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Pronold: Ins rechtsradikale Horn stoßen

"Seit Mitte der 80er-Jahre, wenn es der CSU schlecht geht, wird sie ausländerfeindlich", konstatiert Bayerns SPD-Chef Florian Pronold. Horst Seehofer fahre eine rechtspopulistische Masche und versuche, einen Kulturkampf auszurufen. Das sei gefährlich.

Florian Pronold im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 12.10.2010
    Dirk Müller: Wir brauchen keine Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen. Mit diesem Satz hat Horst Seehofer wieder einmal die Gemüter gegen sich aufgebracht. Auch aus den eigenen Reihen hagelte es Kritik. Lediglich die Kanzlerin nahm den bayerischen Ministerpräsidenten in Schutz. Seehofer ist der Sarrazin der CSU, höhnte daraufhin die Opposition. – Mein Kollege Jürgen Zurheide hat darüber mit dem bayerischen SPD-Landeschef Florian Pronold gesprochen. Seine Frage: Freuen Sie sich, oder haben Sie Angst, dass die eigenen Anhänger möglicherweise wie in der Sarrazin-Debatte Horst Seehofer Recht geben könnten?

    Florian Pronold: Bei Herrn Seehofer habe ich überhaupt keine Angst, weil der Herr Seehofer wechselt ja öfters seine Meinung, als andere Leute ihre Unterhose, und bis vor kurzem hat die CSU sich bemüht um Zuwanderer und hat hier eine ganze Menge versucht zu machen, und jetzt merkt der Horst Seehofer, dass er sehr schlechte Umfragen hat, und greift auf ein altes CSU-Rezept zurück: Seit Mitte der 80er-Jahre, wenn es der CSU schlecht geht, wird sie ausländerfeindlich.

    Jürgen Zurheide: Jetzt hat er ja versucht, so ein bisschen zurückzurudern, hat zumindest gesagt, er meine das alles nur auf Fachkräfte bezogen. Die Bundeskanzlerin hat das auch so verstanden. Haben wir da was falsch verstanden, oder was haben Sie verstanden?

    Pronold: Also ich habe genauso wie viele aus der CDU wie aus der FDP, von der SPD und den Grünen verstanden, dass Horst Seehofer einfach eine rechtspopulistische Masche fährt und generell versucht, einen Kulturkampf auszurufen, und ich glaube, das ist in der aktuellen Situation das verkehrte. Wo es Probleme mit Migration gibt oder Integration, da muss man die Dinge positiv benennen, sagen, was man verändern kann, was man erwartet, aber pauschal Leute oder Religionen in einen Topf zu werfen, davon halte ich nichts.

    Schauen Sie, ich habe zusammen mit Django Asül, den manche vielleicht kennen, dem bekannten Kabarettisten, Abitur gemacht und Banklehre. Der ist besser integriert, trotz muslimischem Hintergrund, spricht besser Niederbayerisch als die meisten Niederbayern. Deswegen soll man die Leute anschauen und nicht ihnen Etiketten aufkleben.

    Zurheide: Halten Sie es für prinzipiell falsch, dass man über kulturelle Faktoren nachdenkt, ob es sie vielleicht gibt, die Integration begünstigen, oder möglicherweise auch erschweren?

    Pronold: Man darf über alles nachdenken. Ich halte es nur für gefährlich, wenn etablierte Politikerinnen und Politiker ins rechtsradikale Horn stoßen und unter dem Deckmantel vermeintlicher Probleme ganz billig auf Stimmenfang gehen. Immer wenn so was passiert, dann öffnet man auch eine Schleuse in der Gesellschaft und weckt Ressentiments, die vorhanden sind. Und ich bin einfach dafür, dass man nicht abstrakt diskutiert, sondern dass man sehr konkret sich die Menschen anschaut, und allein zwischen Niederbayern und Franken gibt es so große kulturelle Unterschiede, dass es auch schwierig ist, oft die unter einen Hut zu bringen. Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren ein hervorragendes Zusammenleben in Bayern mit allen Menschen, die hier sind, hinbekommen, und deswegen besteht überhaupt kein Grund, die Debatte zu verschärfen, sondern man muss Probleme, die vielleicht noch da sind, auch benennen und vor allem mit echten Lösungsvorschlägen.

