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"Protektionismus ist ein süßes Gift"

Der Vorsitzende der ASEAN-Delegation im Europaparlament, Hartmut Nassauer, hat die EU-Kommission aufgefordert, die Quotenregelung für Textilimporte aus China abzuschaffen. Europa könne sich nicht auf Dauer vom Weltmarkt abkoppeln, sagte der CDU-Politiker. Dieser Protektionismus sei falsch. Viele deutsche Unternehmen hätten sich auf die Freigabe der Importe eingestellt und in China Kleidung geordert, betonte Nassauer.

    Meurer: "Made in China!" Immer häufiger tragen Hosen, Pullover oder Blusen in den Regalen der Warenhäuser und der Geschäfte diesen Aufdruck auf dem Etikett. Der Grund dafür ist, dass zum Jahresanfang der Import von Kleidungsstücken aus China von der EU freigegeben wurde. Zum Leidwesen der Hersteller in Spanien, Italien oder Frankreich und auf deren Druck hin wurden dann im Sommer wieder Quoten eingeführt. Damit war das Chaos perfekt und jetzt hängen 70 Millionen Textilien aus China, vom Pullover bis zum Büstenhalter, beim Zoll fest. Kleidung, die der Handel größtenteils schon bezahlt hat. Die Branche ist deswegen in Aufruhr.

    In der EU kennen wir Milchseen und Rindfleischberge. Türmen sich jetzt auf Dauer auch noch Pullover und Hosen? Das habe ich heute Morgen Hartmut Nassauer gefragt. Er ist CDU-Europaabgeordneter und Vorsitzender der ASEAN-Delegation im Europaparlament.

    Nassauer: Ja, aber die "Milchseen" haben wir selber produziert und hier geht es um Ware, die importiert werden soll. Also das ist schon ein entscheidender Unterschied und deswegen müssen wir dort auch mit anderen Instrumenten agieren.

    Meurer: Liegt das Gemeinsame darin, dass es aber doch mit dem Verhalten der Europäischen Union zu tun hat, dass es jetzt dazu gekommen ist?

    Nassauer: Da haben Sie völlig Recht. Es ist ein Stück Protektionismus, das sich hier ausbreitet und seine nicht segensreichen Folgen entfaltet. Wir müssen einsehen, dass wir uns auf Dauer vom Weltmarkt nicht abschotten können. Der Versuch ist hier im Falle von China wieder mal unternommen worden. Protektionismus ist gewissermaßen ein süßes Gift, aber es heilt eben nicht.

    Um die Situation kurz zu schildern: Die Chinesen sind 2001 in die Welthandelsorganisation WTO aufgenommen worden und da hatten sich die Europäer ausbedungen, dass sie auf Textilien noch eine Weile lang Quoten festlegen dürfen, damit Europa nicht von Billigtextilien überschwemmt wird, mindestens in einer Übergangsphase. Die war zu Beginn dieses Jahres ausgelaufen und in der Tat hat sich sofort anschließend die Einfuhr von Textilien aus China sprunghaft erhöht: Größenordnungen bis 25 Prozent, zum Teil auch mehr. Daraufhin haben China und die EU im Juni vereinbart, die Quoten gewissermaßen wieder einzuführen bis 2007.

    Meurer: Wenn ich richtig sehe, war das der Sündenfall, die Quoten wieder einzuführen?

    Nassauer: Das exakt war der Sündenfall, denn insbesondere in Deutschland haben sich viele Unternehmen auf die quotenlose Zeit bereits lange vorher ordnungsgemäß eingestellt und haben geordert und jetzt bleiben ihre Lager leer. Nicht nur die Lager bleiben leer; es handelt sich auch um Ware, die sie nicht nur bestellt, sondern auch bezahlt haben. Interessanterweise sind Modewaren leicht verderblich. Sie sind erstens saisonal gebunden. Man kann nicht sagen na gut, dann verkaufen wir sie im nächsten Jahr. Dann sind sie eben aus der Mode. Deswegen kommen insbesondere deutsche Unternehmen – und zwar insbesondere solche, die sich auf die neuen Gepflogenheiten am Weltmarkt eingerichtet haben, die restrukturiert haben – jetzt in erhebliche Schwierigkeiten und deswegen kann es nicht so bleiben wie es ist.

    Meurer: Warum profitieren die Südeuropäer von den Quoten und die Deutschen leiden darunter?

    Nassauer: Weil die Südeuropäer sich anders als insbesondere jetzt die Deutschen nicht darauf eingestellt haben, noch nicht restrukturiert haben. Deutsche Unternehmen haben enge Kooperationen zum Beispiel mit Unternehmen in China, haben zum Teil ihre eigene Produktion dorthin verlagert und bei uns gleichzeitig Marketing und Vertrieb in Europa gestärkt. Man hat sich auf die neue Situation vorbereitet und das haben Unternehmen in Italien, Spanien oder Portugal unterlassen. Da geht es nicht, dass die, die sich gut vorbereitet haben, gewissermaßen den schwarzen Peter zugeschoben bekommen dürfen.

