebenden Objekt. Und erst die Zukunft werde zeigen, ob man die Ölpest unter Wasser damit noch verheerender gemacht habe. Schon jetzt zeigen Wasserproben, dass der Sauerstoffgehalt im Golf von Mexiko wegen des gewaltigen Öl- und Chemiecocktails dramatisch abnimmt. Plankton und andere Mikroorganismen werden dadurch geschädigt. Wale und Delfine, die durch Quadratkilometer große Unterwasserschwaden von Öl schwimmen, drohen keine Nahrung mehr zu finden. Und die Fischer von Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida auf unabsehbare Zeit arbeitslos zu bleiben.

    "Wir zahlen hier nur die Rechnung für den american way of life", sagt Amerikas Publizist Bill Maher. Schon vor 40 Jahren habe man den Ausstieg aus der Ölgesellschaft diskutiert. Geschehen sei nichts.

    Und solange Amerika weiter auf das Öl fixiert sei, werde sich nichts ändern. Und die nächste Deepwater-Horizon-Katastrophe sei nur eine Frage der Zeit.