Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv

Projekt "StoryCorps"
Digitales Archiv der menschlichen Weisheit

Warum ist die Schaffnerin in der Bahn so geduldig? Welche Erfahrungen haben Soldaten im Irak gemacht? Und wie ist es, sich als homosexuell zu outen? Solche alltäglichen Geschichten kann man bei "StoryCorps" hören - ein Projekt eines US-Journalisten, der mit seinem Team seit mittlerweile zehn Jahren den Alltag der Amerikaner aufzeichnet.

Von Simone Schlosser | 07.05.2015
    "Hi, my name is Paquita Williams. - My name is Laura Lane."
    Das Gespräch zwischen Paquita Williams und Laura Lane ist eines der beliebtesten auf der Internetseite StoryCorps. Die beiden Frauen haben sich kennengelernt, als sie gemeinsam für mehrere Stunden in einer New Yorker Metro fest steckten. Danach wollte Laura gerne mehr über die Schaffnerin Paquita erfahren. Zum Beispiel darüber, wie sie mit unfreundlichen Passagieren umgeht. Für die Afroamerikanerin gibt es darauf nur eine Antwort: Geduld.
    "Are most people nice? - For the most part. For the most part. There is times when the train breaks down people think it's my fault. But I think back on my Mum. I have three sisters and four brothers. And she had to be patient with all of us. That's why I'm able to be patient."
    Angefangen hat das Projekt des ehemaligen Radiojournalisten Dave Isay mit einem Stand mitten in Manhattan. Mittlerweile sind Mitarbeiter im ganzen Land mit mobilen Aufnahmekabinen unterwegs. In den vergangenen zwölf Jahren sind auf diese Weise mehr als 100.000 Geschichten entstanden:
    "Die meisten davon sind ganz normale Menschen, die aus ihrem Alltag erzählen. Aber wenn man diese Geschichten hört, dann hat man oft das Gefühl, einen besonderen Moment zu erleben."
    Einer der populärsten Teilnehmer ist Präsident Barack Obama. In einem Gespräch mit dem 18-jährigen Noah McQueen, der an einem Förderprogramm des Weißen Hauses für schwarze Jugendliche teilnimmt, spricht er mit ihm über dessen Herkunft. Den Präsidenten interessiert besonders die Beziehung des Jungen zu dessen Vater:
    "Did you know your Dad? - I do know my Dad, but you know, he's down the street. - You didn't really have a relationship with him? That's something we have in common. As I get older I start reflecting on how that reflected me. How do you think that reflected you? - You have to learn right or wrong on your own terms."
    "StoryCorps ist eine Art Anti-Reality-Show"
    In anderen Gesprächen berichten ehemalige Soldaten über ihre Erfahrungen im Irak, Homosexuelle erzählen von ihrem Coming-out, und ältere Paare sprechen über ihre Liebe. Manche dieser Interviews wirken abgedroschen oder kitschig, aber das liegt weniger an den Geschichten als an unseren Hörgewohnheiten:
    "Ich denke, dass wir diese Ehrlichkeit nicht mehr gewohnt sind, weil wir verlernt haben, zu unterscheiden, was echt ist und was Werbung. StoryCorps ist eine Art Anti-Reality-Show."
    Als digitale Stimmen-Sammlung ist StoryCorps außerdem ein Gegenentwurf zu den Sozialen Medien, in denen zwar jeder die Möglichkeit, täglich seine Geschichte zu veröffentlichen, doch die meisten davon bleiben in der Datenflut des Internets ungehört. Im vergangenen Jahr wurde der StoryCorps-Erfinder Dave Isay mit einem TED Award ausgezeichnet. Das Preisgeld hat er in die Entwicklung einer App gesteckt. Damit soll bald jeder weltweit die Möglichkeit haben ein StoryCorps-Interview aufzuzeichnen und hochzuladen. Auf diese Weise soll ein Archiv der menschlichen Weisheit entstehen:
    "Durch die Digitalisierung hat unsere Kommunikation an Bedeutung verloren. Wir möchten Gespräche sammeln und aufbewahren. Vielleicht können wir dadurch lernen einander wieder besser zuzuhören."