Mittwoch, 24. April 2024

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Proteste in Hongkong
"Es wird wahrscheinlich schlimmer werden"

Der Politologe Stephan Ortmann zeigt sich besorgt über die Eskalation der Gewalt in Hongkong. Zum einen würden die radikalen Kräfte innerhalb der Demonstranten immer lauter, zum anderen sei eine militärische Intervention nicht ausgeschlossen, sagte er im Dlf. China wolle die Proteste anscheinend gewaltsam beenden.

Stephan Ortmann im Gespräch mit Sandra Schulz | 14.08.2019
Polizisten mit Schlagstöcken schreien Demonstranten im Hongkonger Flughafen an.
Die Demonstranten hätten das Vertrauen in die Polizei Hongkongs verloren, sagt Politiloge Stephan Ortmann, der in Hongkong unterrichtet. (AP viadpa/Vincent Yu)
Sandra Schulz: Die Entwicklungen in Hongkong sind in den letzten Tagen immer ernster geworden. Erneut legten die Proteste gestern den Flughafen lahm, wieder wurde der Check-in gestoppt. Im chinesischen Staatsfernsehen wurden Bilder von Panzern gezeigt und am Abend twittert US-Präsident Donald Trump von Truppenbewegungen, von Bewegungen chinesischer Streitkräfte hin zur Grenze zu Hongkong. Darüber kann ich in den kommenden Minuten sprechen mit dem Politikwissenschaftler Stephan Ortmann, am Departement für Asien und internationale Studien an der City University of Hongkong und uns jetzt zugeschaltet. Schönen guten Morgen!
Stephan Ortmann: Guten Morgen.
Schulz: Anfang Juli sind Sie bei den Protesten ja selbst noch mitgegangen. Trauen Sie sich das jetzt auch noch?
Ortmann: Das hängt davon ab, ob der Protest legal ist. Eigentlich kann man sagen, normalerweise kann man an Protesten schon noch teilnehmen. Man sollte nur gegen Abend oder später schauen, wenn die Studenten irgendwas geplant haben wie zum Beispiel eine Blockade der Straße oder die Polizei zu umringen, dass man dann am besten das Weite sucht oder großen Abstand nimmt zu den Protesten. Generell kann man noch und ich habe auch einige Proteste beobachtet, die auch nicht ganz legal waren.
"Gewalt auf beiden Seiten ist vorhanden"
Schulz: Was war Ihre Einschätzung der Situation gestern am Flughafen von Hongkong? Da hat es ja gewaltsame Auseinandersetzungen gegeben, wohl mit Gewalt auf beiden Seiten.
Ortmann: Die Sache ist jetzt so, dass die Gewalt auf beiden Seiten vorhanden ist. Das darf man nicht vergessen. Die Protestierenden waren auch verärgert, weil am Wochenende hat eine Frau ein Auge verloren. Da gab es Tränengas an einer U-Bahn-Haltestelle und so weiter. Die haben großes Misstrauen mittlerweile zur Polizei. Am Flughafen haben sie einige Leute identifiziert, die sie als Under Cover Polizisten angesehen haben, und die haben sie dann zusammengeschnürt und verschlagen, und dann ist auch die Polizei dagegen vorgegangen. Insofern besteht mittlerweile eine sehr ernste Situation hier, die weiter eskaliert, meiner Meinung nach.
