Proteste der Jugend
Steht eine afrikanische Revolution bevor?

Seit Monaten demonstriert die junge Generation in Kenia gegen die Regierung. Die beispiellose Protestwelle ist mittlerweile auf Uganda und Nigeria übergesprungen. Kommt der afrikanische Frühling?

    Ein Jugendlicher hält die grün-weiße nigerianische Flagge in der Hand und schreit. Rechts neben ihm blickt ein weiterer Jugendlicher in die Kamera.
    Seit Anfang August protestieren in Nigeria vor allem junge Menschen gegen die Regierung. Inspiriert wurden sie dabei von den Protesten aus Kenia, die seit Juni anhalten. (picture alliance / NurPhoto / next24online)
    In Kenia, Uganda und Nigeria protestiert die junge Generation, sowohl die sogenannte Gen Z als auch die Millennials, gegen ihre Regierungen. Die Protestwelle begann im Juni 2024 in Kenia als Reaktion auf ein geplantes Steuergesetz, das mittlerweile vom kenianischen Präsidenten William Ruto zurückgenommen wurde.

    Inhalt

    Was war der Auslöser für die Proteste in Kenia?

    Im Mai 2024 wurde ein neues Steuergesetz im kenianischen Parlament vorgestellt. Unter anderem sollte es neue Steuern auf wichtige Lebensmittel und Güter wie Brot und Speiseöl geben. Der kenianische Präsident William Ruto sagte, dass diese zusätzlichen Steuern wichtig seien, um Kenias hohe Schulden zu senken. Anfangs protestierten vor allem Frauen, da die geplanten Steuern auch Periodenprodukte wie Binden teurer gemacht hätten. Diese sind für viele Frauen in Kenia ohnehin schon unerschwinglich.
    Vor allem die junge Generation reagierte empört und warf Ruto vor, die soziale Realität und die wirtschaftliche Notlage großer Teile der Bevölkerung nicht zu erkennen, erklärt Joachim Paul von der Heinrich-Böll-Stiftung in Nairobi. Steigende Lebenshaltungskosten, höhere Steuern, Rutos häufige Auslandsreisen und Korruptionsskandale in der Regierung verstärken die Frustration der Bevölkerung.
    Die Arbeitslosigkeit der 15- bis 34-jährigen liegt mittlerweile bei 67 Prozent. Selbst gut ausgebildete Menschen finden nach wie vor keine Jobs. Für viele junge Protestierende war das Finanzgesetz daher nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
    Am 18. Juni gingen die Proteste los, am 25. Juni stürmten die Demonstrierenden das Parlament in Nairobi. Die Polizei reagierte unter anderem mit Tränengas, Wasserwerfern und scharfer Munition.
    Seitdem halten die Proteste im ganzen Land an. Auch in kleineren Städten gehen die Menschen auf die Straße, und sind dabei friedlich. Doch die Polizei geht weiterhin hart gegen die Demonstranten vor.

    Was haben die Proteste bisher gebracht?

    Die Proteste zwangen Präsident William Ruto zu einer historischen Kehrtwende: Er nahm das Steuergesetz zurück, entließ sein Kabinett und versprach, verschwenderische Ausgaben zu kürzen. Zudem will er 47 staatliche Unternehmen auflösen, die Zahl der Regierungsberater halbieren und die Finanzierung der Büros seiner Frau und der Frau seines Stellvertreters einstellen. Auch Kenias Polizeichef trat bereits zurück.
    Professor Macharyam Monyenye von der Universität Nairobi beobachtet seit fast 40 Jahren Politik in Kenia. Diese Proteste seien anders als alles, was Kenia bisher gesehen habe, sagt er.
    „Das sind Leute, die gut ausgebildet sind und denen versprochen wurde, dass die Dinge besser werden. Jetzt sind sie aus der Schule, aber es ist nicht besser, sondern schlimmer. Und der Grund dafür sind nicht irgendwelche Naturkatastrophen, sondern eine inkompetente Regierung und schlechte Politik. Und darauf reagieren sie“, sagt Monyenye. Die besondere Stärke der Gen Z sei dabei, dass sie sich unabhängig von den etablierten Parteien und politischen Lagern mache. Sie hänge sich nicht an einzelne prominente Anführer.

    Soziale Medien werden zur Gefahr für die Regierung

    Dabei helfe ihnen, dass sie sich ausschließlich in sozialen Netzwerken organisierten, auf Instagram, TikTok, Twitter bzw. X und in WhatsApp-Gruppen. Ihre Proteste koordinieren sie unter den Hashtags #RejectFinanceBill2024 und #RutoMustGo. Viele Influencer und Prominente verbreiteten die Inhalte der jungen Generation über ihre Netzwerke.
    Mehrere Menschen protestieren mit pinken Trillerpfeifen auf der Straße. Sie halten die Flagge Kenias hoch, eine Person reißt die Hände in die Höhe.
    Seit Wochen protestiert die Gen Z in Kenia gegen die Regierung - und inspiriert damit auch andere afrikanische Länder. (picture alliance / Anadolu / Gerald Anderson)
    Junge Entwickler bauten KI-Tools, mit denen sie Regierungsversprechen mit tatsächlichen Ergebnissen abgleichen oder kommende Gesetzgebungen prüfen könnten. Darüber hielten sie die Öffentlichkeit auf dem Laufenden.
    „Es ist eine echte Kraft, die wir so noch nicht gesehen haben in der Politik. Die Menschen kommunizieren in Echtzeit miteinander. Wenn irgendwo etwas passiert, wissen es sofort alle und die ganze Welt“, sagt Monyenye. „Dadurch werden die sozialen Medien eine Gefahr für diese Regierung. Wie regiert man, wenn man diese Kommunikation nicht kontrollieren kann?“

    Was sind die Forderungen der jungen Generation in Kenia?

