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Proteste in Hongkong
"Besserwissertum kommt in Peking nicht an"

Die Studenten in Hongkong hätten Peking die Systemfrage gestellt, sagte Eberhard Sandschneider, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, im Deutschlandfunk. Und die Antwort darauf stehe noch aus. Der China-Experte empfiehlt jedoch, China in dieser Frage nicht offiziell zu rügen.

Eberhard Sandschneider im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 10.10.2014
    Eberhard Sandschneider, Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
    Eberhard Sandschneider (picture alliance / dpa / Dirk Enters)
    Vielmehr solle Angela Merkel im Hongkong-Konflikt auf ein vertrauliches Gespräch hinter verschlossenen Türen setzen und dabei für die Demokratie und die Menschenrechte eintreten, sagte der China-Experte Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Deutschlandfunk. Besserwissertum komme in Peking überhaupt nicht an - und bewirke im Zweifel das genaue Gegenteil der erwünschten Reaktion. China könne es nicht vertragen, wenn es öffentlich an den Pranger gestellt werde.
    Neben dem Hongkong-Konflikt werden auch die weltweiten Krisen Thema der Regierungskonsultationen sein, vermutete Sandschneider. Wo Pekings eigene Interessen berührt seien, werde sich China mit gehörigem Selbstbewusstsein als internationaler Partner präsentieren. Die deutsche Regierung solle dabei jedoch nicht davon ausgehen, dass quasi von vorneherein die Auffassungen Chinas deckungsgleich mit den Sichtweisen des Westens seien.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Es ist eine gewisse Ironie der Geschichte. In Leipzig erinnerte gestern alles, was Rang und Namen hat, an die friedliche Revolution in der DDR vor 25 Jahren. Einen Tag später wird der Regierung eines Landes der rote Teppich ausgerollt, die ebenfalls vor 25 Jahren ihre Demokratiebewegung blutig niederschlagen ließ und die jetzt, 25 Jahre später, erneut mit einer derartigen Bewegung konfrontiert ist. Die Rede ist von der Regierung Chinas. Ministerpräsident Li, der seit März letzten Jahres im Amt ist, der wird heute zu deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin erwartet, begleitet von einer rund hundertköpfigen Delegation.
    Die Demokratiebewegung in Hongkong wird auch eine Rolle spielen. Die für heute geplanten Gespräche zwischen Regierung und Opposition sind ja überraschend abgesagt worden. Das dürfte der Opposition wieder neuen Zulauf bescheren. Und auch die Befürchtung steht wieder im Raum, dass sie mit Gewalt niedergeschlagen werden könnte. - Am Telefon ist jetzt Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der China-Experte in Deutschland. Schönen guten Morgen, Herr Sandschneider.
    Eberhard Sandschneider: Schönen guten Morgen!
    Heckmann: Mit wie viel Sorge schauen Sie heute nach Hongkong?
    Sandschneider: Ja nicht nur heute nach Hongkong. Schauen Sie, wir haben in der letzten Zeit unsere Aufmerksamkeit ganz kurz auf Hongkong gerichtet, als die Situation wirklich zum ersten Mal kritisch war, als es auch Gewalt gegeben hat auf den Straßen von Hongkong, und dann gleich wieder weg, weil die Welt sich ja weiterbewegt und es in anderen Ecken auch schöne Themen gibt, die uns beschäftigen können.
    Hongkong ist aber nicht vom Tisch, nicht nur, weil da noch ein paar Hundert Studenten irgendwo auf den Straßen kampieren, sondern weil die Grundsatzfrage nicht geklärt ist. Da stößt ein westliches Prinzip auf ein chinesisches Prinzip, und diese Klärung steht aus und diese Klärung ist problematisch.
    Das westliche Prinzip heißt "One man, one vote", wir wollen Demokratie, jedes Individuum hat eine gleichberechtigte Stimme. Das chinesische Prinzip - übrigens kein kommunistisches, sondern ein Jahrtausende altes Prinzip - heißt, nur eine starke Zentrale sorgt für Wohlstand der Menschen. Die beiden Dinge treffen in Hongkong aufeinander. Die Frage, wie sie sich klären lassen, ist völlig offen.