    Zurheide: Was tut die Landesregierung denn da? Haben Sie da bestimmte Hinweise, vielleicht auch Vorwürfe, dass man nicht das tut, was notwendig wäre, um Integration voranzutreiben? Wir hören hin und wieder davon, dass es in Deutschland Bereitschaft gibt, zum Beispiel Sprachkurse zu machen, dass es aber nicht genügend Sprachkurse gibt. Wie ist die Lage in Bayern?

    Pronold: In Bayern dauert es neun Monate, bis jemand, der einen Sprachkurs oder Integrationskurs machen will, überhaupt dran kommt. Das ist natürlich viel zu lang, und solange das so ist, tut man sich, glaube ich, sehr schwer, an die, die kommen, Anforderungen zu stellen, wenn wir selber noch nicht darauf vorbereitet sind. Seehofer macht jetzt gerade einen Sparkurs, der zehn Prozent über alle Haushalte geht und natürlich dann auch genau die Themen, die wir jetzt behandeln, entsprechend negativ beeinflussen wird.

    Oder schauen Sie eine andere Sache an: Wir diskutieren derzeit im Deutschen Bundestag, wo sein Parteikollege Ramsauer das Projekt "soziale Stadt" kaputt macht. Mit dem Programm "soziale Stadt" haben wir in vielen großen Städten echte Integrationsleistung geschafft, weil wir eben nicht nur in Beton investiert haben, sondern auch in Integrationsprojekte, und genau dort, wo es funktioniert, genau dort wird jetzt der Rotstift angesetzt, und deswegen ist die Debatte auch ein Stück weit verlogen.

    Zurheide: Vielleicht hat Herr Seehofer ja versucht, Ihrem Parteimitglied oder noch Parteimitglied, muss man sagen, Sarrazin ein politisches Angebot zu machen. Können Sie das ausschließen?

    Pronold: Also wenn Herr Sarrazin das annimmt, wäre er, glaube ich, ganz gut aufgehoben in der CSU, aber ich glaube, dass die Debatte einfach an zwei ganz unterschiedlichen Stellen stattfindet. Der Sarrazin hat in seinem Buch ja mit vielem Recht, wo es Probleme in der Integration gibt, aber das Zweite, was er macht, ist, merkwürdige Thesen zur Vererbung aufzustellen und gleichzeitig so tolle Lösungsansätze zu bieten, dass Frauen, die unter 30 sind, aus der richtigen Schicht kommen und Kinder in die Welt setzen, 50.000 Euro vom Staat bekommen sollen. Diese These ist so gut wie kaum veröffentlicht und besprochen. Ich glaube, dann würde die Zustimmung sehr schnell sinken und man sieht, dass man wirklich sich um die Probleme kümmern muss und nicht um solche komischen Bücher.

    Zurheide: Wie will die SPD denn, um mal positiv zu fragen, Zuwanderung gestalten? Was muss da passieren, denn Sie haben ja auch gesagt, es gibt Defizite und die sind ja nicht zu bestreiten?

    Pronold: Vielleicht zur Erinnerung: Wir waren die erste Partei, die gemeinsam mit den Grünen überhaupt gesagt haben, wir sind ein Einwanderungsland und wir kümmern uns. Wir haben das Erfordernis der Sprache, bevor jemand zuwandert, und und und. Wir haben da eine ganze Menge gemacht und trotzdem gibt es Menschen, die hier seit ein, zwei oder drei Generationen leben, über die man sich nicht gekümmert hat, auch in Bayern nicht gekümmert hat, und das muss man jetzt dort, wo es noch Probleme gibt, nachholen. Aber der Punkt ist doch, dass 90 Prozent der Menschen, die hier leben, perfekt integriert sind. Ich habe das Beispiel von Django Asül ja bereits benannt. Da gibt es eine ganze Menge.

    Und ich finde, man muss dort, wo es Probleme gibt, erstens klar machen, es gibt Regeln, die gelten für alle, unabhängig davon, woher er kommt, und das Zweite ist, dass man eben so was angeht, wie wir jetzt gerade vorher besprochen haben. Wenn nicht genügend Sprachkurse zur Verfügung stehen, dann muss man halt das Angebot entsprechend aufstocken. Es kann doch nicht sein, dass wir alle davon reden, wie schwierig die Lage ist, und dann fehlt es an ein paar Hunderttausend Euro, um diese Angebote zu machen, während man andererseits Milliarden hinterherwerfen kann irgendwelchen Hoteliers oder großen Banken.

    Müller: Mein Kollege Jürgen Zurheide im Gespräch mit dem bayerischen SPD-Chef Florian Pronold.