    Die Protestierenden wollen nicht nachlassen, bis Ruto zurücktritt, was bisher noch nicht geschehen ist. Zu ihren Forderungen gehören unter anderem eine unabhängige Untersuchung der Todesfälle von Demonstranten, eine Überprüfung der nationalen Schulden Kenias und die Bildung einer unabhängigen Wahlkommission. Es gibt auch Bemühungen, Abgeordnete vor den Wahlen 2027 abzuberufen. In einigen Wahlkreisen werden bereits Unterschriften gesammelt.
    Die jungen Kenianer sind ermutigt durch ihren neu gewonnenen Einfluss. „Es ist ein Wendepunkt in Kenias Geschichte. Die Jugend verhandelt ihre Staatsbürgerschaft neu und fordert mehr politische Rechenschaftspflicht“, sagte Nicodemus Minde, Sozialwissenschaftler am Institute of Security Studies in Nairobi.
    Er verstehe die Proteste nicht als einmaliges Ereignis. „Sie haben eine Saat ausgebracht, die vielleicht bei den nächsten Wahlen im Jahr 2027 Früchte trägt", so Minde.

    Warum sind die Proteste auf Uganda und Nigeria übergesprungen?

    Auch in Uganda und Nigeria organisieren sich die jungen Menschen in den sozialen Netzwerken und protestieren gegen die weit verbreitete Korruption, steigende Lebenshaltungskosten und den schamlos zur Schau getragenen Reichtum ihrer Eliten.
    Der ugandische Präsident Yoweri Museveni, der seit fast 40 Jahren autokratisch regiert, lässt seine Sicherheitskräfte hart durchgreifen. Allein in der ersten Protestwoche Ende Juli wurden 104 Personen festgenommen und angeklagt, heißt es in einer Pressemitteilung der ugandischen Polizei.
    Junge Menschen halten Plakate in der Hand. Auf einem steht: "Article 29: We are peaceful Protesters", übersetzt: "Artikel 29: Wir sind friedliche Demonstrierende."
    Auch in Uganda geht die Gen Z auf die Straße. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Hajarah Nalwadda)

    Landesweite Proteste in Nigeria

    Auch in Nigeria gibt es seit dem 1. August immer wieder Demonstrationen. Die nigerianische Regierung hat versucht, die jungen Menschen davon abzuhalten, an den geplanten Protesten teilzunehmen, aus Sorge, die Proteste könnten die Wirtschaft schwächen – doch ohne Erfolg.

    In welchen afrikanischen Ländern könnte es noch Proteste geben?

    Einige Medien schreiben bereits über einen „Afrikanischen Frühling“. Experten spekulieren über eine afrikanische Revolution. „Die wird es geben“, sagt Professor Macharyam Monyenye. Deshalb seien so viele Regierungen jetzt besorgt. Der Effekt dieser Demonstrationen sei zu groß. „Da ist etwas in Bewegung“, so Monyenye. "Wir sehen es in Uganda, wir sehen es in Nigeria. In Ghana bewegt sich auch etwas. Es geht also weiter an unterschiedlichen Orten und wird ein afrikanisches Phänomen.“
    Erfolgreicher Umbruch im Senegal
    Die junge Generation im westafrikanischen Senegal hat 2024 bereits einen großen politischen Umbruch erreicht. Durch massive Proteste, die vor allem von jungen Menschen getragen wurden, wurde der damalige Präsident Macky Sall gezwungen, auf seine verfassungswidrige Amtszeitverlängerung zu verzichten.
    Die Demonstrationen richteten sich nicht nur gegen seine Regierung, sondern auch gegen die wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von Frankreich, die durch die Währung Franc CFA symbolisiert wird, die noch aus der Kolonialzeit stammt und in mehreren west- und zentralafrikanischen Ländern genutzt wird.
    Unter dem Druck der Proteste verzichtete Sall auf eine weitere Kandidatur und ließ den Oppositionsführer Ousmane Sonko frei, der sich als scharfer Kritiker der Eliten, Verfechter von mehr Unabhängigkeit von Frankreich und Gegner der Korruption profiliert hat. Im März 2024 wurde schließlich der 44-jährige Oppositionspolitiker Bassirou Diomaye zum jüngsten Präsidenten in der Geschichte Senegals gewählt, was den Erfolg der jungen Generation zeigt, die den Wandel aktiv vorangetrieben hat.
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