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Proteste in Moskau
Russland wirft Deutscher Welle Einmischung vor

Die Proteste in Moskau dauern trotz Polizeigewalt an. Nun wirft das russische Außenministerium Ausländern vor, sich in die inneren Angelegenheiten Russlands einzumischen - und kritisiert dabei die Deutsche Welle.

Von Thielko Grieß | 06.08.2019
Das Foto zeigt russische Polizisten, die in Moskau einen Teilnehmer einer nicht genehmigten Kundgebung festnehmen.
Proteste in Moskau: Nun bezichtigt das russische Außenministerium den Westen, zur Teilnahme an den Demonstrationen aufgerufen zu haben (AFP / Vasily Maximov)
Die Sendung "Sonntagabend mit Wladimir Solowjow" gehört zum festen Programm des staatlichen Fernsehkanals Rossija 1. Ein Propagandaformat, das den Staatsapparat und dessen Handeln uneingeschränkt lobt. Wird ein Funktionär eingeladen, muss er keine kritischen Fragen fürchten.
Am vergangenen Sonntag nun war Marija Sacharowa zugeschaltet, die Sprecherin des russischen Außenministeriums.
Sie spricht von Einmischung des Westens: "Ich denke, das ist ein phänomenaler Ausrutscher westlicher Medien und Journalisten, als die Deutsche Welle in russischer Sprache den folgenden Aufruf veröffentlichte: Moskauer, geht auf die Straße! Stellen Sie sich vor: Moskau, geh' auf die Straße!"
Aufruf zur Demonstration oder neutrale Berichterstattung?
Auch das Außenministerium selbst erklärt in einem Schreiben an die Deutsche Welle, die habe "eindeutige Aufrufe zur massenhaften Teilnahme an unerlaubten Protesten veröffentlicht".
Der Sprecher der Deutschen Welle, Christoph Jumpelt, widerspricht: "Das ist absolut an den Haaren herbeigezogen. Die Berichterstattung über die Proteste, nicht nur an diesem Wochenende, sondern über den gesamten Zeitraum, den die schon laufen, ist selbstverständlich neutral und aus der reinen Perspektive des Berichterstatters."
Es bleibt aber unklar, worauf sich das russische Außenministerium genau bezieht, weil es die Vorwürfe nicht untermauert: "Ich gehe davon aus, dass Frau Sacharowa in ihren Äußerungen sich die Freiheit genommen hat, von uns zitierte Äußerungen der Demonstrationsorganisatoren unseren Redakteuren in den Mund zu legen, als redaktionellen Inhalt. Was das natürlich so nicht ist."
Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es nach Anfrage, die Pressefreiheit und Verantwortung zu unabhängiger Berichterstattung seien ein "hohes Gut".
Journalisten laufen Gefahr, festgenommen zu werden
Sacharowa legt in ihrem Fernsehauftritt außerdem nahe, die Deutsche Welle betreibe einseitige, von der Bundesregierung gelenkte Berichterstattung, weil sie direkt staatlich finanziert sei. Zwar erhält der Auslandsrundfunk seine Mittel direkt aus dem Bundeshaushalt, anders als etwa der Deutschlandfunk, doch Einseitigkeit lässt sich der Berichterstattung nicht vorwerfen.
Die Machthaber in Moskau dürfte viel mehr stören, dass die Deutsche Welle in russischer Sprache publiziert. Das fällt schon deshalb auf, weil russischsprachiger, guter Journalismus in Russland angesichts der Übermacht staatlich finanzierter Propagandasender selten geworden ist.
Wer als Journalist von den Protesten berichtet, muss allerdings inzwischen auch damit rechnen, festgenommen zu werden. Akkreditierungen und gültige Dokumente schützen nicht. Als ein Mitarbeiter der Deutschen Welle am vorvergangenen Samstag den Polizisten seine Akkreditierung zeigte, bekam er seiner Darstellung zufolge zur Antwort, sie sei "irgendein wertloses Dokument" – und dann wurde er festgenommen.
Druck auf Teilnehmer der Proteste bleibt groß
Die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, warf zudem der US-Botschaft in Moskau vor, zur Demonstrationsteilnahme aufgerufen zu haben. Die Botschaft veröffentlichte eine Warnung vor allem an amerikanische Staatsbürger, auf einer Karte auf Russisch gekennzeichneten Plätzen fern zu bleiben.
"Ich denke, die amerikanische Führung wird außerordentlich erstaunt sein, wie sich ihre Diplomaten in innere russische Angelegenheiten und Politik einmischen."
Währenddessen bleibt der Druck auf Teilnehmer der Proteste groß. Etlichen von ihnen soll der Prozess wegen Organisation von Massenprotesten gemacht werden. Dies kann mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden.
Einer der Inhaftierten ist Student einer der renommierten Wirtschaftshochschulen in Moskau. Andere Studenten wollten gestern ihre Solidarität mit ihm zeigen – mit Hilfe einer Ein-Person-Demonstration vor dem Innenministerium. Dabei darf ein Einzelner ein Plakat hochhalten. Mehr erlaubt das Versammlungsrecht nicht. Vier Studierende wurden dennoch festgenommen.