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Proteste in Rumänien
Letzte Hoffnung Klaus Johannis?

Eigentlich müsste der Chef der regierenden Sozialdemokraten in Rumänien mit dem Rücken zur Wand stehen. Seit dieser Woche ermittelt die Antikorruptionseinheit der Staatsanwaltschaft gegen Liviu Dragnea. Im ganzen Land wird gegen ihn demonstriert. Bislang hat ihm das nichts anhaben können - im Gegenteil. Eine Hoffnung aber bleibt.

Von Jörg Brandscheid | 15.11.2017
    Der Vorsitzende der rumänischen Sozialdemokraten, Liviu Dragnea.
    Der Vorsitzende der rumänischen Sozialdemokraten, Liviu Dragnea. (AFP/MIHAILESCU)
    Sie demonstrieren wieder, nicht nur in Bukarest sondern im ganzen Land. "Rumänien wach auf!" rufen sie. Es sind in diesen Tagen nicht so viele wie im Februar, bei den größten Massenprotesten seit Ende der Ceausescu-Ära, aber es geht erneut um Pläne der Regierung, den Kampf gegen die als Dauerproblem grassierende Korruption erschweren.
    "Massiver Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz"
    Diesmal geht es sogar noch um mehr. Richter und Staatsanwälte laufen jetzt Sturm gegen ein Gesetzespaket, in dem sie einen massiven Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz sehen. Die Regierung unter dem sozialdemokratischen Premier Mihai Tudose will die Ernennung von obersten Staatsanwälten und Richtern beeinflussen, indem sie den bisher dafür verantwortlichen, als objektives Gremium anerkannten hohen Justizrat schwächt.
    "PSD, die rote Pest" – für die Demonstranten steht fest, wer dafür verantwortlich ist, dass Rumänien im Korruptionssumpf zu versinken droht: die regierende, sozialdemokratische Partei PSD und allen voran ihr Vorsitzender Liviu Dragnea. Wegen Wahlbetrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, darf er selbst nicht Regierungschef werden. Zudem steht er wegen Amtsmissbrauchs vor Gericht. Jetzt ermittelt zudem die Antikorruptionseinheit der Staatsanwaltschaft, DNA, gegen Dragnea – weil er in seiner Zeit als Chef eines südrumänischen Regionalparlaments, einer von ihm kontrollierten Firma EU-Fördergelder zugeschanzt haben soll. Doch der Mann, der als Rumäniens mächtigster Politiker gilt, denkt nicht an Rückzug. Im Gegenteil: er droht jetzt damit, selbst Anhänger auf die Straße zu bringen.
    Es tobt ein Machtkampf in Rumänien. Die politische Machtelite auf der einen gegen eine noch funktionierende Justiz auf der anderen Seite, allen voran die Antikorruptionsbehörde DNA und deren Leiterin Laura Codruţa Kövesi. Diese Behörde hat dafür gesorgt, dass 34 rumänische Spitzenpolitiker wegen Korruption verurteilt wurden, darunter Ex-Premier Adrian Năstase. Nun sieht Kövesi ihre Behörde und das gesamte Justizsystem "unglaublichen Attacken" ausgesetzt.
    "Rumänien ist kein normales Land mehr"
    Der Politikwissenschaftler und Buchautor Ioan Stanomir sieht Rumänien in einer Konfrontation zwischen dem Modell des westlichen Kapitalismus und einer Oligarchie nach Vorbild des ehemaligen Ostblocks. Diese Oligarchie habe es geschafft, Rumänien in einem Zustand ewiger Unterentwicklung gefangen zu halten, lautet die wenig Mut machende Einschätzung des Professors.
    "In einem normalen Land wäre kein Platz für eine politische Anordnung wie wir sie in Rumänien haben. Bedauerlicherweise ist Rumänien aber ganz offensichtlich kein normales Land mehr, ich sage es mit großer Trauer. Das politische Überleben von Herrn Dragnea an der Spitze der Macht ist das deutlichste Zeichen des Abrutschens Rumäniens in die Abnormität."
    Dass es dazu nicht kommt, dafür könnte jetzt nur noch ein Mann sorgen: Staatspräsident Klaus Johannis, der 2014 mit deutlichem Ergebnis ins Amt gewählt wurde und mehr als eine moralische Autorität des Landes ist. Er könnte, sollten demnächst die umstrittenen Justizgesetze zur Unterschrift auf seinem Tisch liegen, ein Referendum darüber initiieren. Angekündigt hat er diesen Schritt bereits. Auch Politologe Stanomir setzt seine letzte Hoffnung auf den Präsidenten:
    "Der Präsident hat für die Stabilität Rumäniens zu garantieren. Seine Rolle ist in dieser Situation meiner Meinung nach eine doppelte: Er hat nachdrücklich den Abgang Herrn Dragneas von der politischen Bühne zu fordern, weil diese Person eine Beleidigung für den Anstand dieses Landes darstellt. Und der Präsident hat sich direkt an die Bevölkerung zu wenden, damit wir verteidigen können, was wir in den letzten Jahrzehnten mit sehr großen Anstrengungen erreicht haben."