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Protestwähler haben Linksbündnis gewählt

Für den Wirtschaftswissenschaftler Spiridon Paraskewopoulus ist völlig klar: Dem Linksbündnis wird eine Regierungsbildung nicht gelingen. In ein bis spätestens eineinhalb Monaten werde es Neuwahlen geben. Er hoffe, dass diese Regierung dann die Steuerhinterziehung wirksam angehe.

Spiridon Paraskewopoulus im Gespräch mit Martin Zagatta | 08.05.2012
    Martin Zagatta: Die Europäische Union, die schon Hunderte Milliarden in das marode Griechenland pumpt, sie zittert mit, denn nach der Wahl vom Sonntag haben die Parteien, die an den Sparauflagen festhalten wollen, auf der Insel keine Mehrheit mehr. Ein erster Versuch einer Regierungsbildung ist nach nur wenigen Stunden gescheitert. Nun darf es das Linksbündnis probieren, das am Sonntag zur zweitstärksten Kraft in dem Inselstaat geworden ist und den Sparkurs der EU ablehnt. Große Erfolgsaussichten werden aber auch ihm nicht eingeräumt.

    Verbunden sind wir jetzt mit dem Wirtschaftswissenschaftler Professor Spiridon Paraskewopoulus, der lange Jahre auch in Deutschland gelehrt hat. Guten Tag, Herr Professor!

    Spiridon Paraskewopoulus: Schönen guten Tag.

    Zagatta: Herr Paraskewopoulus, geben Sie diesem Linksbündnis überhaupt eine Chance, oder ist das ein völlig sinnloser Auftrag jetzt an die Linke da, eine Regierung zu bilden?

    Paraskewopoulus: Genau das ist es. Das ist ein sinnloser Auftrag, die werden keine Regierung zustande bringen. Die Zahlen sind zunächst eindeutig, aber auch die – Sie haben das im Bericht erwähnt – Kommunistische Partei will überhaupt nicht mitmachen, sie wollen die Revolution in Griechenland einführen, sie wollen, wenn ich das so ein bisschen sarkastisch sagen würde, Nordkorea in Griechenland einführen. Die Kommunisten haben 8,5 Prozent bekommen und das ist die Basis, was sie haben. Die wollen nicht mitmachen. In Deutschland zum Beispiel wäre diese Partei verboten, weil sie von vornherein sagt, sie will Revolution.

    Zagatta: Sie meinen jetzt die Kommunistische Partei, nicht dieses Linksbündnis?

    Paraskewopoulus: Die Kommunisten, ja, nicht das Linksbündnis.

    Zagatta: Wie ist das mit dem Linksbündnis? Das will, so habe ich gelesen, Banken verstaatlichen und tritt dafür ein, die Schulden nicht zurückzuzahlen. Ist das nicht sogar mehrheitsfähig in Griechenland?

    Paraskewopoulus: Nein. Ich meine, man kann das Ergebnis auch umdrehen. Er hat 16,8 Prozent, also knapp 17 Prozent bekommen. Das bedeutet, 83 Prozent der Griechen sind gegen ihn. Er hat zwar sein Ergebnis verdreifacht – er hatte, glaube ich, so um die sechs Prozent vorher gehabt -, aber das sind Proteste, die da sind, und frustrierte Leute. Im Bericht hatte man das auch gehört, die jungen Leute, die Arbeitslosen und so weiter. Aber das ist nicht die Lösung.

    Zagatta: Aber, um da noch nachzuhaken, das Linksbündnis ist ja immerhin zur zweitstärksten Kraft geworden – mit der Position, die Schulden nicht zurückzuzahlen. Das teilt ja offenbar eine Mehrheit der Wähler, auch wenn die Parteien da jetzt sehr zersplittert sind und nicht miteinander können. Was heißt das für die Zukunft in Griechenland? Wie geht es jetzt weiter?

    Paraskewopoulus: Ich meine, das ist nicht so ganz wahr, was da gesagt wird, die Griechen wollen die Schulden nicht zurückbezahlen. Es geht nicht darum. Die Griechen sagen mehrheitlich, die Schulden sind entstanden, weil die politischen Führungen von den zwei bisherigen Regierungsparteien, Pasok und Neue Demokratie, durch Korruption und alles mögliche entstanden sind. Das heißt, die Griechen wissen, dass zurzeit über 500 Milliarden Euro im Ausland sind, und in den letzten 38 Jahren, also nach der Diktatur, haben diese Parteien durch Korruption und alles Mögliche dazu geführt, dass dieses Geld Griechenland verlassen hat, und Griechenland hat bisher keine Einnahmen aus diesem Geld. Also man schätzt zwischen 20 und 30 Milliarden pro Jahr die Steuerhinterziehung von diesen Leuten. Deshalb sagen über 80 Prozent der Griechen, wenn man dieses Geld zurückholen würde und diese Leute heranziehen würde, dann hätte man kein Problem gehabt, und das ist die Wahrheit, was die Griechen wissen und sagen, wenn wir eine Regierung bekämen, die dieses Geld zurückholen würde, dann hätte Griechenland auch kein Problem, und ich als Ökonom kann das bestätigen.

