Das sieht lecker aus. Avocado-Creme mit Gurken-, Möhren- und Paprikastreifen, Hummus, begleitet von frisch gebackenen Teigfladen.
"Das ist Käse-Spieß, das ist Gemüse-Käse-Muffin, das ist Börek mit Schafskäse gefüllt."
Ein koscheres Büffet in den Räumen des Zentralrats der Juden in Berlin-Mitte. Die wichtigste Frage gleich am Anfang: Alles was koscher ist, ist auch halal?
Klar, sagt Roland Krichel und nickt.
"Alle koscheren Produkte gelten in der islamischen Welt auch als halal. Die koscheren Regeln sind viel strenger als die Halal-Regeln, da geht es nur darum, bestimmte Produkte zu vermeiden wie Schweinefleisch. Was wirklich vom Rabbi abgenommen wurde, der Rabbi muss ja seinen Segen dazu gegeben haben, das ist immer halal." – "Das ist für einen solchen Workshop also praktisch?" – "Ja, total praktisch."
Digital aktive Muslime und Juden treffen aufeinander
Digital aktive Muslime und Juden sind eingeladen zu diesem Workshop, dazu gehört auch Roland Krichel. Ein bärig wirkender Typ mit Vollbart, dunkelgrüner Kappe, grün-kariertem Holzfällerhemd, Cargo-Hose und Bauchtasche. Darauf ein Davidstern – abnehmbar. Denn nicht immer und überall will sich Krichel als Jude zu erkennen geben. Sicherheitsberater ist er, Trainer für die israelische Selbstverteidigungsmethode Krav Maga und auch noch als Youtuber beim Kanal "Jew and me" unterwegs. Seine Mission:
"Wir müssen das Verbindende finden. Das, was uns nicht trennt, das was uns zusammenführt. Was uns zu guten Menschen macht. Was uns zu besseren Menschen macht. Was uns bereichert, uns positive Gefühle und Glück bringt."
Roland Krichel aus Ratingen lernt an diesem Tag die muslimische Bloggerin Vanessa Tanriverdi kennen. Sie hat sich ein schwarzes Baumwolltuch kunstvoll um die Haare geschlungen, rechts und links lugen zwei Perlenohrringe hervor – mit diesem Turban gibt sie sich als Muslima zu erkennen. Die 28-jährige zweifache Mutter aus Essen schreibt einen Mama-Blog namens Dattelbeere. Dort verkauft sie Keksausstecher in Moschee-Form, gibt Anleitungen zum Basteln von Geschenkboxen zum Opferfest und argumentiert, warum Muslime kein Halloween feiern sollten. Ihre Mission:
"Da ich konvertiert bin und in Deutschland lebe, finde ich es auch total wichtig, dass Menschen, die so wie ich sind, interreligiöse Arbeit leisten und dafür sorgen, dass ein Dialog stattfindet."
Die muslimische Bloggerin und der jüdische Kampfsportler und Youtuber sitzen nun mit einer Zeichnerin, einem Filmemacher und anderen digital Affinen um einen Konferenztisch. Darauf Zeichenblöcke und Filzstifte.
"Wer braucht etwas zu schreiben, oder wer möchte einen Block?"
Die Aufgabe: einen Mini-Erklärfilm konzipieren, der klar macht, warum ein Dialog zwischen Muslimen und Juden dringender ist denn je.
"Dass am Ende rauskommen soll, dass wir viel mehr Gemeinsamkeiten haben zum Beispiel."
Gemeinsamkeiten der Religionen herausarbeiten
Wie wollen wir eigentlich die beiden Seiten darstellen? Mit dieser Frage beginnt die Debatte. Abstrakte Figuren? Mit Davidstern und Halbmond? Zuerst die Stereotype bedienen, um sie danach zu zerstören? Gar nicht so einfach.
"Dann würden wir den orthodoxen Juden zuerst zeigen, und den Banker, und auf der anderen Seite den Dönerspieß-Mann. Völlig brutal überzeichnet. Hut und lange Locken. Und dann findet man doch zusammen." - "Humoreinstieg finde ich eine sehr gute Idee."
Noch eine Idee: Beide Seiten bauen eine Mauer, Juden und Muslime schotten sich ab.
"Und dann reicht vielleicht einer dem anderen einen Stein rüber, weil der fehlt." - "Super Humor." - "Und dann reicht der den so rüber, okay, cool, okay, wenn Du mir einen Stein gibst, dann bau ich da eine Tür rein." - "Geile Mauer, man kann ja durchgehen." - "Kluger Trick."
Während die Entwürfe für den Animations-Film aufs Papier geworfen werden, kommt Dmitrij Belkin vom Zentralrat der Juden vorbei. Er leitet das Projekt "Shalom Aleikum". Nicht nur das. Der promovierte Historiker brennt dafür.
"Wenn es um mich persönlich geht, dann ist es ein Brennen für Begegnung mit normalen Menschen. Jenseits der Akademie, jenseits der eingefahrenen Diskurse."
Auch jenseits der ewig gleichen Schuldzuschreibungen im Nahost-Konflikt. So trafen sich bereits muslimische und jüdische Start-up-Unternehmer in Berlin, Jüdinnen und Musliminnen in Leipzig, Senioren in Osnabrück, in der nächsten Woche Lehrer in Köln.
Projekt soll auf längere Sicht wirken
Nicht alle Juden applaudieren mir, gibt Dmitrij Belkin zu.
"Und diejenigen sagen dann, oft auf Russisch, oft auf Hebräisch, oft aber auch auf Deutsch oder Englisch, was sollen wir diesen Dialog führen? Wozu führt das, wenn wir jetzt plötzlich unsicher sind? Ihr trefft Euch hier schön mit Leuten. Es wird gut gegessen, kommuniziert, geredet. Die Teilnehmer dieses Podiums werden uns nicht angreifen. Was dann, wenn ich abends unterwegs bin in dieser Stadt und plötzlich in der S-Bahn und so weiter."
Sprich: ein Dialog mit wohlmeinenden Muslimen wird nicht dazu führen, dass die Zahl der antisemitischen Angriffe sinkt. Nicht sofort, sagt dann Dmitrij Belkin. Aber die Muslime, die mit uns reden, wirken hinein in die Moscheegemeinden. Auf längere Sicht wirkt das.
"Je inoffizieller wir das machen und je entspannter und intensiver die Gespräche sind, umso besser für die Zukunft."
Der Workshop für Blogger, Youtuber und Influencer ist vorbei. In drei Wochen soll der Mini-Erklärfilm im Kino gezeigt werden. Juden und Muslime ziehen Bilanz.
"Dieser Dialog ist nicht immer freiwillig. Manchmal muss man die Leute zwingen, in den Dialog zu gehen." - "Damit das fruchtet, muss man sich öfter treffen und lokal arbeiten. Ich würde mir wünschen, dass es eine Gruppe in Frankfurt gibt." - "Sprechen statt Verstecken, das ist ganz wichtig, dass wir miteinander sprechen. Und deswegen sind wir ja auch hier."
"Es geht weiter."