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Proteste gegen Bouteflika
Paris und das heikle Problem Algerien

Er sitzt im Rollstuhl, kann kaum noch sprechen, aber er will am 18. April zum fünften Mal zum algerischen Staatspräsidenten gewählt werden. Doch der Protest gegen Langzeitherrscher Abdelaziz Bouteflika formiert sich nicht nur in Algerien, sondern auch in Frankreich. Für Paris ist das besonders heikel.

Von Bettina Kaps | 04.03.2019
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Tausende Algerier protestieren gegen die Wiederwahl von Abdelaziz Bouteflika in Paris auf dem Platz der Republik (Deutschlandradio/Bettina Kaps)
Viele Algerier haben sich in ihre grün-weiß-rote Landesflagge gehüllt, Eltern sind mit ihren Kindern gekommen, die Menge singt und skandiert aus vollem Hals: "Mörderbande", "Bouteflika hau ab" und "Diebesbande, ihr habt unser Land kahl gefressen".
Die 22-jährige Yamina studiert an der Pariser Sorbonne, weil ihr das Niveau algerischer Universitäten zu niedrig ist: "Wir kämpfen, um unser Land zu befreien. Natürlich waren wir sehr lange kolonisiert. Aber heute kolonisieren uns unsere eigenen Führungspolitiker. Damit muss jetzt endlich Schluss sein."
"Die Krankenhäuser in Algerien sind in einem katastrophalen Zustand. Die Schulen sind völlig herunter gekommen. Alles ist für die Führer, nichts für das Volk",
sagt Assia, die mit ihrer großen Tochter gekommen ist. Dank seiner Rohstoffe wie Öl und Gas habe Algerien einen Lebensstandard wie in Dubai oder Katar verdient, meint die 50-Jährige.
Aber die Frage, wer das Land denn künftig regieren solle, kann sie nicht beantworten.
"Bislang sehe ich da noch niemanden. Das Wichtigste ist, dass die jetzige Regierung endlich abhaut und Jüngeren Platz macht. Dann ist immer noch Zeit, die richtige Person zu finden. Bisher haben die Menschen zu viel Angst, sich hervor zu tun."
Aufbruch oder Sicherheit?
Taki Iver hat Algerien 2014 verlassen, als Abdelaziz Bouteflika seine vierte Amtszeit angetreten hat. In seiner Heimat habe er nicht mehr frei atmen können, sagt der 28-jährige Betriebswirtschaftler. Was jetzt in seinem Land passiert hat für ihn schicksalhafte Bedeutung,
"Ich bin sehr stolz, dass das algerische Volk aufwacht und politisches Bewusstsein entwickelt. Obwohl ich nicht glaube, dass wir uns jetzt schon durchsetzen werden. Aber auf dieser Protestbewegung können wir aufbauen."
Eine Algerierin protestiert in Paris
Dunia hat den Bürgerkrieg in Algerien erlebt. "Heute haben wir keine Angst mehr, es wird kein Blutvergießen geben in Algerien." (Deutschlandradio/ Bettina Kaps)
Am Rand des Platzes stehen allerdings auch einige ältere Menschen und beobachten das Geschehen mit sorgenvollen Gesichtern.
"Ich will Ruhe und Sicherheit in meinem Land. Bei uns kann selbst eine Frau gefahrlos von Osten nach Westen reisen. In Libyen oder im Irak gibt es keine Sicherheit mehr, weil sie die Leader, die starken Männer, gestürzt haben."
Seine Frau erinnert an die 1990er Jahre, als im algerischen Bürgerkrieg 150.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Auch sie betont die Stabilität im Land.
Macron in schwieriger Position
Je lauter die Regimegegner protestieren, desto auffallender wirkt das Schweigen der französischen Regierung. Das Thema ist heikel. Jegliche Stellungnahme würde der ehemaligen Kolonialmacht sofort als Einmischung ausgelegt werden, sagte der Historiker und Algerienkenner Benjamin Stora im französischen Rundfunk.
"Staatspräsident Macron steht vor einer unlösbaren Aufgabe. Einerseits würde er die Demokratie-Bewegung der algerischen Jugend möglicherweise gerne unterstützen, andererseits drohen jetzt viele Schwierigkeiten: Besonders gravierend ist das Problem des Terrorismus und der Krieg in Mali, wo Frankreich engagiert ist."
Die französische Armee hat im algerischen Nachbarland Mali 3.000 Soldaten stationiert, um islamistische Gruppen zu bekämpfen. Paris erhält zwar keine direkte algerische Unterstützung im Terrorkampf, ist aber auf die Neutralität der Regierung in Algier angewiesen. Auch die wirtschaftlichen Kontakte zwischen beiden Ländern sind eng: Algerien liefert zehn Prozent der französischen Gasimporte.
Falls die Proteste in Algerien eskalieren, könnte das eine große Migrationswelle auslösen – mit Folgen für ganz Europa.