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Protest gegen Freilassung des Anführers des "Blutsonntags von Vilnius"

Österreich hat vergangene Woche einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher vernommen und wieder freigelassen – trotz eines internationalen Haftbefehls. Michail Golowatow soll für den Sturm auf das Fernsehzentrum von Vilnius 1991 mit 14 Toten verantwortlich sein. Die baltischen Staaten sind wütend.

Von Tim Krohn |
    Die Schüsse fielen in der Nacht. Am 13. Januar 1991. Litauen hatte sich für unabhängig erklärt. Moskau wollte das mit allen Mitteln verhindern. Es gab kein Gas mehr, keine Lebensmittel – und dann rollten die Panzer. Albinas Kentra hat das alles gefilmt. Diese Nacht, sagt er, wird er nie vergessen.

    14 Menschen kamen in dem Kugelhagel ums Leben. Der Angriff der sowjetischen Armee ging als "Blutsonntag" in Litauens Geschichte ein.

    Gut 20 Jahre ist das jetzt her. Aber die Wunden sind längst nicht verheilt.
    Erst im vergangenen Jahr reichte Litauen einen internationalen Haftbefehl ein – gegen den Mann, der damals die sowjetische Spezialeinheit am Fernsehturm dirigiert haben soll. Sein Name: Michail Golowatow. Litauen steht unter Schock, sagt Außenminister Azubalis und vergleicht den früheren KGB-Mann Golowatow prompt mit dem serbischen General Radko Mladic. Litauen hätte ihn jetzt endlich vor Gericht stellen können, sagt der Minister. Wenn der EU-Partner Österreich das bloß nicht verhindert hätte.

    Azubalis umschreibt – nur noch halbwegs höflich, diplomatisch – die litauische Wut auf die Regierung in Wien. Denn dort am Flughafen wurde Golowatow in der vergangenen Woche tatsächlich festgenommen. Der 62-Jährige wurde noch im Transitbereich befragt, 24 Stunden lang saß er fest. Dann war er wieder frei! Wie kann das sein?

    ... sagt der österreichische Außenminister Spindelegger dazu.

    "Zur Kenntnis" nehmen – nein, das leuchtet den Litauern nicht ein, egal, was da am Flughafen möglicherweise schief gelaufen sein könnte. Regierungschef Kubilius spricht vor einer Missachtung der europäischen Solidarität. Seine Amtskollegen aus Estland und Lettland von einer bösen Überraschung. Alle drei wollen sich jetzt an die EU wenden.

    "Schande, Schande!" rufen die Demonstranten vor der österreichischen Botschaft. Sie halten Plakate mit dem Gesicht des Michail Golowatow hoch. "Wanted-Gesucht" steht da drauf. Einige zünden Kerzen an, 14 Stück – für jedes Opfer des Blutsonntags eine.

    Die, die hierher gekommen sind, wollen einfach nicht glauben, dass Österreich im Fall Golowatow ganz und gar unabhängig entschieden hat. Sie vermuten einen gehörigen politischen Druck aus Moskau. Auch wenn sich das nicht belegen lässt, davon sind die Leute hier einfach überzeugt – erklärt der Journalist Ceslovas Burbas dem österreichischen ORF.
    Burbas saß damals im Fernsehzentrum in Vilnius, als die Panzer kamen.

    Wie gesagt, 20 Jahre ist das jetzt her. Die Wunden in Litauen heilen nur langsam.