    Meurer: Als EU-Kommissar Peter Mandelson im Sommer den Südeuropäern nachgegeben hat und bei den Verhandlungen mit China, die ja sehr schwierig gewesen sind, wieder Quoten eingeführt hat, hat es da einen Versuch gegeben aus dem Europaparlament oder von der Bundesregierung, zu intervenieren und das zu verhindern?

    Nassauer: Es ist im Europaparlament darüber gesprochen worden. Wir haben das Thema mit spitzen Fingern angefasst und wir sind im Prinzip – jedenfalls die Gruppierung, die ich vertrete – gegen solche protektionistischen Maßnahmen, weil wir auf Dauer damit immer schlechte Erfahrungen machen.

    Meurer: Muss als Folge jetzt auch der Verbraucher in Deutschland höhere Preise für Kleidung bezahlen?

    Nassauer: Wenn es nicht gelingt, das Problem zu lösen und darum wird es in den nächsten Tagen gehen. Eine denkbare Lösung gewissermaßen auf die Schnelle wäre, dass man die Quoten für 2006 schon jetzt in Angriff nimmt und vor allem die Ware, die schon geordert und bezahlt ist, frei gibt. Dann muss man sich eben von dem Weg des Protektionismus und der Quoten wiederum entfernen, sich davon lösen. Anders kann das Problem insgesamt wohl nicht erfolgreich angegangen werden.

    Meurer: Halten Sie es denn für möglich, dass der Quotenbeschluss, der ja bis 2008 gilt, noch revidiert wird?

    Nassauer: Ich halte es für zwingend notwendig, dass das geschieht. Die Kommission muss einsehen, dass sie sich in der Erwartung, sie könne die Importe auf diese Weise steuern, einfach getäuscht hat. Das ist ja das, was wir im Augenblick erleben. Die Quoten sind jetzt schon übererfüllt. Außerdem gibt es da eine Menge praktische Probleme.
    Denken Sie sich ein Beispiel aus. Wir haben eine bestimmte Quote für Hosen. Wer vergibt denn nun die Anteile an welche Unternehmen und in welchem Verfahren? Das ist alles völlig ungeklärt und das ist insgesamt ein ziemlich unerträglicher Zustand.

    Meurer: Eine Möglichkeit – Sie sagten es – ist es, die Quote vorzuziehen. Was kann darüber hinaus geschehen? Glauben Sie, dass man die Quoten verändern kann?

    Nassauer: Ich glaube, dass man sie im Prinzip wieder zurückführen muss. Wir müssen in Europa – nicht nur in Deutschland, sondern eben auch in den südlichen Ländern – lernen, dass die Chinesen jetzt in der Welthandelsorganisation angekommen sind und dass damit die Möglichkeit, sich gegen sie zu verbarrikadieren, im Prinzip nicht mehr gegeben ist. Deswegen muss man sich darauf einstellen, auf die neuen Bedingungen, die im Welthandel gegeben sind. Dass dies möglich ist, das zeigen die deutschen Unternehmen. Die kooperieren sehr eng mit diesen Partnern aus China und das müssen die anderen mit allem Respekt eben auch lernen.

    Meurer: Wie schlimm ist im Moment die wirtschaftliche Situation für die deutschen Unternehmen?

    Nassauer: Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das sich auf diesen Markt spezialisiert hat, in seinem Import ausdrücklich und gezielt darauf gesetzt hat, dass ab 2005 keine Quoten mehr existieren, die große Mengen geordert haben und bezahlt haben. Die haben jetzt erstens diese Zahlungen geleistet und zweitens sind ihre Lager leer. Da wird es Insolvenzprobleme geben, wenn diese Probleme nicht gelöst werden.

    Meurer: Gibt es andererseits nicht auch in Deutschland Textilienhersteller, Bekleidungshersteller, die Schutz wollen vor billigen China-Importen?

    Nassauer: Das Problem ist uralt. Wir können auf Dauer mit den Produktionsbedingungen in China auf diesem Bereich nicht konkurrieren und wir werden von den Chinesen nicht erwarten können, dass sie ihre eigenen Produktionsbedingungen gewissermaßen den unseren hier angleichen, sondern wir müssen uns darauf einstellen, dass sich insoweit im Rahmen der Globalisierung die Bedingungen eben grundlegend verändern. Das haben viele ja höchst erfolgreich geschafft durch Kooperation und Arbeitsteilung zwischen Europa und vor allem Deutschland und China. Das hat ja funktioniert. Deswegen denke ich, dass im Prinzip kein Weg daran vorbei führt, dass die Kommission von diesem Pfad des Protektionismus wieder ablässt.

    Meurer: Streit um die Textilimporte aus China. Darüber sprach ich mit dem CDU-Europaabgeordneten Hartmut Nassauer.