    Studenten in Hongkong stellen Peking die Systemfrage
    Heckmann: Eine Klärung steht aus, sagen Sie. Wie groß aber ist die Gefahr, dass diese Klärung mit Gewalt einher geht, dass die Machthaber in der Tat die Demokratiebewegung mit Gewalt versuchen, niederzudrücken?
    Sandschneider: Die Gefahr ist durchaus gegeben. Ich habe vor einigen Tagen schon einmal gesagt, die Studenten stellen Peking eigentlich die Systemfrage. Die Systemfrage heißt, wer bestimmt hier eigentlich. Und da steht Peking auf einem dezidiert anderen Standpunkt als die Menschen in Hongkong. Nun muss man da allerdings genauer hinschauen. Es sind Studierende, die getragen sind aus einer bestimmten Protestbereitschaft. Große Teile der Hongkonger Bevölkerung finden das gar nicht so toll, weil ihre Geschäfte beeinträchtigt werden, und sie sehen natürlich auch die schwindenden Umsätze und sind entsprechend kritisch eingestellt.
    Es wäre also falsch zu sagen, hier steht Hongkong auf gegen die mächtige Zentrale in Peking. Das ist eine in sich hoch disparate Bewegung. Aber wenn eine Systemfrage an Peking gestellt wird, dann reagiert Peking üblicherweise ausgesprochen harsch, nicht nur, was unmittelbare Proteste angeht, sondern man muss auch die Frage stellen, ob man es aus Pekinger Sicht wirklich tolerieren kann, dass diese Studenten auch nur mit dem Hauch eines Erfolgs von der Straße gehen.
    Peking gibt in solchen Fragen nicht nach
    Heckmann: Das heißt, Sie würden Peking gar nicht dazu raten, da nachzugeben?
    Sandschneider: Das ist keine Frage des Rates. Es ist eine Frage der Beobachtung. Peking gibt in solchen Fragen nicht nach, und zwar durchaus verständlich, aber nicht entschuldbar deswegen im Hinblick auf die generelle Stabilität in China.
    Wenn sich da in Hongkong plötzlich Dinge tun, die über moderne Medien schnell auch auf dem chinesischen Festland Verbreitung finden, dann wird man aus Pekinger Sicht sicherlich damit rechnen müssen, dass das an anderen Stellen des riesigen Landes auch ausbricht. Das ist nicht im Interesse der Regierung; deswegen muss man vorsichtig sein.
    China nicht öffentlich "an den Pranger stellen"
    Heckmann: Der Studentenführer Joshua Wong, der hat sich über die "Bild"-Zeitung, die heute erschienen ist, an die Bundeskanzlerin gewendet, und ich zitiere mal, was er gesagt hat. Er hat gesagt: "Nur wenn Deutschland, Europa und die ganze Welt Druck auf China machen und für uns Solidarität zeigen, haben unsere Proteste eine Chance. Ich denke, dass ein Land wie Deutschland sich für Demokratie und Freiheit einsetzen sollte und das auch mit deutlichen Worten ansprechen kann. Wir haben bisher zu wenig Unterstützung von Politikern aus dem Westen bekommen."
    Soweit der Studentenführer Joshua Wong heute in der "Bild"-Zeitung. Würden Sie Angela Merkel raten, das zu ändern?
    Sandschneider: Nein! Öffentliche Ratschläge an die chinesische Regierung in solchen Situationen führen immer zu ganz klaren öffentlichen Absagen. Wenn sie etwas bewerkstelligen will, dann muss sie das hinter verschlossenen Türen tun, dann muss sie das in einem vertraulichen Gespräch tun. Sie hat mittlerweile diese Form der vertraulichen Zusammenarbeit mit der chinesischen Führung erreicht, denke ich mal, nach all den Jahren und den vielen Besuchen in China. Aber wenn sie es öffentlich macht, wenn sie versucht, China an den Pranger zu stellen, dann reagiert China entsprechend abwertend.
    Im Übrigen muss man zu diesem Zitat sagen: Das ist nett, dass ein Studentenführer so was sagt. Die Ziele dieser Studentenbewegung muss man sich sicherlich noch einmal etwas genauer anschauen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das westliche Ausland sich im Sinne von mehr Demokratie wagen zugunsten dieser Studenten verwendet, ist einigermaßen gering.
    Da darf man keine Wunder erwarten
    Heckmann: Das heißt, es war schon ein Fehler von Bundeskanzlerin Merkel, dass sie gesagt hat und gemahnt hat, die Meinungsfreiheit in Hongkong müsse weiter garantiert werden, so wie es im Gesetz steht.