August 25, 2018 - Munich, Bavaria, Germany - MARGARETE BAUSE of the Bavarian Greens. Under the motto of “Sea Rescue is NOT Negotiable”, over 1000 took to the streets of Munich to demand a stop to the criminalizations of sea rescues of stranded migrants and refugees in the Mediterranean Sea. Recent shifts in politics, particularly those brought about by Bavaria’s Horst Seehofer, Italy’s Salvini, Hungary’s Viktor Orban, and Austria’s Sebastian Kurz have resulted in rescue ships being denied port access and fuel, and resulted in the confiscation of the Mission Lifeline vessel, for which Claus Peter Reisch is on trial in Malta. Far-rightists claim the rescues amount to human trafficking, while analysts have produced studies that the rescues do not increase the amount of attempts to cross the sea. Since the beginning of 2018, at least 1,500 known deaths have taken place in the Mediterranean and resulted in massive criticisms of the European Union universal human rights policies. The UNHCR states at least 851 deaths in June and July alone- corresponding with Horst Seehofer’s “Masterplan Migration”. Also in attendance was Claus Peter Reisch, who is facing criminal charges in Malta for Mission Lifeline rescues |
Bause, Die Grünen: Proteste in Hongkong erinnern an die Situation vor 30 Jahren in China
Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die Proteste in Hongkong entspreche nicht der Gefährlichkeit der Situation, sagte die Grünen-Abgeordnete Margarete Bause im Dlf. Deutschland und auch die EU müssten sich deutlich auf die Seite der friedlichen Demokratiebewegung stellen.
Schulz: Nach Ihrer Einschätzung, wer protestiert da?
Ortmann: Es gibt verschiedene Arten. Unter anderem protestieren die Radikalen. Die sind ganz vorne dabei. Und es gibt auch weniger Radikale, die meistens im Hintergrund stehen und protestieren. Aber leider haben die Radikalen immer mehr Kontrolle über die Bewegung.
Schulz: Erklären Sie uns kurz: Die Radikalen, das sind die, von denen auch Gewalt ausgeht?
Orthmann: Ja, genau. Radikale sind die, die meinen, man müsse es stärker eskalieren, um wirklich Druck auszuüben auf die ganze Sache. Alles wird übers Internet ohne irgendwelche Führer diskutiert und die moderaten Stimmen können eigentlich kaum mitmachen, weil es bis jetzt überhaupt keine Kompromissbereitschaft der Regierung gab. Somit haben sie kein Argument gegen die Radikalen. Die Radikalen sind eigentlich sogar bereit, Hongkong niederzubrennen, wenn es nicht klappt. Das ist auch einer ihrer Sprüche, dass sie bereit sind, das Ganze hier kaputt zu machen, wenn das nicht anders geht.
"Das ist ein Propagandaversuch gewesen"
Schulz: Der Ausgangspunkt dieser ganzen Auseinandersetzung, dieser Proteste, das war ja dieses umstrittene Auslieferungsgesetz. Da hat Regierungschefin Carrie Lam ja schon vor einigen Wochen erklärt oder das für tot erklärt. Wie ist es zu verstehen oder zu begründen, dass man da eine Kompromisslosigkeit sieht? Das Vorhaben, um das ursprünglich gestritten wurde, das ist inzwischen ja zurückgenommen.
Ortmann: Ja, das ist ein kleines Missverständnis, und das ist auch ein Propagandaversuch gewesen, glaube ich, der Regierung. Die Leute wollten, dass es wirklich zurückgenommen wird, prozessual, dass man sagt, wir stellen das Gesetz ein, und das haben sie ja nicht gemacht. Sie haben nur gesagt, es kommt nicht mehr zur Debatte und es ist tot. Aber es gibt keinen rechtlichen Prozess, der das als tot bezeichnet. Mit anderen Worten: Da war Misstrauen gegenüber der Regierung, dass sie es nicht dann doch kurzfristig wieder auf die Agenda bringen und das durchbringen, weil im Parlament ist ja die Mehrheit da, um das Gesetz zu verabschieden.
Schulz: Was bringt es überhaupt, gegen die Regierung in Hongkong zu protestieren, wenn doch klar ist, dass Carrie Lam sicherlich auch keine freie Hand hat?
