Mittwoch, 24. April 2024

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Provenienzforschung von Museen
"Es bewegt sich was"

Die Bereitschaft der ethnologischen Museen, die Herkunftsgeschichte ihrer Objekte zu erforschen, sei in den letzten Jahren viel größer geworden, sagte der Afrikawissenschaftler Holger Stoecker im Dlf. Es fehle allerdings eine zentrale Institution, die die Forschungen fördere, begleite und koordiniere.

Holger Stoecker im Gespräch mit Uli Blumenthal | 29.04.2018
    Besucher und aus Holz geschnitzte afrikanische Masken im neuen ethnologischen Museum - Musee du Quai Branly in Paris.
    In vielen ethnologischen Museen gibt es Objekte, die während der Kolonialzeit nach Europa kamen (imago / UPI Photo)
    Uli Blumenthal: In Berlin, im Funkhaus am Hans-Rosenthal-Platz begrüße ich Doktor Holger Stoecker, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität Berlin. Er hat 2016 zusammen mit der Ethnologin Larissa Förster das Buch "Haut, Haar und Knochen. Koloniale Spuren in naturkundlichen Sammlungen der Universität Jena" geschrieben. Und beide erzählen darin die Geschichte um die Provenienz der "Kopfhaut eines Herero" – deren Herkunft auch nach anderthalbjähriger Recherche aus den vorhandenen Quellen nicht rekonstruiert werden konnte. Worin besteht die Hauptschwierigkeit Provenienzforschung in kolonialen Sammlungen, Doktor Stoecker?
    Holger Stoecker: Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dass schon die Ausgangsinformationen von den damaligen Sammlern nur sehr dilatorisch notiert worden sind. Es ging nie um die individuellen Personen in Bezug jetzt auf Human Remains, sondern immer nur um die Musterexemplare. Die Einzelperson hat nicht interessiert, sondern nur das Objekt als Repräsentant für konkrete Gemeinschaften. Das ist ein großer Problemkomplex, denn die heutigen Gemeinschaften wollen natürlich wissen, sind jetzt ihre konkreten Vorfahren, von denen man weiß, dass sie Opfer wurden von solchen Grabrauben oder Verbringung von Körperteilen, sind die jetzt hier zu finden oder eben nicht.
    Und das ist nur möglich in der Regel, wenn die Namen notiert sind oder wenn es sich auch um bedeutende Personen handelt. Das ist im namibischen Kontext oft nicht der Fall. In anderen Kontexten ist das schon eher der Fall gewesen, dass dort von den zeitgenössischen Sammlern entsprechende Notizen hinterlassen worden sind. Und wenn das nicht erfolgte, dann hat man da eigentlich keine Chance.
    "Man muss auch auf die Kontexte schauen"
    Blumenthal: Heißt das, dass man bei der Provenienzforschung ganz neue Wege gehen muss oder anders herangehen muss? Dass man nicht so sehr das einzelne Objekt oder das einzelne Individuum dann klären will, sondern dass man einfach viel stärker auf die Sammlung schauen muss?
    Stoecker: Man muss auf die Sammlung schauen, man muss auch auf die Kontexte schauen. Man muss über die Sammlung und über die Dokumente, die in den Sammlungen vorhanden sind, hinausgehen in das große Kolonialarchiv sozusagen, und auch in die Regionen selbst vor allem, um dort noch orale Quellen zu finden. Das ist manchmal durchaus hilfreich. Es handelt sich da um eigentlich komplett andere Wissensformen, mit denen man sich dann auseinandersetzen muss. Aber es geht immer nur um Annäherungen an gewisse Plausibilitäten. Ein objektives Wissen, wie es naturwissenschaftliche Disziplinen für sich reklamieren, wird man dabei nur selten erreichen.
    Blumenthal: Das heißt also, die Provenienzforschung zum kolonialen Erbe muss sich verändern, hin zur Erwerbsgeschichte, oder muss stärker objektbiografisch werden?