    Sandschneider: Nein! Nein, natürlich nicht. Das muss die deutsche Bundeskanzlerin erstens sagen. Zweitens muss sie es sagen dürfen. Drittens sollte sie es auch sagen. Aber man darf das nicht verwechseln mit einer direkten Ansprache der chinesischen Regierung nach dem Motto, wenn ihr das nicht ändert. Diese Form des Besserwissertums, das fällt in China immer ausgesprochen schwer zu akzeptieren. Es ist auch eine Stilfrage, wie man in solchen Punkten mit China umgeht.
    Es geht am Ende - das ist ein wirkliches Grundprinzip - nicht darum, den Chinesen nach dem Mund zu reden, sondern es kommt darauf an, wie man eigene Interessen mit ihnen so verhandelt, dass es eine konstruktive Chance der Reaktion auf chinesischer Seite gibt.
    Heckmann: Aber zeigt die Erfahrung nicht, dass Kritik hinter verschlossenen Türen genauso wenig bewirkt? Wenn man sich jetzt die Menschenrechtslage anschaut, kann man doch in der Tat nur eine Verschlechterung der Lage konstatieren, oder?
    Sandschneider: Das gilt für China, das gilt für viele andere Länder in der Welt auch. Die Erwartungshaltung, dass öffentliche Kritik automatisch zu einer Verbesserung der Situation innerhalb bestimmter Zielländer führe, ist meistens etwas überzogen.
    Noch einmal: Es gilt für China, aber es gilt für Russland, es gilt übrigens genauso für die Ansprache der Menschenrechtssituation in den Vereinigten Staaten. Da darf man keine Wunder erwarten, nur weil eine deutsche Bundeskanzlerin Klartext spricht.
    Westliche und chinesische Interessen nicht immer deckungsgleich
    Heckmann: Sie haben Russland angesprochen, Herr Sandschneider. Russland fällt ja außenpolitisch als Partner derzeit komplett aus. Umso wichtiger möglicherweise wird die Rolle Chinas noch einmal. Die Stichworte Ukraine, Syrien, Islamischer Staat sind da zu nennen. Welche Rolle spielt Peking bei den internationalen Krisen?
    Sandschneider: Peking spielt Pekings Rolle. Wir dürfen nicht erwarten, eine chinesische Karte, wie man das früher einmal genannt hat, spielen zu können. Peking wird für uns überall dort in solchen internationalen Krisen zu einem Partner, wo Chinas eigene Interessen berührt sind und wo die Zusammenarbeit mit dem Westen dazu dient, diesen Interessen nach vorne zu helfen.
    Überall dort, wo das nicht ist, wird China für uns kein Partner sein. Es wird also keinen Automatismus geben nach dem Motto, wir tun das jetzt alles gemeinsam mit China. Gleichzeitig gilt: China wird in wachsendem Maße in allen globalen Fragen ein Spieler werden, weil das Land sich innerhalb der Globalisierung geöffnet hat und beispielsweise Interessen in der Ukraine hat. Chinesische Aufkäufer von Land in der Ukraine, Investitionen in der Ukraine, Militärkäufe aus der Ukraine, das alles macht die Ukraine auch für China zu einem spannenden Fall, wo man erwarten kann, dass die Chinesen sich in der einen oder anderen Weise auch mit Russland auseinandersetzen.
    Heckmann: Und China hat auch in Syrien, im Irak investiert, dort in der Ölindustrie, und hat insofern dort auch massive Interessen.
    Sandschneider: Selbstverständlich, und genau dasselbe gilt dann auch für das Engagement Chinas. Das Einzige was man nicht erwarten darf ist, dass aus diesem beobachtbaren Interesse heraus automatisch der Reflex entsteht, diese Interessen gemeinsam mit dem Westen umzusetzen. Das Selbstbewusstsein chinesischer Politik ist mittlerweile fast sprichwörtlich an dieser Stelle und nicht immer ist das, was Chinas Interesse ist, deckungsgleich mit dem, was wir als unsere Interessen definieren würden.
    Heckmann: Eberhard Sandschneider war das von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen heute in Berlin. Herr Sandschneider, danke für Ihre Zeit.
    Sandschneider: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.