    Zagatta: Aber diese Regierung bekommen sie nicht?

    Paraskewopoulus: Bitte?

    Zagatta: Aber diese Regierung bekommen sie nicht?

    Paraskewopoulus: Eben nicht! – Eben nicht, und deshalb, ich meine, sowohl Samaras als auch Venizelos haben jetzt eine Wende vorgenommen, wo ich sagen würde, fast 180 Grad. Aber das ist zu spät! Die Leute glauben denen nicht mehr. Obwohl der Venizelos zum Beispiel – ich habe in seinen Wahlparolen gehört, dass er dran gehen will. Die haben einen ehemaligen Minister, hohen Minister, der beinahe Ministerpräsident von Griechenland geworden wäre, Chatzopoulos, der war Verteidigungsminister, er war Innenminister und so weiter, und jetzt sitzt er in Untersuchungshaft - nicht nur er, seine Frau, seine Tochter, seine Sekretärin -, weil Millionen gefunden worden sind. Das ist die Spitze vom Eisberg. Also die Griechen werden diejenigen Leute unterstützen, die an diese Leute herangehen. Griechenland ist ein korruptes Land, aber Griechenland – ich sage das als Ökonom – ist kein armes Land. Das darf man nie vergessen. Griechenland hat trotz Krise 210 Milliarden Euro Bruttoinlandsprodukt 2011. Wenn man dieses Geld mit den Beschäftigten in Griechenland dividiert, dann haben wir durchschnittlich über 55.000 Euro pro Beschäftigtem. Die Deutschen haben 60.000. Also so arm ist Griechenland nicht!

    Zagatta: Wie aber soll Deutschland, wie soll die EU jetzt, oder wie kann man da reagieren, Herr Paraskewopoulus? Nach all dem, was Sie uns schildern, sollte man ja auf keinen Fall dann mehr Geld nach Griechenland transferieren.

    Paraskewopoulus: Nein, das stimmt. Die Griechen, also die regierenden Griechen, müssen das Geld, was der Staat hätte haben können, holen. – Ich sage Ihnen eine andere Zahl. Wenn Griechenland den Durchschnitt der Euro-Zone genommen hätte an Steuern und sozialen Beiträgen – da ist ungefähr der Durchschnitt 38, 39 Prozent in der Euro-Zone -, wenn Griechenland das bekommen hätte, dann hätten die Griechen keine Verschuldungsprobleme gehabt.

    Zagatta: Nur Sie reden jetzt im Konjunktiv, so schnell wird das auch nicht passieren. Was passiert aber jetzt, wenn die EU sich tatsächlich dazu durchringt, wenn die Troika das empfiehlt, wenn jetzt kein weiteres Geld nach Griechenland fließt, keine weiteren Hilfskredite in dieser Situation? Was passiert dann?

    Paraskewopoulus: Ja gut, wenn das geschehen wird, dass die Troika sagt, diese Vereinbarungen, die wir getroffen haben, also diese 130 Milliarden fließen nach Griechenland nicht, dann wird es bankrott, dann wird Griechenland zahlungsunfähig. Das heißt, dieses Geld bedient die Schulden im Grunde genommen, und wenn die nein sagen, dann ist Griechenland momentan, wie es ist, nicht in der Lage, das zurückzubezahlen. Aber wenn man den Leuten, den Griechen jetzt eine Chance gibt, bis zu einer nochmaligen Wahl, wird diese Situation – das ist jetzt meine Prognose -, diese Protestwahl, vergessen und dann werden wir andere Ergebnisse haben.

    Zagatta: Sie sagen also, man müsste den Griechen jetzt ein Ultimatum setzen. So kann man das freundlich ausdrücken. Die Gegner solcher Sparbemühungen in Griechenland, die sagen, die EU erpresst uns jetzt.

    Paraskewopoulus: Was heißt Erpressen? Ich meine, die Griechen müssen jetzt eine Chance bekommen, einen Monat oder eineinhalb Monate, bis Neuwahlen kommen, weil die momentane Situation wird keine Lösung geben, das heißt keine Regierung geben.

    Zagatta: Sie sind optimistisch, dass sich dann bei den Neuwahlen etwas in diese Richtung bewegen wird?

    Paraskewopoulus: Ich bin dann optimistisch, weil auch viele Kräfte da sind, und ich habe auch eine Hoffnung, dass eventuell eine Partei jetzt sich herausbildet, die diese Situation, wie ich sie dargestellt habe, als Wahlziel hat und Griechenland mit ihren Verbündeten rettet. Sonst, wenn wir auf dieser Schiene jetzt bleiben, dann ist Griechenland out.

    Zagatta: Der griechische Wirtschaftswissenschaftler Professor Spiridon Paraskewopoulus. Herr Paraskewopoulus, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch.

    Paraskewopoulus: Bitte schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.