    Stoecker: Im Grunde geht es im Moment vor allem um die Erwerbskontexte, die herauszufinden und auch deutlich zu machen, transparent zu machen und auch in die Herkunftsregionen zu transportieren. Die einzelnen Objektbiografien, wie die jetzt vom Aufsammler in die deutschen Sammlungen gekommen sind, das ist oft sehr schwierig, und da gibt es oft gar keine Informationen dazu. Das steht auch nicht im Vordergrund. Entscheidend ist, dass man weiß, wo sie herkommen, und dass man sie dorthin zurückgeben kann, zumindest das Wissen darüber zurückgeben kann und dann bei Bedarf eben tatsächlich auch restituieren kann.
    Blumenthal: Der Erfolg und die Produktivität, wenn man es so bezeichnen kann, der Provenienz, hängt ja stark natürlich auch von der Bereitschaft der Institutionen ab, ob sie diese Forschung unterstützt, ob sie sich für diese Forschung öffnet. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
    Stoecker: Da hat sich in den letzten Jahren doch einiges getan. Am Anfang wurden wir so ein bisschen auch als Populisten bezeichnet, die sich jetzt einem temporären Zug anschließen. Inzwischen hat sich da die Stimmung grundlegend gewandelt, und die Bereitschaft in den Institutionen, in den Museen, in den öffentlichen Museen jedenfalls ist da sehr viel größer geworden. Wobei natürlich auch jetzt die Probleme und die konkreten Schwierigkeiten zutage treten, dass also jedes Museum im Grunde genommen von vorn anfängt, die eigene Provenienzforschung irgendwie versucht, zu organisieren.
    Was da im Moment fehlt, ist eine zentrale Institution, die diese einzelnen Projekte fördert, begleitet, koordiniert, und die da auch versucht, eine Finanzierung herbeizuführen – die sind ja nicht gerade billig, solche Provenienzforschungen –, und die auch am Ende eine Restitution zu organisieren hilft. Da sind die einzelnen Museen auch oft an ihre Grenzen geführt bislang. Und es geht natürlich auch darum, in diesen Provenienzberichten Standards zu formulieren. Da sind die Vorstellungen, die im Moment da noch praktiziert werden, sehr verschieden.
    Blumenthal: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann fordern Sie oder sagen, man bräuchte eine Zentralstelle für Human Remains. Könnte man das vergleichen mit dem Thema NS-Raubkunst, also dass man dort ja sozusagen große Forschungsprojekte aufgelegt hat, eine Zentralstelle geschaffen hat? Oder steht die Kolonialzeit so ein bisschen im Schatten der Provenienzforschung in Sachen NS-Raubkunst?
    Stoecker: Sie steht tatsächlich im Schatten bislang, wobei klar ist, dass die Umfänge der kolonialen Provenienzforschung sehr viel größer sein werden als die der NS-Forschung. Und der Bereich der Human Remains innerhalb der kolonialen Objekte ist nur ein Teil. Die gehören natürlich dann mit zu den kolonialen Objekten. Aber das macht durchaus Sinn, weil die Sammlungsumstände oft sehr identisch waren, also von naturkundlichen, ethnologischen und anthropologischen Objekten, die sind oft in demselben Kontext erworben worden.
    "In den letzten zehn Jahren etwa gab eine Öffnung"
    Blumenthal: Ist das beispielhaft für deutsche Museen, dass man, wenn man es extrem formuliert, sagt, die Kolonialzeit scheint in deutschen Museen noch nicht beendet zu sein?
    Stoecker: Da muss man vielleicht unterscheiden. Im naturkundlichen Museum haben wir bestimmt einen größeren Bedarf noch der Politisierung ihrer Objekte auch. Ethnologische Museen haben ein höheres Bewusstsein darüber durch ihre Disziplin der Reflektion von Geschichte und so weiter. Aber es bewegt sich was. In den letzten zehn Jahren etwa gab es da doch eine bestimmte Öffnung, die natürlich auch zusammenhängt mit den Debatten um das Humboldt-Forum in Berlin. Das hat eine große Strahlkraft gehabt auf die gesamte deutsche Museumslandschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.