Ortmann: Eigentlich gehen ja die Leute davon aus, dass Hongkong einen hohen Grad an Autonomie hat und dass es möglich sein sollte, da das zu erreichen. Ich glaube, dass es in diesem Kontext stattfindet. Man hat ja in der Vergangenheit auch schon Erfolg gehabt mit Protesten. Darauf basiert das Ganze ja. 2003 hat man ein nationales Sicherheitsgesetz gestürzt und in 2012, glaube ich, einen nationalen Lehrplan dazu gebracht, dass die Regierung ihn zurückgezogen hat. Insofern hat man das Gefühl, dass man die Regierung schon beeinflussen kann. Im Prinzip denke ich auch, dass Carrie Lam was tun könnte. Allerdings könnte es sein, dass sie dann der Zentralregierung widersprechen müsste und dass das für sie gefährlich sein könnte. Das ist hier nicht ganz klar, wie das ist. Aber im Prinzip hat sie ja die Autorität beziehungsweise hätte sie schon gehabt, das Gesetz zurückzuziehen.
"Ich bin sehr stark besorgt"
Schulz: Ich verstehe Sie so, dass das große Thema, das große Problem ist, dass man jetzt eigentlich Pekings langen Arm schon zu stark spürt, obwohl es ja diese Garantien für Freiheiten noch eine ganze Zeit gibt, bis 2047. Woran merkt man diese Einschnitte?
Ortmann: Die Einschnitte sind eigentlich immer indirekt. Zum Beispiel hatten sie verschiedene Kandidaten, die zur Wahl aufgestellt waren, disqualifiziert, oder die wollten sich zur Wahl stellen und die haben sie disqualifiziert aufgrund ihrer politischen Meinung, weil sie zum Beispiel Selbstrechtfertigung, Self Determination oder so was in der Richtung wollten, was der chinesischen Regierung zu sehr in Richtung von Unabhängigkeit klang. Diese Leute wurden disqualifiziert, das hat zu großem Ärger geführt. Andere hat man aus dem Amt gehoben, nachdem sie eine Veranstaltung nicht richtig ernst genommen hatten oder diese als Protest benutzt hatten, und insofern ist es immer mehr in diese Richtung gegangen, dass man das Gefühl hat, die chinesische Regierung nimmt immer mehr Kontrolle über die verschiedenen Aspekte hier.
Schulz: Wenn wir jetzt noch mal den Bogen schlagen zur aktuellen Situation, zu den Protesten jetzt - Sie beobachten auch diese Rhetorik aus Peking sicherlich, diese Erklärung von Anfang der Woche, die da protestieren, das seien Terroristen. Wie besorgt sind Sie vor einer Eskalation der Gewalt?
Ortmann: Ich bin sehr stark besorgt. Die militärische Intervention ist ja nicht ausgeschlossen worden. Die chinesische Regierung möchte eine Hardliner-Position einhalten und die Proteste gewaltsam beenden anscheinend. Da die Proteste aber nicht weggehen werden, wird es wahrscheinlich schlimmer werden.
Schulz: Glauben Sie, die Entscheidung ist schon gefallen? Die Signale aus Peking waren ja durchaus auch widersprüchlich. Wir haben die Bilder von Panzern jetzt seit Tagen gesehen, gestern dann aber doch wieder eine Beruhigung der Situation. Glauben Sie, das ist schon klar?
Ortmann: Ich glaube nicht. Ich glaube, die zögern. Der Grund ist natürlich: Hongkong ist für sie sehr wichtig, weil es ja der Knotenpunkt ist zwischen Westen und China. Außerdem ist China ja im Augenblick im Handelskrieg mit den USA und Hongkong bietet da eine gewisse Ausweichmöglichkeit für die chinesische Regierung. Diese Ausweichmöglichkeit würde natürlich verschwinden mit dem Militäreingriff und wahrscheinlich würden die USA den Handelskrieg auf Hongkong ausweiten und es käme zu unvorhersehbaren wirtschaftlichen Auswirkungen für die chinesische Regierung in China und in Hongkong. Hongkong würde wahrscheinlich zu Ende sein, aber da Hongkong auch viel investiert ins Festland, könnte es daher weitgehende wirtschaftliche Konsequenzen haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.