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Proteste in Venezuela
Auf dem Fahrrad gegen die Panzer

130 Todesopfer haben die Proteste in Venezuela seit April schon gekostet. Jetzt könnte die Gewalt auf der Straße eskalieren, denn das von der Opposition dominierte Parlament soll noch in dieser Woche endgültig abgesetzt werden. Nachgeben will keine der Seiten.

Von Burkhard Birke | 02.08.2017
    Studenten in Venezuela protestieren gegen die Regierung von Präsident Maduro, August 2017.
    Studenten in Venezuela protestieren gegen die Regierung von Präsident Maduro, August 2017. (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    "Wir müssen weiter auf die Straße! Wir können doch nicht tatenlos zuhause bleiben. Wir müssen immer wieder raus protestieren."
    Keine toten Brüder mehr: Hat dieser Student auf sein ärmelloses weißes T Shirt geschrieben. Schwarzer Helm, das Gesicht total vermummt, ist er bereit, auch heute wieder zu demonstrieren. Die Opposition hat zum Protestmarsch auf das Parlamentsgebäude aufgerufen. Dort soll die umstrittene verfassungsgebende Versammlung noch in dieser Woche eingesetzt und – so wird gemutmaßt – das von der Opposition dominierte Parlament endgültig abgesetzt werden. Befürchtet wird, dass die Gewalt heute eskaliert. Seit der Wahl wirkt Caracas allerdings wieder geschäftig. Von vielen Barrikaden waren lediglich einige Reste zu sehen. Nur das übliche Chaos brachte den Verkehr zum Stehen. Eine trügerische Ruhe vor dem Sturm?
    Repression durch Willkür und Folter
    "Bis vor zwei Tagen waren uns 498 politische Gefangene gemeldet, Personen denen formal die Freiheit entzogen wurde, heute sind es schon 625."
    Unter ihnen auch wieder die prominenten Oppositionspolitiker Leopoldo Lopez und Antonio Ledezma, entmachteter Bürgermeister der Metropolregion, berichtet Menschenrechtsanwalt Alfredo Romero. Seiner Organisation Foro Penal gehören mehr als 200 Anwälte an, sammeln Informationen, die sich zu einem erschütternden Mosaik wachsender Repression durch Willkür und Folter zusammenfügen.
    Anwalt Alfredo Romero von der Organisation Foro Penal dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, die sich im Zuge der Proteste ereignet haben.
    Anwalt Alfredo Romero von der Organisation Foro Penal dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, die sich im Zuge der Proteste ereignet haben. (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    "Seit Beginn der Proteste am 1. April sind 5.058 Personen willkürlich festgenommen worden. 1.329 sitzen immer noch im Gefängnis. 527 von ihnen wurde vor Militärgerichten der Prozess gemacht, obwohl sie Zivilisten sind. Das ist eine schwere Menschenrechtsverletzung."
    Resümiert Alfredo Romero. Auf 130 sei die Zahl der Todesopfer angestiegen. 99 Personen seien während der Demonstrationen ermordet worden: nicht unbedingt nur durch Sicherheitskräfte, sondern auch durch Kriminelle im Auftrag des Staates. Die Repression wächst stündlich. Berichtet wird gerüchteweise von gezielten Einbrüchen und Handykontrollen.
    Gespaltenes Land
    "Es gibt einen großen Unterschied zwischen der Opposition und der demokratischen Revolution", erklärt indes der Journalist Adelis, der für die verfassungsgebende Versammlung gestimmt hat.
    "Es macht mich sehr wütend, dass sie das Land, dass sie Personen in Brand gesteckt haben. Die Revolution hat nicht reagiert, wir sind friedliebend."
    So gespalten das Land, so unterschiedlich die Lesart. Alle sprechen von Frieden und ziehen doch in eine Konfrontation. Es ist, als würden wir auf dem Fahrrad gegen Panzer rollen, beschreibt ein Oppositioneller die Kräfteverhältnisse. Venezuela wird vom Militär kontrolliert. Das steuert angeblich die Lebensmittel- und Devisenverteilung, sitzt an der Quelle und erklärte mit den Worten von Verteidigungsminister Padrino dem Oberbefehlshaber Präsident Maduro seine uneingeschränkte Loyalität im Land und vor allem gegen die Imperialisten, die Sanktionen verhängt haben.