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Prostitution in Italien
Katholiken für Bordelle

In Italien sind Bordelle verboten. Vielen Prostituierten bleibt nur der Straßenstrich, wo sie Kriminellen schutzlos ausgeliefert sind. Die Situation hat dramatische Ausmaße angenommen. Jetzt fordern nicht nur politische Parteien eine Gesetzesreform, sondern auch Teile der katholischen Kirche.

Von Thomas Migge | 12.01.2018
    Papst Franziskus bei der "Gemeinschaft Papst Johannes XXIII", die sich für Prostituierte einsetzt. Er traf dort auf Frauen, die aus der Zwangsprostitution befreit wurden.
    Papst Franziskus bei der "Gemeinschaft Papst Johannes XXIII", die sich für Prostituierte einsetzt. Er traf dort auf Frauen, die aus der Zwangsprostitution befreit wurden. (picture-alliance / dpa / Osservatore Romano )
    "Es ist genau 60 Jahre her: 1958 wurden in Italien die Bordelle geschlossen. Auf einen Schlag waren rund 2.700 Frauen arbeitslos. Sie verloren damit diverse soziale Absicherungen."
    Alessia Sisi ist Stadtführerin in Florenz. Sie führt Interessierte durch die Arnostadt - auf den Spuren weitgehend unbekannter Geschichten. Wie etwa die der Bordelle, von denen es im historischen Stadtzentrum von Florenz bis 1958 gleich zehn gab. Alessia Sisi:
    "Prostituierte waren durch den Staat geschützt. Sie zahlten wie auch die Bordellbesitzer Steuern. Der Staat bot den Frauen zum Beispiel kostenlose und regelmäßige Gesundheitskontrollen an. Es gab auch eine gesetzlich geregelte Ausbildung zur Prostituierten. Huren erhielten auch eine Pension."
    Bordelle verboten - Prostitution erlaubt
    Seit 60 Jahren gibt es in Italien keine Bordelle mehr. Der Sozialistin Angelina Merlin war es gelungen, eine parlamentarische Mehrheit für ihr Gesetzesvorhaben zu gewinnen. Umgehend wurden in Italien alle Bordelle verboten – nicht aber die Prostitution, sofern Frauen nicht ausgenutzt werden, etwa durch Zuhälter. Die Politikerin Merlin ging es um die Befreiung der Frauen von der Bevormundung durch Männer. Die katholische Kirche begrüßte damals die Verabschiedung des Gesetzes, und mit ihr auch ein Großteil der italienischen Bevölkerung.
    Das Ergebnis war aber eine neue Form von Prostitution, gegen die heute viele Italiener, politische Parteien und selbst katholische Geistliche protestieren.
    Wie etwa Don Aldo Bonaiuto von der katholischen "Gemeinschaft Papst Johannes XXIII." Bonaiuto bezeichnet die Zustände auf Roms Straßenstrich als "unmenschlich". Vorsichtigen Schätzungen der italienischen Caritas zufolge arbeiten hier mindestens 30.000 Mädchen und Frauen:
    "40 Prozent dieser Frauen sind Minderjährige. Jedes dieser Mädchen und jede volljährige Frau, ob minder- oder volljährig, macht diese Arbeit, weil sie ein Problem hat. Entweder weil sie dringend Geld braucht oder weil sie von Zuhältern dazu gezwungen wird. Das verletzt die Menschenwürde."
    Mit dem Segen der Kirche
    Und deshalb setzt sich die "Gemeinschaft Papst Johannes XXIII." für Prostituierte ein und fordert neue Gesetze - mit dem Segen ihrer Kirche. Die Zuhälterei, so Aldo Bonaiuto, habe in Italien erschreckende Ausmaße angenommen:
    "Der Staat tut viel zu wenig gegen Männer, die Frauen so ausnutzen, dass viele psychische Probleme bekommen. Das ist Misshandlung. In unserer Gemeinschaft kümmern wir uns um Aussteigerinnen. Um Frauen, denen die Ohren abgeschnitten wurden und die andere Folterspuren aufweisen, nur weil sie nicht genug Geld anschafften. Ich fordere die politisch Verantwortlichen dazu auf, mit mir die Frauen auf der Straße zu besuchen, damit sie sehen, was dort los ist."
    Bei Rimini etwa - entlang der Küstenstraße - arbeiten, so vermutet die Polizei, mindestens 2.500 Frauen. Viele davon sind Minderjährige aus Osteuropa - nach Italien gebracht von Schleppern. Die Zuhälter wiederum gehören zumeist zur albanischen Mafia. Immer mehr Prostituierte kommen auch aus Afrika: Ohne Ausweispapiere und Aufenthaltsgenehmigung sind sie den Zuhältern ausgeliefert. Sie versprechen den Frauen eine Aufenthaltsgenehmigung: wenn sie genug Geld anschaffen.
    Forderungen nach geregelter Prostitution
    Der katholische Geistliche Aldo Bonaiuto fordert deshalb, das Verbot von Bordellen aufzuheben. Eine Forderung, die inzwischen von immer mehr politischen Parteien unterstützt wird, von rechts bis links. Wie etwa von Matteo Salvini, Chef der rechten Partei Lega Nord:
    "Dieses Gesetz ist vollkommen überholt. Unsere Realität ist doch die: überall Straßenprostitution, sogar in der Nähe von Schulen und Kindergärten. Die Prostitution muss von unseren Straßen verschwinden. Sie muss wie in Deutschland geregelt werden: Prostituierte sollten Steuern zahlen wie alle anderen arbeitenden Menschen."
    Das Gros der Italiener steht hinter solchen Forderungen. Viele wollen jenen Zustand zurück, an den der Historiker Nicola Fontana aus Rovereto erinnert:
    "Mitte des 19. Jahrhunderts, nach der italienischen Staatseinigung, als auch der Einfluss der katholischen Kirche zurück gedrängt wurde, war die Prostitution offiziell akzeptiert. Verbunden damit war die ständige Kontrolle durch die Polizei und durch Ärzte. Prostituierte durften ausschließlich in Bordellen arbeiten - und die wurden 'Häuser der Toleranz' genannt."