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Protest gegen Reformpläne der Regierung

Spengler: Rund eine Millionen Menschen hat am gestrigen Tag der Arbeit in Deutschland gegen die Reformpläne der rot-grünen Bundesregierung protestiert. Das sind laut DGB-Angabe doppelt so viel Demonstranten wie im Vorjahr. Bundeskanzler Schröder hatte trotz des Pfeifkonzertes auf der zentralen Kundgebung bei Frankfurt seine Reformagenda 2010 verteidigt. Heute gibt es sogar weitergehende Vorschläge aus dem Regierungslager. Angeblich plant Bundeswirtschaftsminister Clement, dass Arbeitslose künftig auch Minijobs annehmen müssen. Der Wirtschaftsminister ist nicht der Einzige der mit neuen Ideen aufwartet. Deutlich wurde gestern am 1. Mai: Zwischen den regierenden Sozialdemokraten und den DGB-Gewerkschaften knirscht es wie lange nicht mehr. Am Telefon begrüße ich den Parteienforscher und Politikwissenschaftler Wichard Woyke, Professor an der Universität Münster. Guten Tag, Herr Woyke!

    Woyke: Guten Tag, Herr Spengler!

    Spengler: Für wie stark halten Sie dieses Zerwürfnis zwischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften.

    Woyke: Es knirscht schon ganz schön. Das Zerwürfnis ist nicht nur ein gespieltes, sondern es geht hier ans Eingemachte. Die Bundesregierung ist hier nämlich gefordert, Maßnahmen durchzuführen, die sicherlich die Klientel der Gewerkschaften ganz stark treffen. Weshalb dieses Zerwürfnis sicherlich auch anhalten dürfte, geht daraus hervor, dass dies ja erst Maßnahmen sind, denen noch weitere folgen dürften.

    Spengler: Glauben Sie, dass die SPD von diesem Zerwürfnis eher gestärkt oder geschwächt wird?

    Woyke: Momentan wird sie natürlich geschwächt. Das ist situativ, und die Umfragen zeigen, dass die SPD wieder einen leichten Rückgang zu verzeichnen hat. Churchill hat einmal gesagt: 'Grausamkeiten müssen zu Beginn einer Legislaturperiode getan werden.' Wir befinden uns ja noch am Beginn einer Legislaturperiode. Wenn diese Maßnahmen greifen und diese Regierung erfolgreich sein wird, dann könnte sich das Ganze auch zu Gunsten der SPD ausweiten. Die Partei würde dann letztendlich gestärkt daraus hervorgehen. Das ist aber eine unbestimmte Angelegenheit.

    Spengler: Das wollte ich gerade sagen, denn es dauert wahrscheinlich länger. Dazu müsste die SPD Geduld aufbringen. Würden Sie Herrn Schröder raten, Kurs zu halten oder doch ein bisschen mehr auf die aktuelle Umfrage zu schauen?

    Woyke: In dieser Situation hat Schröder keine andere Chance, als Kurs zu halten. Schröder handelt zwar sehr oft situativ. Das haben wir immer wieder gesehen. Auch die Agenda 2010 ist ja keine langfristig angelegte politische Strategie gewesen, sondern sie ist kurzzeitig entstanden. Wenn Schröder nun mit dieser Strategie, mit dieser Agenda 2010 tatsächlich einknicken würde, dann hätte er keinerlei Gefolgschaft mehr zu erwarten, sowohl von seiner eigenen Klientel als auch von den Wählern. Dann wäre Schröder in der Tat am Ende.

    Spengler: Wenn er nicht einknickt und hart bleibt, droht ihm dann umgekehrt nicht die Gefahr vom linken Flügel, möglicherweise von einem, der aus der Versenkung aufzutauchen scheint, von Oskar Lafontaine?

    Woyke: Ganz sicherlich wird das Thema medial weiter besetzt werden. Die Frage ist jedoch, ob dieser linke Flügel tatsächlich so stark sein wird und ob er das Thema solange aktuell halten können wird. Lafontaine selbst versucht, so wie ich das einschätze, eine Art politisches Come-back. Allerdings ist er meines Erachtens nicht in der SPD auf dem Parteitag von den Delegierten so willkommen wie er sich das vorstellt. Lafontaine selbst versucht, so wie ich das einschätze, eine Art politisches Come-back. Allerdings ist er meines Erachtens nicht in der SPD und auf dem Parteitag von den Delegierten so willkommen, wie er sich das vorstellt. Seine Forderung, auf dem Parteitag reden zu wollen, wenn er die gleiche Zeit wie Schröder zur Verfügung gestellt bekäme, halte ich für schon für etwas anmaßend. Denn nach seinem Austritt aus der Bundesregierung, seiner Flucht aus der Partei mit dieser Forderung zu kommen, ist schon vermessen.

    Spengler: Sie glauben, dass der Fanclub Lafontaines sehr begrenzt ist.

    Woyke: Ich halte den Fanclub Lafontaines innerhalb der SPD für wesentlich begrenzter als innerhalb der Gewerkschaften und auch innerhalb der Medien.

    Spengler: Würde Sie eigentlich soweit gehen zu sagen, dass nur die SPD eine solche Reform wagen kann. Wären nämlich die Konservativen am Ruder und würden die das versuchen, wären doch die Gewerkschaften noch stärker auf der Straße als es jetzt schon der Fall ist.

    Woyke: Ja, natürlich spricht sehr viel dafür, dass gerade eben eine sozialdemokratische Partei solche Maßnahmen viel eher durchsetzen kann als eben eine konservative, weil dann in der Tat die Gewerkschaften auf der Straße demonstriert hätten und eine konservative Regierung in Bedrängnis gebracht hätten. Das Problem ist nur, dass Schröder versäumt hat, seine Partei bei diesen notwendigen Maßnahmen auch emotional mitzunehmen. Wenn den wichtigen Parteigliederungen also die Strategie vor der Blut-Schweiß-und-Tränenrede angekündigt worden wäre, und man das vorher diskutiert hätte, wäre sicherlich der Widerstand innerhalb der Parteigliederung nicht so hoch gewesen.

    Spengler: Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Woyke.

    Link: Interview als RealAudio